Pyrrhusniederlagen

John Le Carré am Set von »The Night Manager« (2016). © BBC

Der Film zog mich rasch auf seine Seite. Dazu genügten ihm ein paar Sekunden. Endlich sieht man im Kino, dachte ich bei »Verräter wie wir«, mal wieder einen wirklichen Vorspann. Im anglo-amerikanischen Kino ist es schon fast eine verlorene Kunst, das Publikum mit einer ahnungsvollen, ausdrucksstarken Credit-Sequenz auf den Film einzustimmen; die Bond-Filme sind da beinahe die letzte Bastion. Weiß schon jeder aus dem Internet, wer an einem Film mitgewirkt hat, oder ist das aller Welt längst egal?

Dies allerdings ist ein Anti-Bond-Vorspann: In ihm werden keine Frauenkörper fetischisiert, sondern der eines männlichen Ballett-Tänzers. Der Auftakt des Films ist also zugleich altmodisch und ikonoklastisch. Auf Anhieb scheint dieser Blickwechsel gut zu passen zur ersten Kinoadaption eines Romans von John-Le-Carré, die von einer Frau, Susanna White, inszeniert wurde. Er gibt gleich mehrere Versprechen aus. Nicht alle hält er. Anthony Dod Mantles Kameraarbeit greift heftig zurück auf Sperenzien, die in den Spionagefilmen der 60er Hoch im Kurs standen, etwa in »Krieg im Spiegel«: Schärfenverlagerungen, schräge Winkel, Reflektionen. Die Hälfte der Einstellungen ist gewissermaßen in Anführungszeichen gefílmt. Das ist mal reizvoll und mal verdrießlich.

Auch die Zeichnung der weiblichen Protagonisten schließt, und das ist verheerender, nicht recht zur Gegenwart auf. Saskia Reeves, die ich zunächst gar nicht erkannte, besitzt eine starke Aura als Frau des russischen Geldwäschers Dima. Es dauert eine Ewigkeit, bis sie zum ersten Mal spricht: eine strenge Präsenz voller moralischer Autorität. Naomie Harris hingegen ist sträflich unterbeschäftigt (und ihre Wandlung nicht recht plausibel) - gerade im Vergleich zu ihrer Miss Moneypenny in »Skyfall« und »Spectre«, wo sie offiziell zwar eine Nebenfigur ist, dieser aber mehr Eigenleben und Gewicht verleihen darf. Die Frauen sind in »Verräter« nur jeweils so stark wie ihre männlichen Partner. Ewan McGregor als eingebetteter Poesieprofessor ist passabel, Stellan Skarsgard als Dima hingegen finde ich ziemlich sensationell. Der baumlange Kerl bewegt sich mit der Grazie eines John Wayne von circa 1948. Dass alle Welt ihn nur bei ihrem Vornamen nennt, trägt ungemein zum Rätsel dieser Figur bei.

Seit ich zuletzt in epd Film über Le Carré schrieb – einen ausführlichen Essay zum Start von »Der ewige Gärtner« 2006, sechs Jahre später einen kürzeren Text über das Kinoleben George Smileys zum Start von »Dame, König, As, Spion« -, hat sich eine Menge getan. Keiner der neuen Filme überzeugt vollends. Das muss gar nicht sein. Das gelegentliche Meisterwerk, Sidney Lumets »Anruf für einen Toten« oder eben die Neuverfilmung von »Dame, König, As, Spion« übertrifft vielmehr auf schockierende Weise die Erwartungen. Bei Le-Carré-Adaptionen geht es eher um atmosphärische Stimmigkeit, da muss vor allem ein Tonfall auf die Leinwand übersetzt werden, und das hat in der Zusammenschau der bisherigen Versuche prächtig funktioniert. Dennoch verdient dieses neue Kapitel eine besondere Aufmerksamkeit (Sie merken schon, das wird wieder mal ein längerer Eintrag), da es eine erstaunliche Geschlossenheit aufweist.

