Subversive Flausen
Die Deutschlandpremiere von „Kill Bill 1“ ist vielen Berliner Kollegen in bester Erinnerung. Mir ebenfalls, obwohl ich etwas Entscheidendes in Quentin Tarantinos Anmoderation verpasste. An seiner Aussprache wird es nicht gelegen haben, denn die Kollegen haben den Namen verstanden, als er anhob: „Ich widme diese Vorführung dem großen Regisseur....“.
Meine Sitznachbarin war keine große Hilfe. Sie konzentrierte sich ganz auf Uma Thurman, die zur Unterstützung ihres Regisseurs mitgekommen war (oder umgekehrt). Sie beschäftigte die Frage, ob man ihr die gerade bekannt gegebene Trennung von Ethan Hawke anmerken würde. Also erfuhr ich erst viel später, dass Tarantino den Namen Alfred Vohrers genannt hatte. In Interviews tönte er seinerzeit, Vohrer sei ein Genie, pries ihn als den deutschen Hitchcock. Das ist selbstverständlich Unfug. Allerdings schaute sich der Wallace-Regisseur viele Ideen beim frühen Hitchcock ab. Etwa die Untersperspektive eines Waschbeckens, dessen Boden ebenso durchsichtig ist wie die Zimmerdecke in „The Lodger“. Er ahmte auch zahlreiche der verstiegenen Perspektiven nach, die Hitch sich in seiner britischen Periode noch erlaubte, später aber gewiss kindisch fand .
Das Faszinosum, das die Wallace-Filme für spätere Filmemacher-Generationen darstellt, sollte man nicht unterschätzen. Jacques Audiard erzählte mir einmal, dass er das Remake eines Films drehen wollte, den er unter dem Titel „Le Vengeur defie Scotland Yard“ kannte. Es handelte sich um „Der Rächer“ von Karl Anton. Zum Glück hat er stattdessen „Fingers“ von James Toback neu verfilmt. Aber zurück zu Vohrer. Eine der ersprießlichen Fragen, von denen ich gestern sprach, ist natürlich die, ob man ihn als den auteur seiner Wallace-Filme betrachten darf. Die Vorspanne lassen daran keinen Zweifel, von „Die toten Augen von London“ an kündigen sie einen „Alfred -Vohrer-Film“ an. Er erhält also, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt noch keine nennenswerten Sporen verdient hat, von der Produktion bereits jenen possessory credit, den gekränkte Drehbuchautoren glühend hassen. Und obwohl an den Filmen so smarte Szenaristen wie Herbert Reinecker und atmosphärisch begabte Kameraleute wie Karl Löb mitwirken, tragen sie doch unzweifelhaft Vohrers Handschrift. Er tritt übrigens nicht nur als Regisseur in Erscheinung, sondern leiht seine Stimme für diverse Telefongespräche aus - und nicht zuletzt für das Vorspannmotto „Hier spricht Edgar Wallace“ (zunächst in der falschen Aussprache des Nachnamens, die dann korrigiert wird). Er tritt gelegentlich vor der Kamera auf, beispielsweise als Hotelportier, augenblicklich zu erkennen an der Sonnenbrille und dem fehlenden rechten Arm (seine Kriegsverletzung zieht sich als Motiv durch die Reihe: Hans Nielsen spielt in „Die Tür mit den sieben Schlössern“ einen einarmigen Anwalt; der junge Erbe, der in „Neues vom Hexer“ entführt wird und dann Freundschaft mit furchterregenden Tigern schließt, ist unvergesslich).
