Netflix: »Zwei an einem Tag«
© Netflix Inc.
Für eine Liebesgeschichte klingt die Idee eigentlich zu formelhaft: Von der Beziehung zweier Menschen über fast zwanzig Jahre hinweg erzählen zu wollen, das aber immer nur im Ausschnitt eines Tages pro Jahr. Und der soll dabei immer derselbe sein, nämlich der 15. Juli. Im Jahr 1988 feiern am Vorabend ebendieses 15. Juli Emma (Ambika Mod) und Dexter (Leo Woodall) ihren Abschluss von der Universität Edinburgh und kommen im Rausch der Nacht erstmals zusammen. So gut sie sich auch verstehen, verhindern diverse Unsicherheiten und Missverständnisse doch den gemeinsamen Sex. Und damit bleibt ihre Beziehung erst mal für Jahre auf Freundschaft ausgerichtet, immer unterlegt mit dem sehnsüchtigen Ziehen des »Was wäre, wenn?« und den damit einhergehenden Verfehlungen.
Als Liebesgeschichte ist die Story von Emma und Dexter kaum mehr als Romcom-Standard. Der große Erfolg von David Nicholls Roman von 2009 aber geht weniger auf den romantischen Teil zurück, als vielmehr darauf, was der Autor an Lebensgeschichte für seine Helden entwirft. In der freiwilligen Beschränkung auf den einen Tag pro Jahr gelingt es ihm, für »Em« und »Dex« zwei ungeheuer detaillierte, authentische, komplexe und darin für eine ganze Generation sehr exemplarische Biografien aufzuzeigen: die Jahre des Erwachsenwerdens nach der Uni als eine Epoche der Orientierungslosigkeit, des persönlichen Chaos und der großen Desillusionierung.
Die Filmadaption von Lone Sherfig aus dem Jahr 2011, mit Anne Hathaway und Jim Sturgess in den Hauptrollen prominent besetzt, scheiterte prompt daran, weil sie sich auf die Liebesgeschichte konzentrierte und den Rest der gelebten Leben im Hintergrund vergehen ließ. Das Ergebnis war mehr oder weniger Kitsch. Die Neuverfilmung als Serie aber kann jetzt von der Struktur profitieren – das Konzept mit dem einen Tag pro Jahr schreit ja geradezu nach der Aufteilung in Folgen. So ist es formal schon mal kein Wunder, dass »One Day« (»Zwei an einem Tag« auf Deutsch) als Serie viel, viel besser funktioniert.
Der Hauptgrund dafür, dass die Netflix-Serie nicht nur in Großbritannien unmittelbar nach dem Start zum großen Hit wurde, dürfte aber auf die Besetzung zurückgehen. Die beiden Schauspieler sind trotz einschlägiger Rollen (Leo Woodall spielte in der zweiten Staffel von »The White Lotus«; Ambika Mod beeindruckte in »This Is Going to Hurt« an der Seite von Ben Whishaw) noch wenig bekannt. Als Dexter und Emma können sie deshalb umso besser eine Dynamik entfalten, die immer wieder überraschend erscheint und viel Raum für Entdeckungen lässt. Auch die bei Nicholls mitverhandelten Fragen über den Einfluss von sozialer Klasse und attraktivem Äußeren auf Lebensaussicht und -gestaltung finden Platz in der Serie. Spannender als die Liebesgeschichte ist nämlich in der Tat die gegensätzliche Entwicklung vom gut aussehenden Dexter mit Geld im Hintergrund, dem alles in den Schoß zu fallen scheint, und der aus proletarischen Verhältnissen stammenden Emma, die ihren eigenen kreativen Talenten zunächst kaum traut.
OV-Trailer
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