Erst einmal muss man festhalten, dass die Romanverfilmungen zu einem regelrechten Familienunternehmen geworden sind: Le Carré fungiert als Co-Produzent, ebenso wie seine Söhne Simon und Stephen Cornwell. Der Romancier absolviert überdies zuweilen Kurzauftritte (als Museumswärter in »Verräter wie wir«, als empörter Restaurantbesucher in der Miniserie »The Night Manager«), was nicht zum Schaden der Filme ist, sie aber auch nicht wesentlich bereichert. Der Autor übt offenkundig größere Kontrolle über die Umsetzung seiner Bücher aus und lobt sie im Anschluss dann dementsprechend gern. Zum Start von »A Most Wanted Man« etwa veröffentlichte er in der "New York Times" eine schöne, persönliche Erinnerung an Philip Seymour Hoffman. Ich bin allerdings der Ansicht, dass der Film ein wenig zu sehr im Schatten seines gerade verstorbenen Hauptdarstellers wahrgenommen wurde. Gewiss, den Dialogen gebricht es an Brillianz und Charisma. Und Hoffman ist in der Tat fabelhaft als Leiter einer Anti-Terror-Einheit in Hamburg. Aber das Schöne an Anton Corbijns Verfilmung ist, dass man sich vorstellen darf, sie könne ebenso gut aus der Perspektive der Menschenrechtsanwältin erzählt werden, die Rachel McAdams spielt (was im Roman, wenn ich es recht erinnere, durchaus auch so angelegt ist) – oder aber aus der des Bankiers Brue (Willem Dafoe ist wunderbar), der von seinem Vater das ungeliebte Erbe zahlreicher Schwarzgeldkonten übernehmen musste. Die Lipizzaner-Metapher fand ich in diesem Zusammenhang übrigens hervorragend gewählt: Die Pferde werden schwarz geboren und dann im Verlauf ihres Lebens immer bleicher.

Auch thematisch und stilistisch sind die Filme anders ausgerichtet. Sie nehmen eine veränderte Welt in Augenschein. In dieser Hinsicht fällt »Dame, König, As, Spion« aus der Chronologie hinaus, denn der ist noch in der Ära des Kalten Krieges angesiedelt. Davor verhandelten ja bereits »Der Schneider von Panama« und »Der ewige Gärtner« die Sinnkrise, in die das Spionage-Gewerbe nach dem Mauerfall geriet und demonstrierten zugleich, dass dies nicht zwangsläufig auch eine Krise der literarischen Gattung bedeuten muss. Die veränderte Welt ist eine von verlockender Pracht. Die Reichtümer, die sich nach der Zeitenwende anhäufen lassen, erreichen ungekannte Dimensionen. In dem monochrom depressiven Welt von »A Most Wanted Man« ist die Teilhabe daran noch keine Option. Die Titelfigur, der bei einer Vergewaltigung gezeugte Sohn eines tschetschenischen Generals, mag sich nicht beschmutzen an dem Vermögen, das ihm der Vater hinterließ. Auch Dima will sich, trotz allem ostentativ zelebriertem, hedonistischen Lebensstil, in »Verräter wie wir« reinwaschen. »The Night Manager« feiert das Strahlen mondäner Verfügbarkeiten weit ungenierter, kann sich nicht sattsehen an dem Palast und den Luxushotels, in denen der Waffenhändler Richard Roper (Hugh Laurie ist misstrauischer, weniger jovial als Skarsgards Dima) residiert. Immer wieder schwelgen Helikopterfahrten in diesem Prunk. Zum Inventar prachtvollen Überflusses gehört auch Jed (Elizabeth Debicki), die Geliebte des Magnaten. Susanne Bier inszeniert sie beim Anziehen verführerischer Dessous mit einer voyeuristischen Inbrunst, die man bisher eher männlichen Regisseuren unterstellen mochte.

