Sky: »23 – Der mysteriöse Tod eines Hackers«
© Sky Deutschland/Ansager und Schnipselmann
Ab Mitte der 1980er Jahre wurde die Vernetzung von Computern möglich auch für Normalverbraucher, die nicht in Universitäten oder Militärlaboren arbeiteten. Das Internet, so wie wir es heute kennen, gab es aber noch lange nicht. Geschweige denn soziale Netzwerke. Viel zu langsam war damals die Übertragungsrate von Daten. Wer brauchte so etwas? Die wenigsten konnten sich das vorstellen. Computer galten daher als exotische Spielzeuge für pickelgesichtige Nerds, die sich im Hobbykeller ihrer Eltern trafen und literweise Cola tranken.
Einer von ihnen war Karl Koch. Über Typen wie ihn gibt es inzwischen zahlreiche Filme und Serien. Doch er gilt als einer der Pioniere. Unter anderem war es ihm gelungen, sich in einen amerikanischen Militärcomputer einzuhacken. Sensible Informationen, die er so erbeutet hatte, bot er dem sowjetischen Geheimdienst an. Der »KGB-Hack« machte ihn zur schillernden Berühmtheit. Doch im Mai 1989 fand man seine verkohlte Leiche in einem Wald bei Hannover. Mord oder Selbstmord? Das ist nach wie vor unklar. Bis heute wurde die Obduktionsakte nicht freigegeben.
Über diesen rätselhaften Fall wurde oft berichtet. Dass Carsten Gutschmidt ihn ausgerechnet im Jahr 2023 in einer Sky-Dokumentation noch einmal aufgreift, ist kein Zufall. Die »23« ist ein Schlüsselsymbol aus Robert Sheas und Robert Anton Wilsons Romantrilogie »Illuminatus«. Die abgedrehte New-Age-Verschwörungsgeschichte, eine Art Fantasy auf LSD, war in den 1980er Jahren Kult. Nach deren Hauptfigur Hagbard Celine, dem Kapitän eines gelben U-Boots, hat Karl Koch sich benannt. Wohl auch nicht zufällig starb er mit 23 Jahren. Und zwar am 23. Mai.
Neben einer Fülle von Zeitzeugen kommt unter anderem auch Hans-Christian Schmid zu Wort, der die Thematik schon 1998 in seinem Spielfilm »23 – Nichts ist so wie es scheint« aufgriff. Mit Wählscheibentelefonen, dem grob pixeligen Cursor des Commodore-PC und Archivfilmen versetzen Gutschmidt und sein Autor Benjamin Braun den Betrachter zurück in die heute ziemlich fremd erscheinenden 1980er Jahre. In dieser Hochzeit des Kalten Krieges – in der man das mulmige Gefühl eines möglichen Atomkrieges nicht ganz wegdiskutieren konnte – begab Koch sich nach Ostberlin, um ausgerechnet mit den Sowjets zu verhandeln.
Für die Dokumentation bietet es sich daher an, die DDR-Vergangenheit jenes damals noch völlig unbekannten KGB-Offiziers aufzugreifen, der später die Ukraine überfallen wird. Als KGB-Chef hat Wladimir Putin schließlich auch den Cyberkrieg maßgeblich vorangetrieben. Ein mutmaßliches Treffen zwischen ihm und dem Hacker ist allerdings pure Spekulation. Das Putin-Kapitel des Dokumentarfilms erscheint daher etwas aufgebauscht. Auch der Auftritt des Ex-Kriminalreporters Frank Plasberg, der Akten kommentiert und Zeitzeugen interviewt, ist nicht zielführend. Der prominente TV-Moderator verleiht dem Film eine thematische Unwucht.
Dennoch gelingt Gutschmidt ein interessanter Rückblick auf die Anfänge der Vernetzung. Das mysteriöse Schicksal des digitalen Paradiesvogels, der sich in einem Mahlstrom zwischen Drogensucht, Einsamkeit, Psychose und virtuellen Räumen zerrieb, wird spannend aufbereitet. Karl Koch, so wird deutlich, war zwar durchgeknallt – aber auch ein Visionär. Nicht einmal IT-Spezialisten vermochten sich seinerzeit auszumalen, was aus dem neuen Kommunikationskanal einmal werden würde. Koch zählte zu den wenigen Ausnahmen. Bereits in den 1980er Jahren redete er vom »gläsernen Menschen, Kommunikationsprofilen und Big Brother«. Er sah voraus, dass die Digitalisierung die »technischen Möglichkeiten für einen faschistischen Staat« böten, der »seine Bürger komplett kontrollieren« könne. Um diese düstere Vision zu visualisieren, zitiert die Dokumentation aber keine Bilder eines »faschistischen Staates«, sondern Szenen aus dem Alltag der chinesischen Totalüberwachung.
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