Sky: »The Gilded Age«

»The Gilded Age« (Serie, 2022). © Home Box Office, Inc.

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Geldadel und Räuberbarone

Wie alt müssen Familien sein, um sich zum New Yorker Adel zählen zu dürfen? In dieser Historienserie ist die Frage nach der Abstammung entscheidend für die Zugehörigkeit zu jener Schicht, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts an der Ostküste das Sagen hat. Doch selbst wenn Dynastien wie die Astors und Vanderbilts ihren Stammbaum bis zur Ankunft der »Mayflower« 1620 zurückverfolgen könnten, blieben sie, im Vergleich mit der englischen Aristokratie, allesamt Emporkömmlinge. Dennoch versucht ­Julian Fellowes, Schöpfer des Serienhits »Downton Abbey«, sein Rezept auf die Epoche des »vergoldeten Zeitalters« zu übertragen – eine Zeit, in der die USA durch stürmische Industrialisierung, bahnbrechende Erfindungen und Einwandererströme zur Weltmacht aufstiegen. 

Im Mittelpunkt stehen nun zwei Familien: die van Rhijns als Vertreter der »alten« Elite und die neureichen Russells, deren Oberhaupt George (Morgan Spector) als waghalsiger Eisenbahntycoon für den Unternehmergeist jener Gründerzeit steht. Mit derselben nimmermüden Energie setzt Ehefrau Bertha (Carrie Coon) alle Hebel in Bewegung, um sich Eingang in die High Society zu verschaffen. Buchstäblich zwischen diesen beiden Polen – die Häuser liegen einander gegenüber – bewegt sich Marian (Meryl Streeps jüngste Tochter Louisa Jacobson), die, als verarmte Nichte von Agnes van Rhijn (Christine Baranski) aufgenommen, zur unkonventionellen jungen Generation zählt. Wie in der Vorgängerserie bekommt die Dienerschaft im Souterrain ebenso viel Raum wie die Beletage, sind Butler und Köche so snobistisch wie ihre Herrschaft.

Auch diese Serie ist von starken Frauencharakteren geprägt, die sich im Laufe der Handlung konträr zum Klischee entwickeln. Das gilt jedoch nicht für die allzu unbedarfte Marian, eine blasse Identifikationsfigur für ein jüngeres Publikum. In den fünf bisher zugänglichen Episoden ragt stattdessen Christine Baranski auf den Spuren der von Maggie Smith gespielten »Downton Abbey«-Patriarchin als scharfzüngige Witwe Agnes Van Rhijn hervor sowie als Gegenpart die aggressive Aufsteigerin Bertha Russell, die von Agnes beharrlich ignoriert wird.

Die Besetzung ist brillant, und das Drehbuch verbindet geschmeidig fiktive mit historischen Figuren wie Caroline Astor, Königin der High Society. Bald aber ertappt man sich bei dem Gedanken, ob die reichen Witwen und Gattinnen in dieser Epoche ungeheurer sozialer Dynamik tatsächlich nichts Besseres zu tun wussten, als auf Charity-Veranstaltungen um die Hackordnung zu kämpfen und in jedem Auftritt ein neues maßgeschneidertes Kostüm auszuführen.

Zu Beginn wird in einer symbolträchtigen Szene beim Einzug der Russells in ihr neues Stadtpalais eine schier endlose Zahl von Antiquitäten aus europäischen Adelshäusern herangekarrt. Dabei beträgt der Abstand zwischen jenen protzigen Neureichen und dem »alten« Geldadel mit seinen von »robber barons« angesammelten Vermögen doch lediglich eine Generation. Leider fehlen romantische Schauwerte jenseits überladener Stadtpaläste. Und bis jetzt vermisst man – besonders als Europäer mit vielen ausgewanderten Ahnen – Einblicke in die Einwandererghettos, wie sie gerade für New York typisch waren.

Ausgerechnet Marians afroamerikanische Freundin Peggy (Musicalstar Denée Benton), deren Existenz anfangs lediglich einer »Diversity«-Quote geschuldet schien, entpuppt sich als spannendster Charakter. Mit ihr wird eine schwarze Mittelschicht vorgestellt, die, obwohl historisch belegt, bisher kaum Beachtung fand. Zwar erfüllt Peggy, die mit Artikel-Schreiben die Welt verändern will, ein blütenweißes »Little Women«-Klischee. Doch allein schon die Überlegungen ihrer Eltern, wie sich ihre Tochter in der Welt der Weißen verhalten sollte, eröffnen eine bisher unerforschte und aufregend aktuelle Perspektive.

OV-Trailer

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