Bilderstürmer

»Der vergängliche Ruhm der Herrschaft« (1990)

Vor einigen Tagen las ich eine schöne Definition dessen, was Kunst auch leisten kann. Sie stammt von Arnold Schönberg, dem momentan das Musikfest Berlin einen Schwerpunkt widmet, und lautet: "Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben." Ich vermute, der Zwölftöner hat dies aus der Erfahrung seines eigenen Exils formuliert. Das Mandat, das er der Kunst zuschreibt, ist jedoch zeitlos. Gerade erscheint es angesichts des IS-Terrors und des Flüchtlingselends von brennender Aktualität. 

Schönbergs Worte eröffnen einen weiten Raum der Betroffenheit und Empathie: Erleben muss nicht unbedingt das persönliche Erleiden meinen. Das Kino ist hierbei gegenüber den anderen Künsten anscheinend im Nachteil, weil es aus praktischen, etwa produktionstechnischen und ökonomischen Gründen nicht umgehend reagieren kann. Es muss diesem Notschrei jedoch nichts von seiner Unmittelbarkeit nehmen, wenn er im Rückblick oder aber aus Hellsicht erklingt. Im Zuge der Beschäftigung mit zwei ganz unterschiedlichen Themen bin ich unverhofft auf Filme gestoßen, die sich als Gleichnis auf den Barbarismus lesen lassen, der momentan in Syrien wütet. Die Terroristen setzen die Schändung und Zerstörung des Kulturerbes in Palmyra im Namen eines neu zu schaffenden Kalifats unbeirrt fort. Während die Taliban sich vor Jahr und Tag noch harmlos gaben – "Was wir zerbrechen, sind nur Steine." -, will der IS systematisch alles ausradieren, was an den Reichtum vor-islamischer Zivilisationen erinnert. 

Über den Untergang von Imperien, über die Ruinen, die sie hinterlassen, diskutieren die Soldaten in Manoel de Oliveiras »Der vergängliche Ruhm der Herrschaft« ausführlich. Ich sah ihn gerade noch einmal, da die Viennale an den verstorbenen Regisseur mit einer Retrospektive erinnert. Die Einheit, die in der Abenddämmerung der portugiesischen Kolonialherrschaft in Afrika ihren Dienst versieht, scheint aus lauter Philosophen und Historikern zu bestehen. (Nun ja, ein Paar glühende Patrioten sind auch darunter.) Eroberung und Herrschaft verschwinden unausweichlich, räsoniert einer von ihnen. Sie hinterlassen Ruinen, ergänzt ein anderer, nur Schatten bleiben. Nein, widerspricht der erste, nach ihrem Untergang blieb der zivilisatorische Fortschritt, den sie der Welt bescherten: "Für die Menschheit ist nicht wichtig, was man nimmt, sondern was man gibt."

Wie ein Echo dieser Reflexionen klangen Passagen aus Tomm Moores »Brendan und das Geheimnis von Kells«, den ich mir noch einmal für einen Artikel über Synchronisation von Animationsfilmen (im nächsten Heft) ansah. Im Licht der aktuellen Geschehnisse gewinnt der erste irische Trickfilm eine unerwartete Relevanz. Er spielt in einer mittelalterlichen Festung, die Zuflucht vor marodierenden Wikingern bietet. Eine multikulturelle Gemeinschaft wächst hier zusammen, an deren Spitze ein strenger Abt steht, dessen größte Sorge der Fertigstellung der Befestigungsanlagen gilt. Gegen sein ausdrückliches Verbot unterstützt sein Neffe einen weiteren Abt, in dessen Obhut sich das prächtige Buch der Kells befindet. ES ist ein bildreiches Kompendium menschlicher Weisheit, muss weitergeführt und zugleich vor der Zerstörungswut der Nordmänner (die als furchterregende, gesichtslose Ungeheuer gezeichnet sind) gerettet werden. Der alte Mann, dessen Augenlicht nachlässt, unterweist seinen Schüler in Schrift- und Zeichentechniken. In der magisch gefügten Welt des Films führt das Buch dem kindlichen Publikum den Wert der Überlieferung vor Augen. Der Angriff der Wikinger wird in großer, erschreckender Anschaulichkeit geschildert. Mitunter fragte ich mich, an welches Publikum der Film sich richtet. Auf Kinder muss er ziemlich hart wirken. Dennoch ist es kein Fehler, sie das Schicksal der Menschheit auf diese Weise erleben zu lassen. 

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