Das versprochene Gelingen
Die Trauer ist nicht schwarz oder doch wenigstens grau zu Beginn von »The Souvenir II«, sonder weiß. Die Szenerie ist mal in gleißende, mal gefiltert milde Helligkeit getaucht. Julies Welt ist ausgeblichen nach dem rätselhaften Tod ihres ebenso rätselhaften Geliebten Anthony.
Diese Entsättigung passt zu den anmutig bleichen Gesichtern von Honor Swinton Byrne und ihrer Mutter Tilda. Beinahe hätte ich sie dem Naturell einer Digitalkamera zugeschrieben, aber tatsächlich hat Joanna Hogg ihr Sequel zum Teil auf Filmmaterial gedreht. Er ist ohnehin ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Also keine Sorge, später kehren die Farben zurück, zumal ein Rot, das leuchtet, als hätten Jack Cardiff und Michael Powell hinter der Kamera gestanden.
Part 2 läuft weiterhin an den Wochenenden im "fsk" in Berlin und ist im Zweifelsfalle auch als Import-DVD bzw. Blu-ray erhältlich. Eingangs knüpft er an den Vorgänger an, erzählerisch sogar ganz unmittelbar: gerade so, wie »Ein Quantum Trost« an »Casino Royale« anschließt. Anfangs legt er auch das Korsett des im ersten Teil definierten Vorhabens eines semibiographischen Spiegelkabinetts noch nicht ab. Dass die Filmstudentin Julie in ihrem Abschlussfilm ausgerechnet ihr Trauma aufarbeitet, gleichsam der Versuchung des Offensichtlichen nachgibt, war mir zunächst ein wenig zu viel an raffinierter mise-en-abyme. Aber ihr graduation film, den man am Ende sieht, entpuppt sich anders. Hoggs Projekt eines Film über eine Filmemacherin mag zwar noch immer ein Kritikerköder sein, aber eine Ausladung ans Publikum ist er nicht.
Meine Warnung, »The Souvenir II« ließe sich nicht voraussetzungslos anschauen, darf ich einschränken. Hogg macht es dem Publikum nicht schwer, sich im Danach zurechtzufinden. Julie stellt Nachforschungen an zu den letzten Stunden und Gründen Anthonys, sie leistet Detektivarbeit in eigener Sache. Die Trauerarbeit vollzieht sich in sehr britischer Manier, voller Verlegenheit angesichts der Notwendigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken. Die Fürsorge ihrer Eltern ist akkurat; die Szene mit der selbstgefertigten Keramik-Zuckerdose, auf die die Mutter stolz ist und die ihre Tochter zerschellen lässt, ist großartig: „Worse things happen at sea“ sagt der unerschütterlich gleichmütige Vater. Auch auf das Wohlmeinen ihrer Kommilitonen kann sie zählen: Ihr Umfeld ist eine ausgemachte Verschwörung zur Heilung. Aber natürlich muss Julie auf eigenen Füßen stehen. Sie setzt sich über den Widerstand ihrer Professoren hinweg, die Form und Inhalt ihres Drehbuchs mit höflicher Schärfe kritisieren: "These characters don't seem to relate to you" - aber was wissen die schon?
Es dauert, bis sie ihre Stimme erhebt bei den Dreharbeiten, man traut ihr erst nicht zu, dass sie das Steuerrad fest in der Hand hält. Als die Darsteller Zweifel haben an einer Szene, sagt sie "That's how it happened.", fast entschuldigend, auf keinen Fall fordernd. Der Kameramann hadert mit ihrem Hang zur Improvisation. Sie erfährt Unterstützung, anfangs nicht aus Zutrauen, sondern weil sie sie braucht. Aber sie kennt ihre Geschichte und weiß, was sie will. Nein, keine Schauspielerin für ihre Hauptrolle, sondern besser eine Filmstudentin, wie sie eine ist. Ihr Selbstbehauptungswille wächst.
Die kritische Begeisterung für den ersten Teil, die ich vor ein paar Tagen zitierte – ein künstlerischer Durchbruch, eine Selbstfindung – erscheinen mir jetzt als Vorschusslorbeeren, die der zweite einlöst. Julie blüht auf während ihrer Dreharbeiten. Die verblüffenden Naturimpressionen, für die die Montage reichlich Platz findet, sekundieren dem. Eigentlich viel zu naiv für einen derart selbstreflexiven Film, möchte man meinen, aber doch stolze Inseln lyrischer Ursprünglichkeit. Julie löst ihre streng zurückgekämmten Haare, und der Film tut es ihr gleich. Nie zuvor hat Hogg die Kamera so häufig und nachdrücklich bewegt wie diesmal. Diese nicht suchende, sondern findende Agilität besiegelt, wohin es gehen wird für Julie. Das "future self", das in einer Musicalnummer besungen wird, zeichnet sich ab.
Der Film wird von Szene zu Szene lebhafter. Aber das bereitete mich noch nicht auf die Euphorie vor, die mich beim Ansehen des Abschlussfilms ergriff. Das ist er nicht buchstäblich, vielmehr eine Alternativversion davon, in der die "realen" Darsteller von Julies Geschichte auftreten. Der Film (oder der Film im Film?) entfesselt sich, mit souveränen Anleihen bei Powell &Pressburger (die Jenseitstreppe aus »A Matter of Life and Death«, die roten Schuhe, die venezianische Gondel aus „Tales of Hoffmann“) und beschwingten Zitaten aus Hoggs tatsächlichem Abschlussfilm »Caprice«. Er löst ein Versprechen von Erfüllung, Gelingen ein. Danach bitte unbedingt den Abspann zu Ende sehen. In ihm fügt Anna Calvis „Drive“ den letzten Stein ins Gebäude des Films ein. "Is this all there is?" fragt sie unablässig, nicht ohne Wehmut, aber voller Erwartung.
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