Amazon: »Der Greif«

»Der Greif« (Serie, 2023). © Amazon Studios

»Der Greif« (Serie, 2023). © Amazon Studios

Ein bisschen Gothic

Wolfgang Hohlbein ist einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller. 200 Bücher, in 34 Sprachen übersetzt, 43 Millionen verkaufte Exemplare. Seltsam eigentlich, dass dieser gigantische Ausstoß filmisch kaum Widerhall fand. Es gibt zwar Hörspiele, Theateradaptionen, Musicals und von Hohlbeins Büchern inspirierte Rockmusik, im Kino lief aber bisher lediglich der Kinderfilm »Die Wolf-Gäng« (2019). Vielleicht lieferte ja der Erfolg der deutschen Fantasyserie »Dark« den Anstoß für die Adaption von Hohlbeins Romanen. Neben dem 1989 veröffentlichten »Der Greif«, einem seiner bekanntesten Werke, das er zusammen mit Ehefrau Heike verfasste, wird in diesem Jahr auch »Hagen« als Serie (RTL) adaptiert, hier ist zusätzlich eine Kinoauswertung geplant.

In der ersten Staffel von »Der Greif« wird geschildert, wie Teenager Mark, ein Außenseiter, sich des Fluchs, der über seiner Familie liegt, bewusst wird. Dabei gerät er, zunächst mit seinem älteren Bruder Thomas und dann mit seinem besten Freund Memo, in eine Anderswelt, in der eine böse Macht ein brutales Sklavenhalterregime errichtet hat. Zentrum dieses fantastischen Reichs ist ein Turm, der als düsterer Schatten im Hintergrund dräut.

In unserer Welt ist die Serie angesiedelt in der fiktiven Stadt Krefelden in den frühen neunziger Jahren. Das sorgt für hübsche Retrodetails wie Polaroid-Kameras und schnittige Autos. Die Welt des schwarzen Turms besteht zumeist aus kahlen Felslandschaften, in denen gehörnte Wesen zerlumpte Menschen vor sich her treiben, aber auch aus paradiesischer Wildnis. Mark, der Weltenwanderer, entdeckt, dass er qua Geisteskraft zwischen diesen Universen switchen kann. Doch es gibt auch das in allen Fantasyfilmen unvermeidliche Portal, hier in einer Kirche (gedreht im Kloster Chorin in Brandenburg). Daneben sorgen steinerne Statuen für »Gothic«- Anmutung.

Mit der Ausstattung sind die Pluspunkte der Inszenierung leider schon fast alle aufgezählt. Im Grunde ist es ein Trauerspiel: Da gibt es eine Geschichte mit erkennbar viel Potenzial. Literarisch weniger anspruchsvoll als etwa der deutsche Fantasyklassiker »Die unendliche Geschichte«, bietet die Verschränkung von pubertären Gegenwartskonflikten und Fantasywelt als metaphorischer Spielwiese zur Entschlüsselung familiärer Traumata dennoch mehr als genug Spannungsmomente. Doch die Neugier wird von der holprigen Inszenierung ständig ausgebremst. Da wird aus Gründen dramaturgischer Zeitschinderei etwa die Verpeiltheit von Teenies über Gebühr strapaziert. Die Dialoge sind mal pädagogisch gestelzt, mal anbiedernd flapsig, doch besonders die affektierte Sprechweise von Sabine Timoteo als alleinerziehender Mutter bringt die Ohren zum Bluten. Dass die Fantasystaffage im Vergleich zu US-Vorbildern eher ärmlich wirkt, ist weniger störend als die Kurzatmigkeit der Handlung und der Mangel an Stil. Bis jetzt ist die für Fantasyfilme so wichtige Atmosphäre, jener epische Atem, der einen in Bann zieht und über manche Unlogik hinwegträgt, jedenfalls nicht zu spüren. 

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