Mancher Spuk geht schnell vorüber
Bestimmt hätte ich auch ohne Leos Carax erfahren, wer Isadore Greenbaum war. Vielleicht wusste ich es sogar schon vorher und es war mir nur entfallen. Von dem Ereignis, in dessen Verlauf der 26jährige Klempner aus Brooklyn seine Heldentat vollbrachte, hatte ich allerdings schon gehört.
Auf jeden Fall spielt Greenbaum eine gewisse Rolle in Carax' neuem Film »C'est pas moi« (It's not me), der im Mai in Cannes lief und vor zehn Tagen die Viennale eröffnete. In diesem rasanten filmischen Notizblock kommt allerdings in gerade einmal 42 Minuten so ziemlich alles vor, was sich in der Zeit- und Filmgeschichte der vergangenen 130 Jahre ereignet hat. Der Schritt zu den politischen Schimären der Gegenwart ist kurz. Das alles muss man sehen, um es zu glauben. Da arte ihn mitproduziert hat, wird er sicher demnächst auf dem Sender zu entdecken sein. Zu den vielen Themen, die Carax in Windeseile vorbeirauschen lässt, gehören der Holocaust und Antisemitismus. Hierbei hebt er den unerschrockenen jüdischen Installateur ausdrücklich hervor: Ein Pfeil zeigt auf ihn und sein Name wird genannt, als er kurz in einer Wochenschau zu sehen ist, wie er eine Versammlung des "German-American Bund" im Madison Square Garden stört. Das geschah am 20. Februar 1939, als die Sympathisanten Nazideutschlands dort George Washingtons Geburtstag feierten.
Dessen Porträt überragt die Bühne und wird von US-Flaggen flankiert, auf denen Hakenkreuze prangen. (Diese Konjunktion ist mindestens ebenso verblüffend wie das Nebeneinander von Bannern mit Karl Marx' Antlitz und Nazifahnen in der TV-Adaption von Len Deightons alternativer Fiktion "SS-GB".) Die 20000 Mitglieder des Bunds, die sich an diesem Abend in New York versammelt hatten, schworen einerseits ihre Treue zur US-Flagge und marschierten andererseits in Sturmtruppen-Uniformen durch den Saal. Eigentlich durften die flexiblen Patrioten sich ganz in Deutschland fühlen, mit Abordnungen, die geradewegs vom Bund Deutscher Mädchen zu kommen schienen und Lobpreisungen der Jugendlager, die Hitler eingerichtet hatte. Sie applaudierten den Reden, die in schneidendem Tonfall von der Bühne kamen und in denen gegen die jüdische Herrschaft über das christliche Amerika gewettert wurde. Die Klage schloss den damaligen US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt mit ein, der unter Einfluss der jüdisch dominierten Presse stehe. Zuerst sprach Gerhard Wilhelm Kunze, der sich stolz "America's first fascist" nannte. Er schimpfte über jüdische Flüchtlinge, die Amerikanern die Jobs wegnahmen. Dann ergriff Fritz Julius Kuhn das Wort, der Führer des Bundes, der sich gern als „Hitler Amerikas“ feiern ließ. Dessen Hetzrede wurde brüsk unterbrochen.
Eigentlich hatte Isadore Greenbaum dies gar nicht geplant. Er hatte sich draußen mit mehreren Tausend Einwohnern New Yorks versammelt, um gegen das Spektakel zu protestieren. 1700 Polizisten schirmten den Madison Square Garden ab, nachdem Bürgermeister Fiorello La Guardia in Rücksprache mit dem "American Jewish Committee" gegen ein Verbot der Veranstaltung entschieden hatte, da auch für sie das Recht der freien Rede galt. Sie wurde mit Lautsprechern auf die Straßen übertragen. Nach einer Weile konnte Greenbaum es einfach nicht mehr ertragen zuzuhören, wie er und seine jüdischen Mitbürger verleumdet wurden. Es gelang ihm, einen Wachposten zu überwinden und sich Zutritt zu dieser Festung zu verschaffen. Auf der Bühne konnte er noch "Down with Hitler!" rufen, bevor er von Sicherheitsleuten überwältigt wurde. Sie schlugen ihn nieder, brachen ihm dabei die Nase und traten auf ihn ein. Zur Ergötzung der tosenden Menge zogen sie ihm schließlich noch die Hose herunter.
Nach wenigen Minuten nahm die New Yorker Polizei den Unruhestifter in Schutzhaft, der sich allein unter 20000 Nazis gewagt hatte. Greenbaum wurde wegen ordnungswidrigen Verhaltens mit einer Geldstrafe von 25 Dollar belegt, was 1939 eine Menge Geld war, nicht nur für einen Klempner. Die Sicherheitsleute wurden nicht angeklagt, obwohl man sie nach Ansicht der Wochenschau leicht hätte identifizieren können.. Im Dezember 1941, wenige Tage nach Kriegseintritt der USA, meldete Greenbaum sich freiwillig zur Marine, überlebte den Krieg und starb 1997 in biblischem Alter. Der deutschamerikanische Bund hatte hingegen nur ein kurzes Nachleben, nachdem Fritz Kuhn Ende 1939 wegen Unterschlagung von 15000 Dollar zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden war, die er in Sing Sing abbüßen sollte. Nach Kriegsbeginn wurde er nach Nazideutschland abgeschoben. Der Bund hatte sich inzwischen klammheimlich aufgelöst.
Das Geld, das aus den Einnahmen des 20. Februar stammte, brauchte Kuhn für den Unterhalt einer Geliebten – übrigens ebenso wie Paul Lukas, der vermeintlich patriotische Rädelsführer in "Confessions of a Nazi Spy" (Ich war ein Spion der Nazis, Regie: Anatole Litvak). Dieser erste ausgesprochene Anti-Nazi-Film Hollywoods, den Warner Brothers im Mai 1939 in die US-Kinos brachten, schildert die Ermittlungen des FBI gegen eine Organisation, die dem Bund bis aufs Haar gleicht. Das Drehbuch von Milton Krims und John Wexley war zwar vor der Rally des Bundes fertig, aber es nimmt eine Massenversammlung vorweg, die aus Budgetgründen in einem zünftigen Biergarten abgehalten wird.
2018 drehte der US-Filmemacher Marshall Curry einen Kurzfilm über die Ereignisse des 20. Februars, »A Night at the Garden«. Genauer gesagt: er montierte den Siebenminüter aus Wochenschaumaterial. Curry hatte von einem Freund, der ein Drehbuch über New York im Jahre 1939 schrieb, von der Versammlung erfahren. Am nächsten Abend fand im Garden übrigens ein Hockeyspiel statt. Er konnte Laura Poitras als Mitproduzentin gewinnen. 2019 wurde der Kurzfilm für den Oscar nominiert. Im Netz ist dieses sehenswerte Dokument leicht aufzufinden, z.B. hier: https://anightatthegarden.com/.
In die Filmgeschichte ging der Madison Square Garden überdies ein, weil dort das Finale des Politthrillers »The Manchurian Candidate« (Botschafter der Angst, Regie: John Frankenheimer) gedreht wurde. Lawrence Harvey soll in der Veranstaltungshalle ein Attentat auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten ausüben. Das müssen keine Auguren für den heutigen Abend sein, wo Donald Trump dort auftritt. Halten wir statt dessen lieber fest, dass einige seiner Anhänger sich letzthin häufiger (gerade erst bei einer Wahlveranstaltung in Palm Beach) mit Hakenkreuzflaggen und entsprechenden T-Shirts ausstaffieren. Offenbar traditionsbewusste Patrioten.
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