Der korrumpierte Garten
Ist es nicht wunderbar, wie das Kino unseren Wortschatz unaufhörlich erweitert? Ohne »Die Zähmung der Bäume«, der heute Kinos anläuft, hätte es bestimmt noch Jahre gedauert, bis ich auf den Begriff „Dendrologie“ gestoßen wäre; wenn überhaupt je. In diesem Beruf hat man schließlich nur selten die Gelegenheit, sich mit Fragen der Gehölzkunde auseinanderzusetzen.
Allerdings entführt Salomé Jashis Film auch in Sphären der Wirklichkeit, die man sich nie hätte vorstellen mögen. Alexandra Seitz hat fürs aktuelle Heft eine leidenschaftliche Kritik zu ihm geschrieben. Sie ist angemessen empört, nicht über den Film, sondern über seinen Anlass: die irrwitzigen Raubzüge, die der georgische Milliardär Bidsina Iwanischwili durch die Natur seiner Heimat unternehmen lässt, um außerordentlich imposante Bäume für seinen dendrologischen Park an der Schwarzmeerküste zu erbeuten. Über 60 Hektar erstreckt er sich in Shekvetili dieses Monument einer Laune, die verheerende Spuren in der Flora und den Gemeinwesen hinterlässt, denen die entwurzelten Bäume zuvor angehörten.
Jashi, das macht die Kritik deutlich, geht es um eine zugleich ökologische wie soziale Verwüstung. "Zähmung" klingt in diesem Zusammenhang fast verharmlosend. Sie ist ein Prozess der Anpassung, deren Ziel das Zutrauen ist. In „Der kleine Prinz“ ist sie gar ein Synonym für Liebe. Der Originaltitel »Taming the Garden« wiederum mutet wie ein Pleonasmus an: Ist ein Garten nicht ohnehin schon gebändigte, geordnete Natur? Dennoch besitzen beide Varianten eine nicht nur poetische Triftigkeit, wenn man den Garten als Sinnbild der Lebensentfaltung betrachtet, dessen ursprüngliches, mythologisches Zentrum der Baum bildet. Er stellt eine Verbindung zwischen Himmel und Erde her, die auf Geheiß des Milliardärs zerstört wird. Vertrauen wir uns also Jashis Titelwahl an, zumal ihr Dokumentarfilm seine Wut und Betroffenheit eben nicht wie eine Monstranz vor sich herträgt.
Vielmehr entfalten sie sich allmählich in einem Erzählgestus der stillen, hartnäckigen Betrachtung. Dabei wirft »Die Zähmung der Bäume« ein Grundproblem des Kinos auf: die Rolle, welche die Schönheit in ihm spielt. Die Bilder, die Jashi für die Verheerungen findet, muten verblüffend oft idyllisch an. Redlicherweise lässt sie keinen Zweifel daran, dass diese Idylle befleckt, korrumpiert ist. Aber vorerst besitzen die entwurzelten Bäume noch die Anmut, die ihnen in Jahrzehnten erwachsen ist. Die Einstellung, in welcher der Wipfel einer majestätischen Kastanie sich seinen Weg durch eine zuvor rabiat in den Wald geschlagene Schneise bahnt und andere Wipfel streift, wirkt erst einmal wie ein Moment der unerwarteten, ja harmonischen Begegnung. Die Regisseurin scheut diese Schönheit nicht. Ihr Publikum soll sie aushalten. Die Montage des Films besteht jedoch in einem Prinzip der Integrität. Die Eingriffe von Iwashnivillis Trupps in die Natur vernichten sie. Der Film kann sie nicht wieder herstellen, sondern muss ihr Auseinanderbrechen bezeugen. Das Unbehagen und die Beklemmung, die er weckt, entstehen aus der Wahl der Blickwinkel und Einstellungsgrößen. Simpel gesagt: Eine Totale entlarvt. Die Gesamtsicht beklagt, wie ungeheuerlich es ist, wenn ein Baum brüsk seiner natürlichen Umgebung entrissen wird.
Wenn er später jedoch, einer ambulanten einsamen Insel gleich, über das Meer verschifft wird, gewinnt sein Anblick eine rätselhafte Schönheit. Die ursprüngliche wird ihm nicht zurückerstattet, das geht gar nicht mehr, er entwickelt eine neue. Die Szenerie wirkt friedlich, aber ihr ist ein doppelter Boden eingezogen. Der Frieden ist surreal. Der Anblick ist, wie es in einem Statement der Regisseurin heißt, eine Störung des Realen. So hat sie die Nachrichtenbilder empfunden, durch die sie auf Iwashniwilis unfassbares Steckenpferd aufmerksam wurde. Ich denke, sie hat ihre filmischen Lehren gezogen aus dem Surrealismus, der als Bewegung in der Bildenden Kunst stets auf einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung beharrte, aber von Bizarrerien, Albträumen und Abgründen erzählte.
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