Sooner: »Jane by Charlotte«
Natürlich ist von diesem Vorhaben Befangenheit zu erwarten. Wie könnte es anders sein, wenn eine Tochter ihre Mutter porträtiert? Aber sie zeigt sich unvermutet und verblüffend: »Warum herrscht zwischen uns diese Schüchternheit«, will Charlotte von Jane wissen, »diese Schamhaftigkeit, die es im Verhältnis zu deinen anderen Töchtern nicht gab?« – »Schon als Kind hast du mich eingeschüchtert«, gesteht Jane, »du warst so geheimnisvoll.«
Die Nähe, die man Charlotte Gainsbourg und Jane Birkin unterstellt hätte, steht von Anfang an infrage. Diese Intimität wäre ein toter Winkel gewesen, würde es sich um ein konventionelles Porträt handeln. Aber in »Jane by Charlotte« ist deren Fragilität ein Kinoglück – ein Ansporn, das Wagnis der Entdeckung einzugehen. Die beiden Frauen werden zu Co-Autorinnen: Zwei schüchterne (ihrem Wesen nach) Exhibitionistinnen (von Berufs wegen) verstricken sich gegenseitig in einen forschenden Dialog über Verwandtschaft, Kraft, Krankheit, Tod und über die Ehe, vor allem jene mit Serge, Charlottes Vater. Die Tochter will von der Mutter lernen, beneidet sie um ihr Grundvertrauen ins Leben. Jane erstaunt das, denn Charlotte scheint doch so gründlich sich selbst zu gehören. Oft findet die Zwiesprache also auf Augenhöhe statt, wenn sie als Künstlerinnen, Mütter und Medienberühmtheiten ihre Erfahrungen abgleichen.
Sechs Jahre hat Charlotte an ihrem Regiedebüt gearbeitet, die meiste Zeit sicher im Schneideraum mit einer Fülle von Home Movies, neuen Impressionen und alten Gefühlen.
Das Phänomen Birkin verlangt die freie, ungebundene Form. Agnès Varda kam ihm 1988 mit ihrem vergnügt fantasierenden Essayfilm »Jane B. par Agnès V.« bei. In »Jane by Charlotte« ist die Montage weniger assoziativ als atmosphärisch. Die Schauplätze wechseln, der Tonfall bleibt gleich, leise, tastend, zugeneigt. Der Film ist so unaufdringlich, dass man es nicht merkt, aber die zwei bleiben vor der Kamera stets Filmstars: außerordentliche Repräsentantinnen universeller Erfahrungen. Man darf zwei bescheidenen Aristokratinnen im Alltag zuschauen, den die Regisseurin mit einem kühnen Blick für Nichtigkeiten darlegt; manche essenziell, andere eben doch nur belanglos. Die Dritte in diesem Bunde ist nicht weniger wichtig, Charlottes jüngste Tochter Jo, deren kluge Unternehmungslust das Motiv der Weitergabe unterstreicht.
Auch die Geister leben fort in diesem Film. Sacht konfrontiert Charlotte ihre Mutter mit Super-8-Aufnahmen der Halbschwester Kate, die ihr Leben mit einem Fenstersturz beendete. Das Herzstück von »Jane by Charlotte« ist der Besuch in Serge Gainsbourgs Wohnung, in der noch alles ist wie bei dessen Tod vor 30 Jahren. Charlotte hatte stets das Gefühl, er könne zurückkehren. Das mythische Triumvirat wäre wieder vollzählig. Insgeheim blickt der Film in die Zukunft. Manchmal ist es so, als würden die zwei Frauen sich annähern, um irgendwann besser Abschied nehmen zu können.
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