Die Rückkehr der Flamme
Hat es Sie beim Lesen des vorangegangen Eintrags gewundert, dass Serge Bromberg am Ende seiner Aussage vor dem Strafgerichtshof von Créteil von Passionen sprach? Hätte der Singular nicht besser zu seiner Argumentation gepasst?
Mich hat der Plural zunächst auch überrascht. Aber dann erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit ihm. Sie liegt mehr als ein Jahrzehnt zurück und ergab sich im Auditorium des Louvre. An einem verregneten Sonntagnachmittag präsentierte der Filmsammler dort den zweifellos spektakulärsten Filmschatz, den er bisher geborgen hatte. Bei der Gelegenheit lernte ich, was Duplizität ist.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass er ein höchst umtriebiger Cinéphiler war. Sein Anblick war mir vor allem aus dem Bonusmaterial der RKO-Klassiker vertraut, die bei Édition Montparnasse erschienen. Bromberg führte in die Filme ein, mit gut geöltem Enthusiasmus und funkelndem Blick: als ein gewinnender Vermittler, aus dessen Munde auch historische Hintergründe unterhaltsam klangen. Er wirkte auf mich wie ein charismatischer Vulgarisierer, was im Französischen ja nicht zwangsläufig negativ gemeint ist. Besonders beeindruckten mich seine dicken Augenbrauen, und ich stellte mir vor, dass sie irgendwann einmal so buschig sein würden wie die von gewissen bayrischen Politikern. Aus den DVD-Regalen in Paris war mir auch seine Serie „Retour de Flamme“ mit Fundstücken aus der Stummfilmära bekannt, die seine Firma Lobster Films herausbrachte. Ich rätselte, was es mit dem Titel auf sich hatte, war aber nicht neugierig genug, um es in Erfahrung zu bringen.
An jenem Sonntag präsentierte er im Louvre eine Auswahl von dem Film- und Ton-Material, das noch von Henri-Georges Clouzots wahnwitzig unvollendetem »L'enfer« (Die Hölle) existierte und dessen er mit Unterstützung der Witwe des Regisseurs habhaft geworden war. Der Nachmittag folgte einer ausgeklügelten Spannungsdramaturgie. Zuerst stellte Bromberg Tonaufnahmen vor, in denen Clouzot mit rückwärts gesprochenen Dialogen experimentierte, dann einige Versuche mit verschiedenen Farb- und Aufnahmeverfahren. Die Probenaufnahmen mit Romy Schneider waren atemberaubend. Man gewann eine Ahnung, wie kühn und bizarr der Film geworden wäre. Den faszinierendsten Ausschnitt sparte Bromberg für den Schluss auf: eine Coda, die das Getriebensein des Regisseurs, seine verzweifelte Energie, wie unter einem Brennglas bündelt. Ein Travelling zeigt Clouzot, der für eine Probe die Hauptrolle selbst übernommen hat. In atemlosem Tempo hetzt ihn die Kamera über einen klaustrophobisch überfüllten Bahnsteig.Der Regisseur schien in diesen fiebrigen Bildern die Idealbesetzung für den Part des besessenen, von Eifersucht und Wahn zerrissenen Ehemanns zu sein. Das Programm war prächtiges Entertainment, erst recht, da sich im Publikum auch einstige Teammitglieder befanden und zu Wort meldeten.
Ich hatte im Vorfeld mit Bromberg und seiner Kollegin Ruxandra Medrea korrespondiert und ihnen mein Kommen angekündigt, da ich für die "Welt" über das Ereignis berichten wollte. Als ich mich vorstellte, war er bass erstaunt, dass ich tatsächlich nur wegen der Vorführung aus Berlin angereist war. "Sie haben in Wirklichkeit doch eine Mätresse in Paris?" fragte er. Der Tonfall des verständnisvollen Bonvivants amüsierte mich (zumal der Gebrauch dieser altmodischen Vokabel), aber sein Grinsen fand ich anmaßend. Medrea, die derweil verlegen den Blick gesenkt hatte, erwies sich in der Folge ohnehin als die beschlagenere Gesprächspartnerin. Der Eindruck einer klaren Rollenverteilung setzte sich bei mir fest: Er glänzte im Scheinwerferlicht und sie war für die Feinarbeit zuständig.
