Disney+: »Justified: City Primeval«
© FX/Disney
Raylan Givens gehört in eine andere Ära. Das traf nicht nur auf die Figur als solche zu, die ihr Retro-Revolverhelden-Image genauso gezielt einsetzte, wie sie schießen konnte, sondern auch auf die für den amerikanischen Kabelsender FX produzierte Serie »Justified«, die über sechs Staffeln von 2010 bis 2015 ausgestrahlt wurde. Insgesamt waren das 78(!) Folgen, und das ist die Zahl, die den Wechsel der Epochen anzeigt: So was wird heute einfach nicht mehr gemacht.
Wenn Givens (besser denn je: Timothy Olyphant) nun mit einer neuen Serie zurückkehrt, dann in eine völlig neue Umgebung. Für »City Primeval« haben die Serienschöpfer auf eine Elmore-Leonard-Vorlage zurückgegriffen, die im Detroit der 80er Jahre angesiedelt war und mit Raylan Givens eigentlich nichts zu tun hatte. Genau das erweist sich als großartige Idee, weil sie Givens nicht nur vor eine neue Herausforderung als Marshall stellt, sondern auch die Wahrnehmung seiner Figur einer Revision unterzieht. Im ursprünglichen »Justified« war Givens einer, der die Umgebung von Harlan, Kentucky, bestens kannte, weil er dort aufgewachsen, weggegangen und zurückgekommen war. In »City Primeval« ist er der sprichwörtliche »fish out of water«, einer, der Mühe hat, sich zu orientieren. Dass es Zufälle sind, die ihn in Begleitung der 15-jährigen Tochter nach Detroit führen, macht die Entfremdung noch spürbarer. Dass ihm mit Clement Mansell (Boyd Holbrook) ein Bösewicht gegenübersteht, dessen Soziopathie er nicht nachvollziehen kann, die aber seiner eigenen Ruchlosigkeit den Spiegel vorhält, verleiht der Serie eine an »Justified« anschließende Tiefe.
Mit Givens selbst muss auch der Fan der Ursprungsserie sich erst an die neuen Umstände gewöhnen. Eine Vielzahl von neuen Figuren taucht auf, und die auf acht Folgen reduzierte Staffel lässt nicht genug Gelegenheit, sie alle ausreichend zu entwickeln. Rechtsanwältin Wilder (Aunjanue Ellis), die als Frau in mittleren Jahren sich und ihre Karriere an einem Wendepunkt angekommen sieht, und der gescheiterte Jazzmusiker und Barbesitzer Sweety (Vondie Curtis-Hall) sind die raren Ausnahmen.
Überhaupt benötigt die Serie in unguter Analogie zu ihrer Hauptfigur einige Folgen, um richtig in Fahrt zu kommen. Viel Ärger zog bei der Ausstrahlung in den USA die Figur von Raylans Teenagertochter (gespielt von Olyphants leiblicher Tochter Vivian) auf sich. Aber spätestens wenn sie in Folge 5 ihrem einsam in einer Kneipe Whisky schlürfenden Papa auf seine liebevoll-sehnsüchtige Nachricht mit einem kalten »Kann gerade nicht sprechen. Danke« antwortet, hat sich die Nerverei der ersten Folgen gelohnt. Der älter und grauer gewordene Givens ist empfindsamer und verletzlicher als früher, trotz bestens trainierter Bauchmuskeln, die zum Vergnügen der Zuschauerinnen ebenfalls vorgeführt werden. Die Liebesgeschichte oder wie man das nennen soll, was sich zwischen ihm und Wilder abspielt, ist jedenfalls so sexy, abgeklärt und vieldeutig, dass man den Krimiplot darüber fast vergessen möchte.
OV-Trailer
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