Ein Hauch von Sinnlichkeit
Sie haben es womöglich gar nicht mitbekommen; die deutschen Feuilletons nahmen schließlich kaum Notiz davon. In den letzten Wochen ist eine Reihe von Stars gestorben, deren Karrieren entschieden europäisch verliefen oder zumindest zwischen Frankreich und Italien schillerten: die in Izmir geborene Magali Noel, die in Frankreich als Chansonsängerin Erfolg hatte, an der Seite Jean Gabins und in Fellinis La Dolce Vita auftrat; der aus Litauen stammende, ehemalige Résistancekämpfer Jacques Sernas, der ebenfalls bei Fellini auftrat, dessen Karriere aber vor allem bemerkenswert ist, weil er der einzige Star italienischer Sandalenfilme war, der nicht als Bodybuilder begonnen hatte; Laura Antonelli hingegen wurde auch hier zu Lande nachgerufen - eine Ehre, die ihr zweifellos nur deshalb zuteil wurde, weil sie in Viscontis letztem Film Die Unschuld mitspielte. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung der hiesigen Feuilletons war dies gar nicht ihre beste Rolle. Die hatte sie eher bei Luigi Comencini, Dino Risi oder Ettore Scola, aber ein franco-italienisches Sexsymbol braucht in Deutschland wohl die hohen Weihen des Autorenfilms, damit man sich ihrer erinnert.
Ihr Ruhm war größtenteils verblasst, das europäische Kino konnte längst schon ohne sie auskommen. Es gibt mithin keinen Grund,sich zu schämen, wenn die drei Ihnen unbekannt sind. Aber vielleicht haben Sie einen Moment Geduld mit meiner Nostalgie nach einem europäischen Kino, in dem Besetzungsstrategien nicht nur den Geboten der Filmförderung folgten, sondern einer ursprünglichen, naiven, grenzüberschreitenden Schaulust. Von ihr hat natürlich auch Omar Sharif profitiert, der allerdings in jeder Hinsicht eine Klasse für sich darstellt.
Wohl kein Filmstar wurde je so majestätisch eingeführt wie er als Sherif Ali in Lawrence von Arabien. Bei dem Auftritt, der ihn berühmt machte, war er zunächst eine Luftspiegelung, nur als kleiner Flecken am Horizont zu erkennen, der dann allmählich vor der Kamera Kontur gewinnt. Noch nie hatte jemand zuvor eine Fata Morgana gefilmt. David Lean und sein Kameramann Freddie Young ließen sich von Panavision ein Objektiv von 482 mm Länge bauen. Und Lean brauchte einen Schauspieler, dessen Präsenz das Versprechen des fesselnden Schauwerts würde halten können. Sharif sah nicht nur blendend aus, sein Körperspiel verriet auch jenes Selbstbewusstsein, mit dem sich die Leinwand scheinbar mühelos in Besitz nehmen lässt. Ich wünschte, mir selbst wäre das Adjektiv eingefallen, das Peter Bradshaw in seinem Nachruf im "Guardian" benutzte: exquisit.
Bis dahin war der Schauspieler nur in einigen ägyptischen Melodramen aufgetreten. Entdeckt hatte ihn Youssef Chahine, nachdem er Anfang der 1950er Jahre an der Royal Academy of Dramatic Arts in London studiert hatte. Einigen seiner Studienkollegen sollte er später wieder begegnen, denn mit Lawrence begann 1962 eine Karriere, die es in derart internationaler Ausstrahlung gewiss nicht noch einmal geben wird. Der Blick auf seine Filmographie zeigt einerseits, wie schnell diese Fahrt aufnahm: Gleich darauf folgen tragende Rollen in Der Untergang des römischen Weltreichs und in Deine Zeit ist um, wo er als Priester in den Nachwirren des Spanischen Bürgerkriegs zwischen dem Republikaner Gregory Peck und dem Franco-Schergen Anthony Quinn steht. Er war rasch abonniert auf romantische, exotische Figuren, denen er stets einen gewinnenden und ehrenwerten Zug verlieh. Sharif wirkte, das ist für Filmstars nicht selbstverständlich, sympathisch. (Sie merken schon, ich mochte ihn ungemein.)
