Ein Operettenstaat
Aus gegebenem Anlass blickte ich gerade noch einmal in ein Interview, das ich vor 15 Jahren mit John Boorman aus Anlass des Kinostarts von »Der Schneider von Panama« führte. »Ein wirklich seltsamer Ort«, sagt der Regisseur über den Schauplatz seiner John-Le-Carré-Verfilmung. »Man fährt nur 40 Minuten vom Atlantik zum Pazifik auf diesem Kanal, der den Kontinent willkürlich halbiert.«
Eigentlich hatte ich ihn zum Motiv des Exils, der Entwurzelung befragt, das sich in seinem Werk ebenso wie in dem des Romanciers findet. Aber im Licht der jüngsten Enthüllungen lohnt es sich, seine Antwort in ihrer Gänze zu zitieren: »Panama City ist eine aufstrebende Metropole, in der es 85 unterschiedliche Banken gibt. Dabei hat das Land noch nicht einmal eine eigene Währung. Drogengeld wird gewaschen, Korruption und Kidnapping sind eine eigene Industrie, es gibt zigtausend Leibwächter – besonders Ex-Mossad-Agenten sind sehr gefragt. Panama ist ja seit jeher ein Synonym für undurchsichtige Geschäfte und legale und moralische Grauzonen. Die Hälfte aller Schiffe fährt weltweit unter der Flagge Panamas, wegen der Steuervorteile und laxen Sicherheitsbestimmungen.«
Mittlerweile dürften es noch ein paar mehr Banken sein. Von Anwaltskanzleien, die für wohlhabende Kunden Briefkastenfirmen zum Zweck der Steuerflucht gründen, sprach Boorman seinerzeit noch nicht. Hellsichtig klingen seine Impressionen von dem Drehort trotzdem. Fast noch mehr als die Aufdeckungen der »Panama Papers« faszinierte mich bei der morgendlichen Zeitungslektüre die Information, dass die einfache Durchschiffung des Kanals 150.000 Dollars kostet. In diesem Land versteht man es wirklich, Geld zu verdienen! Allein seine geographische Lage vermag es in Hunderte von Millionen umzumünzen, die einen maßgeblichen Anteil am Bruttoszozialprodukt darstellen. An der Herstellung von Panama-Hüten hingegen dürften das Land nicht verdienen, die entstehen seit jeher in Ecuador.
Als Finanzstandort tauchte Panama im Kino bislang nur am Rande auf. Gewiss, als Drogenumschlagplatz hat es eine gewisse Bedeutung für das US-Kino der letzten 30 Jahre. Immerhin hat es auch hochkarätige Schurken wie Noriega hervorgebracht. In einem der besten Thriller überhaupt, »Das Kartell«, kommt Panama nur am Rande vor. Welche Rolle es 2015 in »The Fantastic Four« spielt und sechs Jahre zuvor in »Fast & Furiuos – Neues Modell, Originalteile«, entzieht sich momentan meiner Kenntnis. Eine Ahnung habe ich schon: Aus US-Perspektive erscheint Mittel- und Lateinamerika ja gern als ein rechtsfreier Raum, ein Terrain der Verworfenheit, an dem schmutziges Geld reingewaschen wird. In John McTiernans »Basic« unterliegt es einer Art imperialem Zugriff, auch da muss sich niemand um Legalität scheren. Die IMDb verzeichnet 75 Filmtitel unter dem Schlagwort, der letzte »Godzilla« gehört ebenso dazu wie die arglose Therapiekomödie »Couchgeflüster« mit Meryl Streep. Der Verlust der Hoheitsrechte an der Wasserstraße muss die USA enorm geschmerzt haben. Wie tief das Trauma sitzt, mag allein schon die Figur des verrückten Verwandten der mörderischen Schwestern in »Arsen und Spitzenhäubchen« belegen, der sich für Teddy Roosevelt hält. In John Hustons »Abenteuer in Panama«, etwa zur selben Zeit entstanden, muss Humphrey Bogart einen Angriff von japanischen Kamikazefliegern abwehren, die den Kanal in bombardieren wollen.
Als Drehort fungierte Panama traditionell eher selten. Trotz der relativen geographischen Nähe zu Los Angeles wurde seine Exotik meist mit einschlägigen Archivbildern und ansonsten in schwülen Studiokulissen rekonstruiert. Dem klassischen Hollywoodkino diente es vorrangig als Schauplatz für romantische, musikalische oder Krimikomödien. »Panama Hattie« gehört leider nicht zu den großen Würfen von Cole Porter (kein anderes seiner Musicals hat so wenig denkwürdige Songs hervorgebracht). Allerdings eignete es sich hervorragend als Fluchtpunkt für gestrandete Showgirls und Nachtclubsängerinnen. Gern würde ich einmal »Swing high, swing low« von Mitchell Leisen sehen, wo sich Carole Lombard und Fred McMurray in einem schummrigen Etablissement begegnen. Piratenfilme steuern das Land indes überraschend selten an. Auch Filme über Seelenverkäufer, wie man die unter der Flagge Panamas fahrenden Schiffe nennt, sind selten. Schade eigentlich, denn eine meiner prägendsten Erinnerungen an die Schulzeit kreist um Fred von Hoerschelmanns Hörspiel »Das Schiff Esperanza«.
Im historischen Überblick ließe sich also festhalten, dass Panama im Kino zunächst ein geflissentlicher Sehnsuchtsort war, bevor der Drogenhandel die Phantasie der Filmemacher auf rabiatere Dramaturgien fokussierte. Das gilt längst nicht nur fürs Hollywoodkino. Auch in »Hafen im Nebel« von Jacques Prévert und Marcel Carné träumt 1938 der Betreiber einer schäbigen Kneipe vom Anderswo und Anderssein in der Karibik, nennt sich Panama und trägt den passenden Hut dazu. Dagegen steht allerdings der erhabene Pessimismus des Poetischen Realismus. In »Lady Paname« spielt Suzy Delair einen Music-Hall-Star, dessen Bühnenname ebenfalls Exotik verheißt.
Vielleicht war es ja diese Folklore, die Pedro Almódovar, seinen Bruder Augustin und Jackie Chan dazu veranlasste, ihr überzähliges Geld der Kanzlei Mossack Fonseca anzuvertrauen. Was ja erst einmal noch keine Straftat ist. Wahrscheinlicher ist jedoch das Flair von Irrealität und Lüge, das Boorman in seinem Film evoziert. In diesem »Casablanca ohne Helden« geht nichts mit rechten Dingen zu. Es ist eine Scheinwelt, in der abgebrühte Spione jede Aufschneiderei und Täuschung für bare Münze zu nehmen bereit sind. Eine eigene Währung braucht Panama wirklich nicht.
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