Ein Sammelsurium
Je mehr ich über „Peter von Kant“ nachdenke, desto weniger kann ich in ihm Francois Ozon entdecken. Er erscheint mir nicht als der Film eines auteurs, sondern viel eher als der einer Szenenbildnerin. Ein Stück Ausstattungskino.
Ozon hat erneut mit Katia Wyszkop gearbeitet, die zu den besten SzenenbildnerInnen des französischen Kinos zählt. Zwar hat sie auch ein Händchen für Gegenwartsstoffe („Die Zeit, die bleibt“, „Jung und schön“, „Nocturama“). Aber eigentlich profilierte sie sich von ihren Anfängen an („Van Gogh“) als Spezialistin für die Vergegenwärtigung früherer Epochen, die zwischen dem Epischem und dem Intimen schillern ( „Das Schmuckstück“, „Leb wohl, meine Königin!“, „Saint Laurent“). Im Französischen lautet ihre Berufsbezeichnung „chef décoratice“, was im Falle von Ozons neuem Film besonders gut zu passen scheint. Mir ging freilich auch der angestaubte Begriff „Ausstatterin“ durch den Kopf, den Szenenbildner nicht mögen. Sie üben schließlich einen ganz anderen Beruf aus, als es beispielsweise ein Herrenausstatter tut. Pardon, mit Blick auf Fassbinders Originalheldin Petra von Kant hätte ich hier von einer Damenausstatterin sprechen sollen. In einem Winkel des Wohnateliers, in dem Ozons Regisseur lebt, stehen ein paar roten Kleiderpuppen herum, die keine wirklich dekorative Funktion erfüllen. Sie stehen wahrscheinlich nur da herum, um auch Begriffsstutzige daran zu erinnern, dass der Film sich als Hommage versteht. Als hätte der Flokati-Teppich nicht genügt!
Im Gegensatz zu Fassbinders Original, das komplett an einem Schauplatz spielt und kaum einen Blick auf die Außenwelt erlaubt, ist Ozon Remake kein konsequentes huis clos. Das Außen spielt eine entscheidende Rolle, nicht nur als Blickrichtung, sondern einmal auch als Schauplatz in einer Szene, die jedoch anmutet, als sei sie im Studio gedreht. Die Ansichten des Gebäudes, in dem sich das Kammerspiel zuträgt, sind einprägsam: ein Kabinettstück der Schauplatzsuche. Gleichwohl ist „Peter von Kant“ eine Tour de force der szenischen Fokussierung. Das Wohnatelier von Peter ist vielgestaltiger als das von Petra; bei Fassbinder kann man nur spekulieren, wie der Rest des Apartments aussieht. Ozon/Wyszkop stellen weitere Räume vor, ohne dass der Eindruck einer gewissen Kohärenz darunter leidet.
Von dem Regisseur hätte man eigentlich erwartet, dass er herzlicher über die Mode- und Designtorheiten der deutschen 1970er Jahre spottet. Aber auch an diesem Elan gebricht es dem Film. Denis Ménechot trägt einmal eine Lederhose, wie Malik Zidi in „Tropfen auf heiße Steine“, aber viel exotischer muss es nicht werden. Da das Remake gut eine halbe Stunde kürzer als das Original ist, hat man auch weniger Zeit, den Teppich zu studieren. Leider konnte ich bislang nicht herausfinden, wer für die Requisite des Films zeichnet. Im Netz war nichts zu erfahren und der Abspann lief zu schnell, als dass ich mitbekam, wer dort als „ensemblier“ genannt wird. Er oder sie hat ganze Arbeit geleistet, aber beim aktuellen Wissensstand muss sich Katia Wyszkop die Lorbeeren mit niemandem teilen.
Dieses Metier wird nicht oft genug gewürdigt. Die Auswahl der Requisiten ist ein Instrument der Interpretation. Sie trägt entscheidend zur Atmosphäre eines Raums bei und gibt Auskunft über Geschmack, Status und idealerweise auch den Charakter seiner Bewohner. Sorgfalt und Phantasie eines ensembliers können einen schwachen Film zwar nicht retten, aber zumindest interessanter aussehen lassen. „Eine Liebe von Swann“ ist ein gutes Beispiel dafür, wo ich mich nie sattsehen kann an der Einrichtung der Wohnung, die Jacques Saulnier und sein Requisiteur Philippe Turlure mit immensem Gespür für Epoche und Psychologie gestalteten. „Peter von Kant“ erklimmt vergleichbare Gipfel des Feinsinns nicht; die Einrichtung ist vielmehr plakativer. Das darf man im Wortsinne verstehen. Das Ensemble von Darstellungen des Heiligen Sebastian (ich glaube, eine stammt von Rubens, aber das Tempo der Abspanntitel lässt keine definitive Aussage zu) wird aufgesplittet bzw. ersetzt durch großformatige Fotos von Peters Geliebtem Amir (Khalil Gharbia), der die Pose des Märtyrers einnimmt. Der entblößte, muskulöse und mit Pfeilen gespickte Heilige ist ein Dauerbrenner schwuler Ikonografie; Ozon bringt ihn hier womöglich ins Spiel, um das „Jeder tötet, was er liebt“-Motiv noch einmal zu unterstreichen, das er prominent und zugleich vage einsetzt, als einen Passepartout für zerstörerische Passionen.
An einer Wand des Schlafateliers in Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ prangte ein anderes mythisches Motiv: eine Fototapete des Gemäldes „Midas und Bacchus“ von Nicolas Poussin. Sie dominiert den Raum, obwohl man sie oft nur im Anschnitt sieht. Ich brachte das Bild insgeheim immer in Verbindung zu Fassbinders Untertitel „Ein Krankheitsfall“: Es nimmt die Katharsis des Melodrams vorweg, denn die mythische Geschichte handelt letztlich von Heilung und Erlösung. Bei Ozon taucht das Gemälde ebenfalls auf, es hängt als Kopie im Flur, am Eingang zur Wohnung. Das fügt sich in ein Konzept, das ich dem Film mal freundlich unterstellen will: Er verschiebt kontinuierlich die visuellen Prioritäten gegenüber der Vorlage. Ein Beleg für Ozons wackere Zitierfreude ist er allemal.
Welche Bewandtnis es darüber hinaus mit den Ikonografien in seinem Remake hat, bleibt hingegen vorerst ein Rätsel für mich. Warum ersetzt er die Heilung durch die Verherrlichung des Märtyrers? Welche Spur zu Peter legt er damit an? Gut möglich, dass hier Deutungsversuche fehl am Platz Vielleicht hat er keine Anspielung im Sinn und es kommt ihm nur auf das Dekorative an. Das entspräche seinem Film, der sich der Tiefe erstaunlich verweigert. Er hätte das Potenzial gehabt, von Oberfläche und Subtext zu erzählen. Katia Wyszkop hat das schon eher verstanden. Ihre Szenenbilder erzählen vom Untergründigen im Hintergrund.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns