Schreiben im Süden
Die heute beginnende Berlinale wurde von ihrem Leiter vor einigen Tagen unter ein bemerkenswertes Motto gestellt. Dieter Kosslick ist zwar nie darum verlegen, eine griffige Formel für den jeweiligen Jahrgang zu finden, die allseits erhebende Wirkung erzielt. Die diesjährige jedoch hat es wirklich in sich und sollte nicht nur die Zyniker unter uns aufhorchen lassen: Mut.
In den nächsten zehn Tagen soll in politisch schweren Zeiten wieder ein starkes Zeichen gesetzt werden. Dabei wird zweifellos weniger Heldenmut, als Zivilcourage beschworen. Als Bekenntnis zu einer privaten, aber eben auch universellen Tugend scheint das goldrichtig für ein Festival der Umarmungen. Ob sich die Losung am übernächsten Wochenende als Gratismut erweisen wird, ob sich der Wagemut im Thematischen erschöpfen darf oder auch ästhetische Risiken eingegangen werden können bleibt abzuwarten. So oder so ist dies eine Forderung, deren Erfüllung man mit Spannung entgegensehen darf.
Eine diesbezüglich geeignete Jury hat die Festivalleitung jedenfalls ausgewählt. Deren Präsident Paul Verhoeven ist schließlich als furchtlos bekannt. Noch vielversprechender könnte in dieser Hinsicht die Juryteilnahme der tunesischen Produzentin Dora Bouchoucha sein. Für dieses Mandat hat sie sich wahrscheinlich mit einem Satz empfohlen, der ihr während der letztjährigen Preisverleihung über die Lippen und bestimmt auch aus dem Herzen kam. Als ihre Produktion »Hedis Hochzeit« den ersten (als bester Erstlingsfilm) von zwei Silbernen Bären gewann, dankte sie den Anwesenden, »dass Sie die Menschlichkeit wieder hergestellt haben«. Damit erweiterte sie die traditionellen Zuständigkeiten eines Filmfestivals um eine Dimension, die ihren Gastgebern gewiss geschmeichelt hat.
Aber Bouchoucha kann nicht nur blumige Reden halten. Sie besitzt eine Gabe, die bei einem Produzenten wünschenswert, aber keineswegs selbstverständlich ist: Sie kann ermutigen. Die Tunesierin wirkt federführend an diversen Programmen der französischen Filmförderung CNC mit. Darüber hinaus ist sie die Gründerin einer bemerkenswerten Institution, dem »Atelier Sud Ecriture«. Der Name dieser Drehbuchwerkstatt war mir erstmals im Abspann von »Hedis Hochzeit« aufgefallen. In diesem Jahr entdeckte ich ihn erneut, nun im Abspann von »Corps étranger« von Raja Amari (»Satin Rouge«), der im Forum läuft – mithin außerhalb der Jurisdiktion Bouchouchas, die sich nur auf den Wettbewerb erstreckt. Im Film, einer interessanten Melange aus Flüchtlingsgeschichte und Bourgeosie-Drama, hat übrigens Majd Mastoura, der Darsteller des Hedi, zwei kurze Auftritte. In beiden Abspannen fiel mir zudem der Name eines alten Bekannten auf, dem Mohamed Ben Attia, der Regisseur von »Hedis Hochzeit«, ausdrücklich dankt: Jacques Fieschi.
