Der mittlere Italiener
Seine Figuren waren es gewohnt, von ihren Ehefrauen abgekanzelt zu werden. Es gab immer etwas, das man an ihnen aussetzen konnte: Alberto Sordi repräsentierte das soziale Ungenügen. Selten jedoch hatte das Urteil seiner enttäuschten Gattinen so viel moralisches Gewicht wie aus dem Munde von Lea Massari, die in »Una vita difficile« zu ihm sagt: "Der Bart war das einzig Gute an dir."
Ich liebe diesen Satz. Er ist eine der schönsten Herabsetzungen der Filmgeschichte. Es braucht Format, ihn auszusprechen. So unverblümt redet man nur, wenn einmal Respekt im Spiel war. Das ist Verachtung auf Augenhöhe. Ein solcher Satz funktioniert übrigens nur im Kino. Wobei ich gestehen muss, dass ich ihn etwas milder in Erinnerung hatte: "Dein Bart war noch das Beste an dir."
Den Bart lässt sich Sordi in Dino Risis Film wachsen, als er anfangs noch der Resistenza angehört und sich bei Massari vor den Nazis verbirgt. Einen von ihnen schlägt sie mit dem Bügeleisen nieder. Die Achtung dieser Frau zu gewinnen, müsste eines der großen Privilegien der Neuzeit sein. Aber Sordi verspielt es eigentlich gleich von Anfang an. Er gebiert sich in ihrem Versteck wie im gemachten Nest. Nach dem Krieg wird es nicht besser mit ihm. Gewiss, er hat anfangs noch seine Ideale, ist ein linker Journalist. Aber dann bricht, wie stets bei Sordi, in Italien der Boom an. Der Bart ist längst ab, nun hastet er ungeniert dem Erfolg nach. Sie verlässt ihn, wie könnte sie einen Speichellecker noch achten? Aber es gelingt ihm, sich am Ende vor ihr zu rehabilitieren. Kaum eine Ohrfeige im Kino sitzt so sehr, wie die, die er zum Schluss seinem Boss verpasst. Er nimmt richtig Maß für sie. In der letzten Einstellung stolziert er gemeinsam mit ihr in eine ungewisse Zukunft.
Risis Film von 1961 ist großes Kino, das man in Westdeutschland nie zu sehen bekam, in der DDR hingegen lief er beachtlich (in der Sowjetunion hatte er angeblich sogar 60 Millionen Zuschauer, das behauptete zumindest der Drehbuchautor, der überdies von russischen Dorfkindern berichtete, die ihm in der fernsten Provinz seine Dialoge rezitieren konnten). Im Berliner Arsenal lässt sich das Versäumnis der bundesdeutschen Verleiher nun nachholen, denn dort läuft gerade eine Retrospektive der »Commedia all'italiana«, in der Sordi mit acht Filmen vertreten ist. Das sind mehr, als die anderen Stars der italienischen Komödie – Vittorio Gassman, Marcello, Ugo Tognazzi und Nino Manfredi – zusammen vorweisen können. Obwohl auch die allesamt großartig sind, hat Sordis Vorrang schon seine Richtigkeit. Er ist der Volksschauspieler unter ihnen, das italienische Publikum gab ihm den Kosenamen "nostro Albertone". Gassman und die anderen gehörten ihm nie ganz so, wie Sordi es tat.
Seine Darstellungen sind weitgehend: Er war der Inbegriff des "italiano medio", ein mittlerer Charakter, ein repräsentativer Schauspieler, für dessen Figuren die Wandlung ins Heldenhafte zwar unwahrscheinlich, aber nie völlig ausgeschlossen war. Ganz aufgeben durfte man sie nie. Sordi brillierte als Kleinbürger, der wacker mit der eigenen Korrumpierbarkeit ringt. Jede Rolle eine Wette gegen die Oberflächlichkeit, immer blieb ein untilgbarer Rest des Unbehagens an den Verheißungen des Wirtschaftswunders. Keine wurde daran so närrisch wie Sordi; in »Il Boom« ist er sogar bereit, einem Milliardär ein Auge zu spenden, um den Lebensstil aufrecht zu erhalten, den seine Gattin gewohnt ist. Sordis Tragik liegt nämlich darin, dass er die Ehefrauen immer noch begehrt, aufrichtig und geradezu unschuldig lüstern, obwohl ihr mondäner Ehrgeiz ihm das Leben zum Fegefeuer macht. Sie werden aber auch von einigen der schönsten Schauspielerinnen Italiens verkörpert. In »Il maestro di Vigevano« (von dem ich noch nie gehört hatte, bis ich vor ein paar Wochen den Trailer der Wiederaufführung in Paris sah, der aber eine große Entdeckung der Retro ist) jedoch spielt Claire Bloom sie, eine meiner Lieblingsschauspielerinnen, der ich indes nie ein so renitentes Körperspiel zugetraut hätte.
