"Uschi, das ist 'n Spion!"
Warum sind die Zuschauer so süchtig nach Serien? "Es sind die Figuren, die einem ans Herz wachsen," meint der deutsche Regisseur Edward Berger. "Man hat Zeit, ein Riesenepos zu erzählen, einen Kosmos aufzumachen". Gute Serien erzeugten beim Zuschauer einen ähnlichen Effekt, wie ihn Kids beim Computerspiel erleben – das fiktive Universum absorbiert den Rezipienten oder User völlig.
Auf einem Festival ist diese Wirkung kaum herzustellen. Zwischen Wettbewerb und Pressekonferenz mal eben die ersten beiden Episoden des »Breaking Bad«-Spin-offs »Better Call Saul« einschieben? Das ist, als würde einem ein Nusstörtchen nach zwei Happen aus der Hand gerissen. Offenbar kann sich aber auch die Berlinale dem Trend zum seriellen Erzählen nicht mehr verschließen. Am Anfang der Woche startete mit "Berlinale Special Series" eine Reihe, die erste Blicke auf aktuelle internationale Produktionen wirft. Darunter befinden sich neben »False Flag« von den Machern der israelischen Serie »Hatufim« (Vorlage für »Homeland«) und »Follow the Money« aus der dänischen »Borgen«-Werkstatt auch zwei deutsche Produktionen: Matthias Glasners »Blochin«, eine fürs ZDF produzierte Krimishow, in der Jürgen Vogel einen Polizisten der Berliner Mordkommission spielt, und »Deutschland 83«, dessen erste Episoden Edward Berger für RTL inszeniert hat.
Die deutschen Fernsehsender bilden nicht gerade die Speerspitze der weltweiten Serien-Offensive. Deshalb müssen sich die heimischen Produktionen wohl besonders kritische Blicke gefallen lassen. Wo sind unser »Breaking Bad«, unser »Homeland«? »Deutschland 83«, das den Auftakt machte und am Montag in Weltpremiere gezeigt wurde, ist es leider nicht.
Im Jahr 1983, so geht die Geschichte, steht die Welt am Abgrund. Ronald Reagan hat die Sowjetunion zum Reich des Bösen erklärt, die BRD soll mit Pershing-II-Raketen aufgerüstet werden, ein Atomkrieg droht, Nena singt "99 Luftballons". Mitten in diese hysterische Situation wird der junge DDR-Grenzsoldat Moritz Stamm katapultiert. Getarnt als Adjutant eines besonders wichtigen Generals soll er die Verhandlungen über die Raketenstationierung und die Vorbereitung des NATO-Manövers "Able Archer" ausspionieren. Große Politik! Zeitkolorit! Action und Drama! Das ist schon sehr ambitioniert und sieht auf der Leinwand nicht ganz billig aus. Hauptdarsteller Jonas Nay wirft sich mit Verve ins Offiziersgrau; die Ausstatter haben ganze Arbeit geleistet: von der "Ajona"-Zahnpasta bis zum Sannyasin-Shirt stimmt hier alles.
Trotzdem wirken die Achtziger, dieses Jahrzehnt neoliberaler Parties und grünalternativer Aufbrüche, hier ungefähr so lustig und temperamentvoll wie die Fünfziger. Das Drehbuch quält mit Verlegenheitssätzen, die jedem US-Serienautor sofort gestrichen würden - "die Zimmer sind bereit, wenn Sie mir bitte folgen wollen". Und man weiß nicht recht, ob die Anflüge von Komik wirklich, wie der im letzten Jahr mit »Jack« im Wettbewerb vertretene Berger auf einer Diskussionveranstaltung sagte, zum Konzept gehören oder aus der abstrusen Grundkonstellation entstehen. Der im Instantverfahren ausgebildete Jung-Agent Moritz – eigentlich will er nur zu Mutter und Freundin zurück – hat jedenfalls ziemlich zu kämpfen. Zu knackende Safes fallen ihm unweigerlich auf die Füße, und beim Nachhause-Telefonieren lässt er sich von der Schwägerin des Generals erwischen. Normal würde man sagen: Der gehört zurückgepfiffen, und zwar pronto.
Sehr viel drängender und versierter setzt die ebenfalls in der Special-Reihe gezeigte italienische Serie »1992« ein verblüffend ähnliches polit-episches Programm um. In dieser Show, die in Mailand beginnt und schnell nach Rom und Bologna ausgreift, geht es um die Korruptionsermittlungen, die Anfang der Neunziger Italiens gesamte politische Klasse involvierten, um den Zusammenbruch der Traditionsparteien und den Aufstieg Berlusconis. Das hat zwar auch seine »Dallas«-Momente, zuviel Drama, Drinks und Schulterpolster, aber es führt in sehr verschiedene Milieus, eröffnet eine Vielzahl von Handlungssträngen und ist so smart montiert, dass – genau: dieser Sog entsteht. Der Sog eines Kosmos, in dem man sich für lange Zeit verlieren kann.
Acht Folgen der Serie »Deutschland '83« sind gedreht; die Ausstrahlung ist für Ende 2015 geplant.
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