Wieder einmal: À l'écoute
Das Berlin, das der Film zeigt, habe ich partout nicht wiedererkannt. Dabei ist es sehr real, nur in einigen Momenten wirkt es ein wenig verwunschen: dann, wenn die Erzählung den Blickwinkel des Sohnes einnimmt. Kein Zweifel, dass der Film in dieser Stadt spielt, aber sie gibt sich entlegen und unverbraucht. Schauplatzsucher, Szenenbildner und Kamerafrau Judith Kaufmann haben wirklich exquisite Arbeit geleistet.
Ich hatte schon lange vorgehabt, mir »Das Vorspiel« von Ina Weisse anzuschauen; spätestens seit Bruno Tarrière von der Arbeit mit der Regisseurin und der Tonmischung erzählte ("Eine Zimmerreise" vom 31.3. 2020). Hören wollte ich ihn natürlich auch. Aber als ich den Eintrag schrieb, waren die Kinos gerade zum ersten Mal geschlossen worden. Nun hat es endlich geklappt, dem linearen Fernsehen sei Dank (in der arte-Mediathek ist er leider nur noch bis zum 10. 2. abrufbar). Ein willkommener Anlass, an die kleine Reihe über Bruno Kunstfertigkeit anzuknüpfen, die ich unter dem Motto "À l'écoute" im April 2014 begann. Auch seinerzeit ging es vornehmlich um die Arbeit mit Regisseurinnen, Marion Hänsel, Yesim Ustaoglu und Maria Schrader.
Er ist nicht der einzige Franzose, der an der Tonspur von »Das Vorspiel« mitwirkte. Der Toningenieur Guillaume Sciama gehört, neben Antoine Bonfanti, zu den Legenden dieses Metiers. Für mich ist er in erster Linie der Tonmann von Patrice Chéreau und Michael Haneke, aber er hat auch mit Michel Deville, Patrice Leconte, Francois Ozon , Coline Serreau und Régis Wargnier gearbeitet und in den letzten Jahren regelmäßig mit Philippe Garrel. Offenkundig hat er ein gutes Ohr für die deutsche Sprache (wobei mich jedoch vor allem die protestantische Stille in »Das weisse Band« beeindruckt hat) und weiß (nicht erst seit „Die Klavierspielerin“) der Gefahr der Monotonie zu begegnen, die sich fast zwangsläufig einstellt, wenn Musikunterricht eine zentrale Stelle in der Handlung einnimmt. Bruno hatte seinerzeit wenig über ihre Zusammenarbeit erzählt, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, dabei sei Rivalität im Spiel gewesen. Ich nehme an, er hat aufgegriffen, unterstrichen und nuanciert hat, was Sciama an Originalton und Effekten aufnahm.
Ina Weisses Film handelt von den Ansprüchen, die jede einzelne der geschilderten Beziehung belasten. Inszenierung und Tondramaturgie arbeiten mit unterschiedlichen Sphären, räumlichen wie mentalen, die von einander getrennt sind, aber sich auch überlappen. Beruf und Privatleben durchdringen sich in der Ehe zwischen Nina Hoss und Simon Abkarian (sie ist Violinistin und Lehrerin, er Instrumentenbauer), ihr gemeinsamer Sohn nimmt Geigenunterricht bei einer ihrer Kolleginnen und begegnet ihrem neuen Schüler mit heftiger Eifersucht. Das Musizieren hat auf der Tonebene selbstverständliche Priorität, aber das jeweilige Ambiente ordnet sich dem nicht einfach nur unter. Ein Grundprinzip ist der Gegensatz zwischen Innen und Außen. Jeder Ort hat seinen eigenen Raumklang. In dem Proberaum, in dem Hoss ihren Schüler unterrichtet, gibt es einen vernehmlichen Hall, der aber weniger stark ist als im Flur davor. Die Stadt wiederum ist in Sciamas Arbeit enorm präsent, zumal auf den Straßen, um sodann im Bus (einmal auch bereits ein Elektro-Bus!) oder der Tram gedämpft zu werden.
Urbanität und Interieur überlagern sich häufig, meist sacht, aber oft auch expressiv. Als Hoss zu einer Verabredung mit Abkarian in ein Café kommt, bleibt der Pegel der Straße vorerst erhalten und sogar dominant. Sie trägt ihn in das Innere hinein; in der Mischung wird daraus gleichsam ihr subjektiver Ton, der sie zunächst begleitet und dann erst im neuen Ambiente aufgeht. Dieses Spiel mit zwei gegensätzlichen Appellen ist vielfältig orchestriert. Einmal kehrt sie abends heim und zieht sich mit ihrer Geige zum Üben in ein Zimmer zurück, während Abkarian vor dem Fernseher sitzen bleibt.
Die Montage operiert mit dem On und Off des Musizierens. Die Kamera bleibt nicht länger als nötig auf den jeweils Spielenden, fängt vielmehr rasch die Reaktionen darauf ein. Oder sie nähert sich dem Geigenspiel an, wenn es beispielsweise zuerst im Flur des Konservatoriums zu hören ist. Hoss ist es wichtig, die Fenster regelmäßig zu öffnen, nicht nur im Konservatorium, auch daheim: Sie setzt sich den Geschehnissen aus. Beim Vorspiel im Konzertsaal am Ende des Films erwächst aus dem Wechsel zwischen Innen und Draußen eine immense, erst recht psychologische Spannung. Diese visuelle Freizügigkeit ist jedoch stets der Konzentration verpflichtet. Kein akustischer Appell verschwindet aus unserer Wahrnehmung oder tritt hinter einen anderen zurück. Es gibt kein Entkommen, die allmählich eskalierenden Konflikte werden von der Tondramaturgie naturalistisch vorbereitet.
Ich schrieb von den Ansprüchen der anderen, die Druck ausüben. Dem steht in »Das Vorspiel« ein wesentlicher Aspekt entgegen, der zugleich mit ihm verknüpft ist. Mich hat die gestische Sorgfalt beeindruckt, die sämtliche Hauptfiguren walten lassen - bis hin zum Zunähen des Hähnchens, das Jens Albinus (ein Cellist und ihr gelegentlicher Liebhaber, der sie animieren will, wieder aufzutreten) für sich allein braten will: hübsch, wie Hoss und er sich danach vor den Backofen setzen, um zuzuschauen. Abkarians Werkstatt -. eine andere Sphäre als ihre Wohnung, mit einem separaten Eingang -, ist ein Refugium dieser Sorgfalt. Die Instrumente werden dort zu Objekten der Kontemplation, werden genau vermessen etc. Nicht jedes Holz eignet sich für den Instrumentenbau; das ist eine Frage des Wuchses. Abkarian bringt das seinem Sohn bei. Er kann einem Holzstück sogar ansehen, wie die Jahreszeiten sich in ihm abgelagert haben, er sieht die Witterung vor sich. Instrumente, das ist ebenfalls zu erfahren in diesem Film, altern. Einmal spielt er Hoss eine Aufnahme vor, die sie nicht wieder erkennt, aber es ist sie, die spielt, vor langer Zeit, als es um ihre Liebe noch anders stand. Sie findet, dass ihr Spiel nicht perfekt ist, aber genau das gefällt ihm. Dieser Augenblick hat ein wunderbares Timbre. Nicht nur wegen der zwei großartigen Darsteller, sondern auch wegen Guillaume Sciama und Bruno Tarriere, die gewissenhaft zuhören, wenn Magie in der Luft liegt.
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