Beware of Eisbergs!
Als er kürzlich in einem Interview über seinen frühzeitigen Ruhestand sprach, schwärmte Harald Schmidt von seinem Auftritt im Traumschiff: Zwei Monate in Saus und Braus auf dem Ozeandampfer gelebt und dabei nur drei Drehtage gehabt! Ich hätte mir vorstellen können, dass ihn das aufreibende Dasein des Luxustouristen nach einer Weile doch erschöpfen würde.
Aber die Langeweile, das erklärte mir gestern Abend mein Freund Robert Osborne, sei die heimliche raison d'être einer Kreuzfahrt. Ihr Reiz liege gerade in der köstliche Verantwortungslosigkeit, in der Gleichförmigkeit und Ordnung, mit der die Tage an Bord verstreichen. Bob war als Host des Kinosenders "Turner Classic Movies" schon häufiger auf Kreuzfahrten, meist in der Gesellschaft von Hollywoodstars, mit denen er dann vor zweifellos dankbarem Publikum über ihre Filme und Partner plauderte. Für meinen Vater und mich ist es die erste Kreuzfahrt. Sie soll uns in neun Tagen von New York über Southampton nach Hamburg führen. Mit ihr erfüllt sich für Vater ein Traum, den er zu Lebzeiten meiner Mutter nicht realisieren konnte. Viel zu viel Wasser, beklagte sie sich über sein Ansinnen. Aber ganz ohne lässt sich, wie Bob gestern feststellte, eine Schiffsfahrt nun mal nicht unternehmen.
Die Ruhe und Gemächlichkeit, die uns von allen Seiten für diese Reise (so gern hätte ich "Passage" geschrieben, aber das scheint mir aus Gründen, die ich noch ausführen werde, nicht passend) in Aussicht gestellt wurden, widerspricht dem Bild, das man sich im Kino gemeinhin davon macht. Da geht es um Drama und, so oder so, um Dynamik. Der Vorgänger unseres Schiffes war immerhin schon Mal das Objekt eines raffinierten Raubzugs, den Frank Sinatra und Spießgesellen mit Hilfe reaktivierter deutscher U-Boote in Überfall auf die Queen Mary unternahmen. In Abenteuer im Gelben Meer muss sich Kapitän Clarke Gable mit malaiischen Piraten und der widerspenstigen Jean Harlow herumschlagen. Ozeandampfer sind im Kino gern von Bombenanschlägen bedroht (in Richard Lesters tollem Thriller 18 Stunden bis zur Ewigkeit) oder gleich vom Untergang (Die Höllenfahrt der Poseidon, Titanic). In Komödien hingegen dienen die Reisen der Anbahnung von Romanzen (am schönsten natürlich in Die große Liebe meines Lebens mit Cary Grant und Deborah Kerr) oder als lohnender Heiratsmarkt (Blondinen bevorzugt). In dem extravagantesten Hollywoodmelo der 30er werden die unterschiedlichen Erzählmodelle gar verschmolzen: In Frank Borzages History is made at Night (da muss man einfach den Originaltitel nennen, einen der schönsten der Filmgeschichte; auf deutsch heißt er ...und ewig siegt die Liebe) lässt, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, der geschiedene Ehemann von Jean Arthur den Dampfer aus Eifersucht torpedieren, auf dem sie zusammen mit dem Kellner Charles Boyer ihrem neuen Glück entgegen fährt. Für die Liebenden geht das einigermaßen glücklich aus. Dennoch ist der Tod, sofern sie nicht Schauplatz für Musicals sind, auf Kreuzfahrten nie weit entfernt. Allerdings gibt es erstaunlich wenige Krimis, die sich diesen Ort, an dem sich Leichen doch so leicht entsorgen ließen, aussuchen. Auf Anhieb fällt mir da nur ein Sherlock-Holmes-Film aus den 40ern mit Basil Rathbone ein sowie die Columbo-Episode "Troubled Waters" (Traumschiff des Todes), wo der Inspektor eigentlich nur Urlaub in Acapulco machen will (mit seiner Frau, die man nie sieht), dann aber dem Mörder Robert Vaughn das Handwerk legen muss - obwohl seine forensische Handhabe an Bord ziemlich eingeschränkt ist.
Einer der merkwürdigsten Filme über Ozeandampfer ist die Warner-Bros.- Produktion Between two worlds von 1944. Da handelt es sich um ein regelrechtes Geisterschiff, auf dem die Opfer eines Bombenangriffs auf London eine postume Reise unternehmen. Zumal in Kriegszeiten hat es einen ganz besonderen Klang von Dramatik und letzter Chance, wenn jemand eine Schiffspassage bucht. Oft ist bedeutet sie den Aufbruch in eine ganz andere, ferne Welt (etwa im frühen französischen Tonfilmkino), später dann die Flucht vor dem Klammergriff, in dem die Nazis Europa halten. An Das Narrenschiff und Reise der Verdammten denke ich dabei, in denen Dampfer stets mit Stars überfrachtet sind.
Die meisten Kreuzfahrt-Filme sind in einer Zeit entstanden, als die Schifffahrt beinahe schon die Rolle des normalen interkontinentalen Transportmittels ausgespielt hatte. Davor fungiert das Schiff, beinahe ebenso umfassend wie das Genre des Hotelfilms, als Mikrokosmos. Man denke nur an das klassische Einwandererschiff in die USA, von Charlie Chaplin bis Golden Door mit Charlotte Gainsbourg. In James Camerons Titanic etwa repräsentiert die topographische Hierarchie der Klassen einen Querschnitt der Gesellschaft. Wie im Hotel kann es eine Durchlässigkeit der sozialen Schranken geben, eine Überschneidung der Sphären. Darauf hoffen mein Vater und ich insgeheim auch auf unserer Reise. Unser Freund Bob erwähnte gestern Abend nämlich, er habe vor einigen Tagen Diana Rigg interviewt, die nun durch Game of Thrones wieder sehr populär in den USA geworden ist. Mein Vater und ich kennen sie noch als Emma Peel. Und als einzige Ehefrau James Bonds nimmt sie einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Mittlerweile hat die Queen (Elizabeth, nicht Mary 2) sie in den Adelsstand erhoben. Wird man also Dame Diana Rigg in den nächsten Tagen gelegentlich beim Nachmittagstee erblicken können?
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