Offshore in Eldorado
Die Veröffentlichung der »Paradise Papers« führt uns gerade wieder einmal vor Augen, wie groß die Sorge der Mächtigen und Superreichen um ihr Vermögen ist. Zwar ist das Unbehagen ohnehin weit verbreitet, seine Einnahmen mit den Steuerbehörden zu teilen. Aber angesichts der aktuellen Enthüllungen muss man den Endruck gewinnen, die Angst davor steige proportional zur Höhe des angehäuften Wohlstands. Fast möchte man sich selbst darum beneiden, ein armer Schlucker zu sein.
Wie in den »Panama Papers« (siehe »Ein Operettenstaat« vom 5.4.2016) tauchen auch hier einige Filmleute auf. Der Name Harvey Weinstein findet sich in den Dokumenten, was niemanden wirklich überraschen muss. Etwas verblüffender ist da schon die Erwähnung von Jean-Jacques Annaud, der seine erkleckliche Regie-Gage für »Sieben Jahre in Tibet« auf Jersey gebunkert hat. Hingegen ist nicht anzunehmen, dass der Disney-Konzern in den Dokumenten genannt. Das Mäuseimperium muss sich nicht hinter Briefkastenfirmen auf irgendwelchen Kanalinseln verbergen, da es im kalifornischen Anaheim bereits sein eigenes Steuervermeidungsparadies gefunden hat. Mit seinem Resort und diversen Themenparks ist das Unternehmen der größte Arbeitgeber der Stadt, die darüber hinaus von Kaliforniern gern aufgesucht wird, weil man sich dort etwas problemloser und kostengünstiger scheiden lassen kann als anderswo.
Sollten die Berichte stimmen, die Ende September in der »Los Angeles Times« veröffentlicht wurden, übt Disney seit Jahrzehnten massiven Einfluss auf den Stadtrat aus und finanziert den Wahlkampf zugeneigter Kandidaten. So soll es der Firma beispielsweise gelungen sein, für eine Laufzeit von 45 Jahren eine Befreiung von der dort anfälligen Unterhaltungssteuer zu erwirken. Offshore mitten im Eldorada State. Auch sonst hat der Konzern großen Einfallsreichtum dabei entwickelt, andere die Rechnung zahlen zu lassen. Die Stadt errichtete neben Disneyland für rund 108 Millionen Dollar ein kolossales Parkhaus, dessen Einnahmen aber komplett an den Betreiber gehen. Bei Parkgebühren von 20 $ für einen normalen und 35 $ für einen Premiumplatz nahe der Fahrstühle kommen da im Jahr leicht 35 Millionen zusammen. Auch beim Bau eines Hotels hat Disney die Stadt anscheinend nach Kräften über den Tisch gezogen. Derlei Rabatte und Steuergeschenke sind dem Konzern momentan höchst willkommen, falls die Gerüchte über Expansionspläne stimmen sollten, von denen später noch die Rede sein wird.
Ich nehme an, die Journalisten der LA Times haben ihren Artikel gründlich recherchiert (das Korrektorat indes nicht ganz so gründlich: Im ersten Teil wird der Börsenwert des Konzerns mit 152 Milliarden Dollar veranschlagt, im zweiten mit 154). Natürlich bestreitet Disney die Vorwürfe. Aber anstatt von der Zeitung eventuelle Richtigstellungen zu verlangen oder juristisch gegen sie vorzugehen, hat man sich für Repressalien entschieden: Fortan soll ihren Filmkritikern der Zugang zu Pressevorführungen verwehrt werden. Erfreulicherweise haben zahlreiche US-Kollegen sowie die durchaus noch einflussreichen Kritikerzirkel in Los Angeles, Boston und New York sowie der nationale Dachverband mit der Zeitung solidarisiert. Eigentlich ist zwar der Großteil der Disney-Produktionen critic proof, aber zu Beginn der Awards Season wird man doch nervös, denn die Verbände haben mit dem Boykott von Disneyfilmen bei der Auswahl ihrer Jahresbestenlisten gedroht. Das ist eine zwiespältige Maßnahme, aber wohl ein mächtiges Instrument. Nachdem sich eine PR-Katastrophe abzeichnete, hat die Konzernleitung eingelenkt. Das ist ein schöner David-Goliath-Triumph, der den Konzern aber gewiss langfristig nicht in die Schranken weist.
Ein so dominierendes Studio wie Disney hat es in der Geschichte Hollywoods noch nicht gegeben. Nicht zuletzt durch den Kauf von Pixar. Lucas Film und Marvel ist die Firma seit Jahren der unangefochtene Marktführer. Der Marktanteil liegt bei rund 22 Prozent. Er wird mit nur wenigen Filmen erwirtschaftet: Das Disney-Portfolio umfasst in diesem Jahr gerade einmal acht Titel. (Der ärgste Konkurrent Warner Bros. bringt doppelt so viele heraus.) Disney kann sich diese Konzentration auf unzüchtig teure Blockbuster leisten, denn Filme wie »Thor« sind derzeit Selbstgänger an der Kinokasse. Im Dezember steht der Start der zuverlässigsten Gelddruckmaschine an, »Star Wars: The Last Jedi«. Aber auch hier scheint die Regel der proportional steigenden Sorge zu greifen. Das Studio diktiert den Kinos präzedenzlose Bedingungen: Sie müssen sich verpflichten, den Film mindestens fünf Wochen im größten Saal zu zeigen und 65 % ihrer Einnahmen an Disney zu zahlen. Bei der letzten Episode des Sternenkriegs-Franchises waren es noch vier Wochen und 64 %; andere Studios fordern maximal 55 % für ihre Premium-Titel. Kleinere Kinos können es sich unter diesen Umständen nicht leisten, »The Last Jedi« ins Programm zu nehmen und rufen ihrerseits zum Boykott auf. Ob Disney sich von diesem David einschüchtern lässt, ist fraglich.
In dieser angespannten Situation werden nun Pläne laut, das Studio wolle einen seiner traditionellen Konkurrenten kaufen: 21th Century Fox, wo übrigens einst, noch im 20. Jahrhundert, die »Star Wars«-Saga vom Stapel lief. Wie Hanns-Georg Rodek in der »Welt« feststellt, ist Disney übrigens das einzige Hollywoodstudio, das nie von einem anderen Konzern gekauft wurde, sondern immer sich selbst gehörte. An der Börse ist die Fox derzeit mit rund 50 Milliarden Dollar notiert. Anscheinend ist der Mediengigant vor allem an ihren Filmrechten interessiert, um das eigene Streamingportal mit Content füllen zu können und so Netflix und Co. das Fürchten zu lehren. Von der Kritiker-Blacklist zur Fox-Backlist – da kann einem tatsächlich mulmig werden; gleichviel, ob man nun Journalist, Kinobesitzer oder Stadtrat in Anaheim ist.
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