Diese Exotik war facettenreich. Es ist staunenswert, in welch unterschiedlichen Nationalitäten man ihn nach Lawrence sehen konnte: als Dschingis Khan, als spanischen Prinzen in Francesco Rosis Märchenfilm Die schöne Isabella, als deutschen Abwehroffizier in Die Nacht der Generäle, als jüdischen Nachtclubbesitzer in Funny Girl, als österreichischen Kronprinzen Rudolf in Mayerling, römischen Anwalt an der Seite von Anouk Aimée in Ein Hauch von Sinnlichkeit oder als korrupten griechischen Polizeiinspektor und gerissenen Gegenspieler Jean-Paul Belmondos in Der Coup. Auch Che Guevara hat er verkörpert. Welcher Kultur hingegen lässt sich sein Kapitän Nemo zuschlagen, der ihn in Die geheimnisvolle Insel den unergründlichen Aspekt des Exotischen erkunden ließ?
Mit der Titelrolle in Leans Dr. Schiwago konnte Sharif die einzigartige Vielschichtigkeit ausspielen, die er der Institution des schneidigen Herzensbrechers verlieh. Hier war er nicht nur glaubhaft als ergriffen Liebender, sondern auch als verantwortungsvoller Arzt und demütiger Poet. Sharif war kein berechnender Verführer, der das weibliche Publikum mit seinem glühenden Blick in seinen Bann schlug. Er wollte sie erobern, weil er sie bewunderte. Man spürt, wie wohl er sich in ihrer Nähe fühlt. Besonders schön ist dieser Zug ausformuliert in Blake Edwards romantischem Spionagefilm Die Frucht des Tropenbaums, wo die Liebe zu Julie Andrews einhergeht mit einer listigen Komplizenschaft. Ich mochte ihn auch sehr in Richard Lesters 18 Stunden bis zur Ewigkeit, wo er in Liebesdingen einen kühlen Kopf bewahrt. Überhaupt hat er die Phantasie vieler intelligenter Regisseure angeregt: Anthony Mann, Fred Zinnemann. William Wyler, Sidney Lumet und Henri Verneuil. Mit seinen Auftritten in einer Inspektor Clouseau-Folge und der Agentenparodie Top Secret bewies er sein Talent zur Selbstironie.
Auch als Bridge-Spieler besaß er Weltklasse. Eine Menge Rollen nahm er gewiss nur an, um seine Leidenschaft für Pferderennen zu finanzieren. Wenn er sich vor der Kamera langweilte, so verbarg er dies doch höflich vor seinem Publikum. Er war eine Zierde auch in Filmen, die ihn als Klischee besetzten. In den letzten Jahrzehnten musste er vor allem als Araber von nobler, eleganter Lebensart auftreten. Er war ein wunderbarer Mentor für Antonio Banderas in Der 13te. Krieger und Viggo Mortensen in Hidalgo. Seinen größten, späten Triumph feierte er 2003 als weiser Lebensmittelhändler in Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Dort weiht er einen kleinen, unglücklichen Nachbarsjungen in die Dinge des Lebens und das Geheimnis des Lächelns ein. Auf jede Frage, die er ihm stellt, hat er eine Antwort aus dem Koran parat. Für dieses kleine Meisterstück melancholischer Zuversicht wurde Sharif mit dem César ausgezeichnet. In diesem Frühjahr gab sein Sohn bekannt, dass er an Alzheimer erkrankt ist. Nun ist Omar Sharif, der einmal sagte, er hätte gern das Leben gelebt, das in den Zeitungen beschrieben wurde, im Alter von 83 Jahren in Kairo einem Herzinfarkt erlegen.
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