Den befreundeten Kollegen, mit dem ich danach zum Abendessen verabredet war, überraschte der Verlauf unserer Begegnung nicht. "Bromberg ist kein Cinéphiler, sondern ein Schauspieler", meinte Jean-Pierre. "Er hat reich geheiratet und sich einfach einen Zeitvertreib gesucht." Falls das stimmen sollte, ist er ein ziemlich gewiefter Blender. Er spielt seine Rolle überzeugend, ist telegen und ein einflussreicher touche à tout (klingt auch wieder nobler als unser "Hans Dampf in allen Gassen") der Restaurierung und Vermarktung - nicht nur als Chef von Lobster Films, die er mit 24 Jahren gründete, sondern auch als Mitglied von Gremien und Förderkommissionen. Seinen Posten im Verwaltungsrat der Cinémathèque Francaise hätte er nach dem Brand in Vincennes aus Anstand längst räumen müssen. Ob ihn das Gerichtsurteil zum Einlenken bewegen wird? Ich bezweifle es. Er konnte sich lange genug auf seinen Charme verlassen. Der wirkt freilich nicht überall. Vor geraumer Zeit interviewte ich einmal Gabrielle Claes, die damalige Leiterin der Cinemathek, dem Königlichen Filmarchiv in Brüssel. Ich wollte wissen, weshalb sich ihr Haus nicht Brombergs Initiative "European Film Treasures" anschloss, die Bestände von Archiven im Internet zugänglich machen wollte. Ihre Antwort war kurz und vernichtend: "Weil er ein Scharlatan ist." So offenherzig sprach nicht jeder über ihn. Allerdings ging ein deutlich vernehmbares Aufatmen durch die Szene, als Bromberg bei der Wahl des Direktors der Cinémathèque in Paris am Ende Frédéric Bonnaud unterlag.
Natürlich verfolgte ich weiter, was er mit den Fragmenten von Clouzots Besessenheit anstellte. Es wurden ein Dokumentarfilm und ein Bildband daraus, der ebenso wie die DVD auch bei uns herauskam. Für eine Radiosendung interviewte ich ihn dann in den Büros von Lobster. Ruxandra Medrea, die als Co-Regisseurin fungierte, hatte sich inzwischen vom Film distanziert und stand für Publicity nicht mehr zur Verfügung, wie er sagte. Den Grund nannte er nicht. Möglicherweise hegte sie die gleichen Vorbehalte wie ich? Bei der Aufbereitung des gefundenen Materials ging es Bromberg nicht um historische Sorgfalt, sondern um den Unterhaltungswert. Er nahm es als Spielmaterial, montierte es nach Gutdünken (zugegebenermaßen oft sehr spannend) und besserte es mit Toneffekten nach (Ähnliches musste ich gerade bei der Lobster-Edition von Stummfilmen Julien Duviviers durchleiden). Meine Einwände gegen diese Methodik wischte er vom Tisch: „Sie sind ein Purist, aber ich muss an das Publikum denken!“ In seiner Einschätzung hatte ich mich vom Lebemann zum Erbsenzähler gewandelt. Gleichviel, die Aufmerksamkeit schmeichelte ihm und bei späteren Begegnungen begrüßte er mich wie einen Alten Verbündeten. »L'enfer de Henri-Georges Clouzot« gewann einige Monate später den César als Bester Dokumentarfilm. Bromberg nahm ihn dankbar entgegen, ohne ein Wort über die Mitwirkung Ruxandra Medreas zu verlieren. Weitere Preise folgten und ich denke, Bromberg hat gut verdient an Clouzots Passion.
Was es mit dem Titel »Retour de Flamme« auf sich hat, erfuhr ich tatsächlich erst im Zuge der Berichterstattung über den Prozess in Créteil. Tatsächlich war das Brombergs Markenzeichen. Der Höhepunkt des Spektakels, in das er die Vorführung seiner geborgenen Filmschätze weltweit verwandelte, bestand darin, dass er dem Publikum zwei Filmstreifen präsentierte, der eine auf Sicherheits-, der andere auf Nitrofilm. Dann holte holte ein Feuerzeug aus der Tasche, um Letzteren zum Entzücken des Publikums in Brand zu setzen. Seit der Nacht vom 11. auf den 12. August 2020 setzt er die Show unverdrossen fort, allerdings ohne Feuerzauber.
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