Ein gewissenhafter Romantiker
Durch den Tod Anna Karinas hat die Filmreihe, auf die ich Sie heute hinweisen möchte, eine traurig nostalgische Aktualität gewonnen. Die Schauspielerin war eine prächtige Interpretin der Chansons von Michel Legrand. Ihr dänischer Akzent mochte ein wenig tapsig wirken, aber das machte sie mit Temperament und Esprit wett: Sie verstand die Leichtfüßigkeit und Wehmut seiner Melodien.
In seiner Godard-Phase fand der Komponist in Karina eine muntere Komplizin. Während ihres Matrosenanzug-Striptease in »Eine Frau ist eine Frau« singt sie das Lied, das später im Album »La chanson d' Angela« heißt, gewissermaßen a capella, im Wechsel mit seiner Musik. Auch der Rhythmus der Tanzszene in »Die Außenseiterbande« wird von kecken Pausen bestimmt. Sie gibt ihn vor, als fingerschnippende Choreographin von Claude Brasseur und Sami Frey, dessen Hut ihr sehr gut steht. (Zwischendrin ist das verschlagene Lispeln des Regisseurs zu hören.) Im Gegenzug umfängt Legrands Musik ihre Leinwandpräsenz ganz wunderbar, das gilt für die hellsichtige Melancholie des Hauptthemas aus »Die Geschichte der Nana S«. Ebenso wie für den fröhlichen Tumult des Ehelebens zu dritt in »Eine Frau ist eine Frau«.
Das Filmhaus Nürnberg widmet dem im Januar verstorbenen Komponisten eine Hommage, die noch bis Anfang Januar zu sehen und hören ist (in schöner Allianz übrigens mit einer Werkschau zu Céline Sciamma, die erfreulicherweise auch »Mein Leben als Zucchini« einschließt) Dem Kurator, Matthias Fetzer, bin ich im letzten Monat bei einem Besuch in Nürnberg begegnet. Er ist, was die Franzosen einen amateur nennen: ein kenntnisreicher Bewunderer, ja Liebhaber. Ich glaube, er besitzt sogar noch alte 45erSingles mit ausgekoppelten Filmsongs. Sich auf 16 Filme aus einem Korpus von rund 200 Titeln zu beschränken, wird ihm schwer gefallen sein. Die Auswahl, die er getroffen hat, ist gescheit. Legrands Zusammenarbeit mit Jacques Demy zeigt das Filmhaus komplett, bis hin zu ihrem unterschätzten Schwanengesang »Trois places pour le 26«. Godard und Agnès Varda sind ebenso vertreten wie Legrands Oscar-Titel »Thomas Crown ist nicht zu fassen« und »Sommer 42«. Das anmutige »The Summer knows« aus Robert Mulligans Melo geht mir seit ein paar Monaten durch den Kopf, denn mit der Melodie experimentierte er bereits in »Der Swimmingpool«. Am Samstag erst hörte ich es in der Gala "Hollywood in Vienna" - nicht in Wien, sondern der Aufzeichnung auf 3SAT, bei der mir wieder einmal klar wurde, dass Legrand zu der Schule von Filmkomponisten gehört, die wieder erkennbare Melodien schreiben, während der nicht weniger talentierte Gabriel Yared, der an dem Abend ausgezeichnet wurde, zur anderen Fraktion gehört.
Eine echte Ausgrabung in Nürnberg (https://www.kunstkulturquartier.de/filmhaus/) ist Francois Reichenbachs Dokumentarfilm »Traumland Goldener Westen«; auch Legrands Partituren für Clint Eastwoods »Begegnung am Nachmittag« und Altmans »Pret à porter« hat man nicht sofort auf dem Schirm, wenn man an den Komponisten denkt. Der Blick ins Programm macht mir am Wochenende Lust, »Der Mittler« von Joseph Losey noch einmal zu sehen. Legrands Musik ist ganz außerordentlich, eine Melodie, die nur aus vier Noten besteht, welche erst auf zwei Solo-Pianos gespielt (das ergibt einen merkwürdigen Echo-Effekt) und sodann in in einem Dutzend unterschiedlicher Variationen durch dekliniert wird. Sie schmiegt sich nicht an die Szenen, reagiert nicht auf die Montage, sondern steht für die Perspektive des Jungen, der zum Briefträger des Liebespaares Julie Christie und Alan Bates wird. Diese Perspektive wandelt sich, es ist Erregung zu spüren und auch Enttäuschung, die melodiöse Chronik einer schicksalhaft besiegelten Erwartung.
An dieser Stelle habe ich schon mehrfach über Legrand geschrieben (ausführlich in den Einträgen "Die Kunst des Entgegenkommens" am 4. 11. 2015 sowie "Ein Königskind" am 27. Januar dieses Jahres), deshalb will ich diesmal Matthias Fetzer zu Wort kommen lassen. Sein Einführungstext zur Hommage ist informativ, aber vor allem sehr schön. Besonders mag ich den Satz "Das Etikett 'Romantik' ist der Baum, der einen Wald aus über 200 Filmen verbirgt." (Er widerlegt zwar meine Überschrift, aber sie hat im Zweifelsfalle ja noch ein Adjektiv.) Überhaupt mag ich seine Metaphern. "Der schwarze Diamant in Jacques Demys Filmografie" schreibt er zu »Die blonde Sünderin«. In den einzelnen Filmbeschreibungen verbindet er elegant deren Handlung oder Entstehung mit prägnanten Analysen von Legrands Beitrag. Wenn Sie also während der Feiertage keine Gelegenheit haben sollten, nach Nürnberg zu fahren, schauen Sie doch zumindest einmal ins Programmheft.
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