Auch die topografische Freizügigkeit, die seit jeher zum Spionagegenre gehörte, ist mithin weniger freudlos als zu Zeiten des Kalten Krieges. London gibt nicht mehr notwendig die Perspektive auf die Intrigen vor. (Obwohl ich darauf bestehen muss, dass der Chauvinismus, der sich im Originaltitel »Our Kind of Traitor« zeigt, weit trefflicher ist als das deutsche »Verräter wie wir«). Den Exotismus der Bond-Filme streben die neuen Filme nicht an. Die Schauwerte der Ortswechsel werden unter Vorbehalt beschworen. Die Kamera bleibt angesichts der Globalisierung des Verbrechens rechtschaffen misstrauisch. Darin trägt sie den akribischen Recherchen, fast möchte man sagen: dem Insiderwissen le Carrés Rechnung. Erstaunlich, wie sich die Landkarte diesbezüglich erweitert hat. Zypern wird in »A Most Wanted Man« und »The Night Manager« zum Umschlagplatz für dubiose Geschäfte. »The Night Manager«, der die 1993 erschienene Vorlage klug aktualisiert (die Handlung setzt 2011, während des Arabischen Frühlings, in Kairo ein und wird vier Jahre später fortgesetzt), wartet mit einem der faszinierenden Zeitdetails auf: der Phalanx von Taxis, die neben dem Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze Tag und Nacht bereitsteht, falls ein Mitarbeiter der nichtstaatlichen Wohlfahrtsorganisationen schnell zum Flughafen aufbrechen will.

In dieser Gemengelage wandeln sich auch die Regeln des great game, wie die Spionage seit Rudyard Kiplings "Kim" gern in der englischen Literatur und mittlerweile der Folklore genannt wird. Sein Pessimismus ist Le Carré nicht vollends auszutreiben. Noch immer gibt es höhere Interessen, welche die Freude am operativen Schlag gegen die Übeltäter durchkreuzen. Aber die Niederlagen waren in diesem Genre immer so vorläufig wie die Siege. Das Spiel muss unbedingt weitergehen. Die Akteure haben sich in den neuen Filmen jedoch verändert. Es sind Außenseiter, die eine neue Dynamik hineintragen: ein junger Mann, keineswegs unbescholten, der Orientierung sucht im Islamismus; ein Gelehrter, der dem britischen Geheimdienst den USB-Stick eines russischen Geldwäschers übergibt; ein Nachtportier, der seine Kenntnis von illegalen Waffengeschäften an die britische Botschaft übermittelt. Sie handeln treuherzig, gar naiv, vertrauen sich mitunter überkommen analogen Medien an wie Zetteln, die sie so umstandslos wie hoffnungsvoll einem Fremden überantworten. Gerade damit streuen sie unweigerlich Sand ins Getriebe. Sie bringen eine prekäre Transparenz in die Welt der Geheimniskrämerei, der Verschlüsselung. Die Geheimdienste geben sich ihnen gegenüber als Freunde, als Gewährsleute zu erkennen. Das ist häufiger glaubwürdig, als bisher zu erwarten war: zumal im Fall der von Olivia Colman gespielten Leiterin einer Sonderabteilung in »The Night Manager«, aber auch der verantwortungslos ohne institutionelle Deckung agierende Damian Lewis in »Verräter wie wir« erweist sich als unkorrumpierter Idealist. Der Laie wird zum Gewissen der Profis. Das hat einen Hauch von redlicher Kolportage. Le Carrés Argwohn ist gewissermaßen optimistischer geworden. Immer häufiger geht es um Charaktere, die es nicht mehr ertragen, in ein böses Spiel verstrickt zu sein. Dima ist dafür ein gutes Beispiel. Aber noch stärker verkörpert Brue die Weigerung des Autors, Figuren als Schurken zu zeichnen, die eigentlich dafür ideal disponiert scheinen: Wer taugt heutzutage mehr zum Bösewicht als ein Bankier? Die Sehnsucht, von einer Mitschuld entlastet zu sein, bricht sich stärker Bahn. Der Wunsch, ein Gegenüber zu finden, bei dem die eigene Ehrlichkeit gut aufgehoben ist, lässt sich nicht mehr abweisen. John Le Carré bringt das Genre um den Zynismus, der bislang einer seiner Grundimpulse war. Ich bin gespannt, welch neue Regeln er demnächst für das Große Spiel aufstellen wird.

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