Wir kennen uns seit den späten 1990er Jahren, als ich den Start von »Place Vendôme« als Anlass nutzte, eine TV-Dokumentation über ihn zu drehen. Zu diesem Zeitpunkt war Jacques längst ein gefragter Drehbuchautor im französischen Kino. Von ihm stammen die Szenarien der letzten drei Filme von Claude Sautet, der sofort bereit war, als Interviewpartner an unserem Porträt mitzuwirken. Jacques war zunächst Filmkritiker und gab die wunderbare Zeitschrift »Cinématographe« heraus, die er später verkaufte (heutzutage unvorstellbar, dass sich noch ein spendabler Interessent für eine Filmzeitschrift fände), um dann den Einstieg ins Filmgeschäft als Darsteller und Co-Autor bei Maurice Pialat zu schaffen. Er hat Bücher für Benoit Jacquot (über ihren »Sade« drehten wir dann später eine weitere Folge des leider eingestellten Kinomagazin auf 3sat), Olivier Assayas und andere geschrieben, oft arbeitet er mit den Regisseurinnen Anne Fontaine und Nicole Garcia. Als ich ihn am vergangenen Sonntag anrief, war er einigermaßen bestürzt über den deutschen Verleihtitel seiner jüngsten Zusammenarbeit mit Garcia: »Die Frau im Mond«, so heißt doch der Stummfilm von Fritz Lang, bei dem er sich in seine Hauptdarstellerin Gerda Maurus verliebte?« Auch der angehängte Zusatztitel, »Erinnerungen an die Liebe«, ließ ihn erschaudern: »So hält man die Leute wirklich davon ab, ins Kino zu gehen!« Zum Filmstart Anfang März haben wir uns wieder verabredet. Bei der Gelegenheit hoffe ich, Ihnen vermitteln zu können, weshalb die letzten Dialogsätze seiner Drehbücher oft so genial sind.
Aber heute soll es um die Drehbuchschmiede in Tunesien gehen. Am »Atelier Sud Ecriture« ist Jacques seit 2002 beteiligt. Schenkt man der Website Glauben, hat er an einer veritablen Erfolgsgeschichte mitgewirkt: Fast die Hälfte der dort entwickelten Bücher wurden tatsächlich verfilmt und liefen auf diversen Festivals. Die Werkstatt gibt es seit 1997. In jedem Jahr werden bis zu sechs Buchprojekte ausgewählt. Die Einreichungen stammten bisher zu Großteil aus dem Maghreb, insbesondere aus Tunesien, aber auch dem Kongo, Tschad, der Elfenbeinküste und dem Libanon. Es sind die ersten oder zweiten Filme der Kandidaten. Sie arbeiten eine Woche lang mit einem Mentor wie Jacques, schreiben im Anschluss das Buch in zehn Wochen um und treffen sich am Ende für eine zweite Sitzungswoche mit ihm.
Jacques stammt selbst aus dem Süden. Er wurde in Oran geboren, als Algerien noch eine französische Kolonie war. Seine Herkunft spielte in seiner bisherigen Filmarbeit keine nennenswerte Rolle, wohl aber in seinen zwei Romanen, »L'eternel garcon« und »L'homme de la mer«. Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, wie er bei unserer ersten Begegnung aus seiner Kindheit in Oran erzählte, als spätabends das Leben erst richtig begann und man um Zehn ins Kino ging.
Die Mitwirkung an der Drehbuchwerkstatt sieht er nicht als kinematographische Entwicklungshilfe, obwohl ihm natürlich bewusst ist, dass in diesen Ländern kaum industrielle Strukturen für das Kino existieren. »Ich lerne mindestens ebenso viel dabei, erfahre viel über die Länder, aus denen die Bücher stammen«, erläuterte er mir, »über deren Mentalität, Gesellschaft und deren Mythologien. Die Arbeit mit den Autoren ist wie eine Reise für mich.« Das war mir als Antwort etwas zu artig, deshalb hakte ich nach. Was sind die erzählerischen Probleme, mit denen er am häufigsten konfrontiert wird? Welche Schemata gilt es zu durchbrechen? Aber Jacques' Antworten blieben ausweichend und diplomatisch. Ein Spannungsfeld jedoch hob er hervor. Ihm sei aufgefallen, wie stark die Bücher in die nordafrikanischen Tradition der mündlichen Überlieferung, vor allem des Märchens, eingebunden seien, woraus sich ein reizvoller Kontrast zur wesentlich realistischen Orientierung des Gegenwartskinos ergebe.
Gab es dabei Reibungsverluste? Auch darüber verlor er kein Wort. Jacques' Zurückhaltung verblüffte mich sehr. Sonst kenne ich ihn als jemanden, der streng mit der eigenen Arbeit (und der seiner Regisseure) ins Gericht gehen kann. Später wurde mir klar, dass ich in eine Sphäre vorgedrungen war, in der ein Filmkritiker vorerst noch nichts zu suchen hat. Ich hatte den geschützten Raum verletzt, in dem die Arbeit zwischen Autoren und Mentor stattfinden soll. Jacques hatte recht, mich zu entmutigen.
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