Ein zentraleres Motiv ist der Voyeurismus. Kein Film kommt ohne wenigstens drei Großaufnahmen starrender Augen aus. Vohrer spielt raffiniert mit den Strategien des Blicks, lässt die Kamera gern die Perspektive des Mörders einnehmen (hinter dem schwingenden Titelrequisit in „Das indische Tuch“), gern auch mal die einer Giftschlange oder so unmögliche Blickwinkel wie den einer Leiche. Bizarre Spiegelungen gibt es allerorten. Die Vierte Wand durchbricht er ständig, regelmäßig adressieren seine Akteure das Publikum. Die filmische Illusion hebt er nachdrücklich aus den Angeln. Zwar gibt es auch in anderen Wallace-Filmen Anflüge von Selbstironie, etwa in „Der grüne Bogenschütze“ (Regie: Jürgen Roland), aber bei Vohrer ist dieses Element konstituierend. Ihm ist nichts heilig. Die neckisch experimentellen Soundtracks von Peter Thomas oder Martin Böttcher unterminieren jeden Ernst. Die Schurken oder öligen Verdächtigen (Harry Wüstenhagen!) interessieren ihn insgeheim viel mehr; Kinski ist bei ihm schillernder als in seinen Einsätzen für andere Regisseure; auch für die Monstren, die der arme Adi Berber spielen muss, hegt er ein Gran mehr Sympathie. Zuweilen spielen seine Krimis zum Horrorgenre hinüber (Pinkas Braun als Mad Scientist in „Die Tür mit den sieben Schlössern“). Im Gegenzug ist sein „London“ erfreulich divers: Ganz selbstverständlich tauchen Schwarze in seinen Nachtclubszenen auf.
Vohrers inszenatorischen Sperenzien mischen die Serie mächtig auf. Letztlich sind sie keine subversiven Geniestreiche, sondern Flausen. Aber sie summieren sich zu einem schelmischen Zersetzungswerk: Er beißt in die Hand, die ihn füttert und die lässt es sich gern gefallen, weil die Kasse stimmt. Dem Bild des Autors, der sich souverän über einen Stoff erhebt, scheint er ideal zu entsprechen. Aber er tut es nicht nonchalant, sondern spöttisch. Diese Autorenschaft ist nicht nur die parodistische Überhöhung ihres Gegenstands, sondern ihrer selbst.
Er unterläuft ja auch nicht alle Wallace-Konventionen. Die altherrenhaften Scherze von „Sir John“ Siegfried Schürenberg nimmt er in Kauf und stattet dessen Sekretärinnen pflichtschuldig mit Pin-up-Appeal aus. Lag sein Herz in diesen Filmen? Auf diesem Terrain befriedigter er wohl eher den Spieltrieb eines robusten Zynikers. Das traf sich später nicht mehr so prächtig. An seine Simmel-Verfilmungen der 1970er erinnere ich mich nur noch wegen der vulgär entfesselten Kamera Charly Steinbergers. Er drehte ein, zwei Heimatfilme (wahrscheinlich nicht schlechter als Reinl, aber was heißt das schon?), als die in den 70ern kurzzeitig wieder in Mode kamen. Die etwaigen Meriten von „Jeder stirbt für sich allein“ müsste man überprüfen. Danach bewies er als immens vielbeschäftigter Fernsehregisseur eine verstörende Elastizität – er inszenierte nicht nur Folgen von „Derrick“ oder „Der Alte“, sondern eben auch jede Menge „Schwarzwaldklinik“ und „Traumschiff“.
Tarantinos Erweckungserlebnis in Sachen Vohrer war übrigens „Die blaue Hand“ von 1967, den er als Teenager in einem Autokino in Tennessee sah. (in den USA hieß er „The Creature with the Blue Hand“.) Das ist schon ein Spätlicht der Wallace-Reihe. Vohrers Elan hat merklich nachgelassen. Kinski ist zwar ungeheuer interessant in seiner Doppelrolle und das Ringen des Butlers mit den Skeletten ulkig beiläufig. Aber Kreatur mit der blauen Hand macht keinem mehr Angst. Erst gegen Ende schlägt der Film die bewährten makabren Kapriolen – das Aufgebot der Ratten und Giftschlangen, das Diana Körner in ihrer Zelle mürbe machen sollen, ist in der Tat imposant. Im Fernsehen läuft „Die blaue Hand“ nie. In Farbe wirken die Wallace-Filme nicht mehr so nostalgisch. Wäre trotzdem mal eine Programmidee für die nächsten Feiertage.
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