Einen Darsteller, dem die Mittelmäßigen so sehr liegen, unterschätzt man leicht. Billy Wilder wusste es besser, er sagte, er würde einen Arm dafür hergeben, um einmal mit Sordi zu arbeiten. (Ich nehme an, er hatte er dabei den Hotelmanager aus »Avanti« im Sinn, den Clive Revill dann aber ganz prächtig spielt.) Ein Erzkomödiant, maßlos in seinem Elan (1955 kamen elf Filme mit ihm heraus) und dringend auf Regisseure angewiesen, die als sein Korrektiv fungierten. Er drehte mit den besten, Risi, Alberto Lattuada, Mario Monicelli, Luigi Comencini, auch Luigi Zampi darf man in seinem Fall dazu zählen. Andererseits war sein Instinkt bewundernswert: Als er von Monicelli das Drehbuch zu »Man nannte es den Großen Krieg« erhielt (der fehlt leider in den letzten Jahren bei Retrospektiven der italienischen Komödie, was wahrscheinlich mit Rechteproblemen zu tun hat), war er zuerst entsetzt, dass Gassman sieben Dialogseiten hatte und er keine einzige Replik, komponierte dann aber eine Figur, die im Zentrum steht, weil sie schweigt.
Im Gegensatz zu Louis de Funès, dem anderen. hervorragenden komödiantischen Chronisten des wirtschaftlichen Aufstiegs, verlangen seine Filme nach Schwarzweiß. Es ist das nüchterne Gegengewicht zu seinen hochfliegenden Träumen. Obwohl er als Synchronsprecher für Oliver Hardy begann, ist Sordi ein Kind des Neorealismus. Seine hier zu Lande wohl bekanntesten Rollen spielte er beim frühen Fellini. Da besitzt sein Clownsgesicht noch die Traurigkeit des Lausbuben, der nicht erwachsen werden will. Er wird es nie ganz ablegen. Dabei hält er sich für einen Mann, der gefällt. Ganz sicher ist er sich dessen nicht, aber als Handlungsprämisse taugt die Selbsttäuschung mitunter zuverlässig. Lattuadas »Mafioso« (einer der Lieblingsfilme von Martin Scorsese) handelt von der gründlichen Infantilisierung des erwachsenen Mannes. Nach Sizilien zurückgekehrt, verwandelt sich der nicht nur zugewanderte, sondern auch gestandene Mailänder zurück in den einstigen picciotto, den kleinen Laufburschen der Mafia. Seine Wiedersehensfreude entgleitet in Hysterie; einer wie er hat sich nicht sehr gut in der Gewalt. Um wieder dazuzugehören, braucht es nicht viel mehr als das Licht und die Luft der Heimat; die alte Mütze steht ihm immer noch.
Er wirft sich unablässig in Positur. Haltung anzunehmen, fällt ihm leichter, als sie zu wahren. Vorauseilend ist das Attribut, das mir am ehesten zu seiner Natur und seiner Motorik einfällt. Sordi muss Schritt halten mit der Zeit. Das tut er beschwingt. Übrigens steht er nach dem Krieg, wie wohl viele seiner Landsleute, unter enormem amerikanischen Einfluss. Er träumt von Straßenkreuzern, trägt auch mal Jeans und T-Shirt, tanzt Twist etc. In den Sechzigern legt sich das ein wenig, aber nicht ganz. Er führt furchtbare Leben, wenn man es recht bedenkt. Aber Sordis Komik beruht nicht nur auf der Entlarvung falscher Werte. Als Zuschauer gönnt man ihm seine befristeten Erfolge, gönnt ihm den Wohlstand, zu dem er es bringen will. Er ist Opportunist aus Ergriffenheit und reinen Herzens; dahinter könnte sich also ein reiches Innenleben verbergen.
"Ich habe mich immer bemüht, das Leben zu repräsentieren", sagte Sordi einmal, „und das ist zu drei Vierteln komisch.“ In der Tat ist dieser Schauspieler ein prächtiger Beobachter und Verwerter des Menschlichen. Was seine Rollen indes über die Privatperson verraten, ist mir ein Rätsel - wenngleich eines, das nicht unbedingt der Klärung bedarf. Eine seiner Ehefrauen ließ sich von ihm scheiden, weil sie sich langweilte und er sich wie ein muttersöhnchenhafter Macho gebärdete. Sie hätte gewarnt sein können, aber offenbar ging sie nicht oft in seine Filme.
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