Netflix: »The Witcher« Staffel 2
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Ein bisschen Zynismus am Morgen des Weltuntergangs, das ist so seine Art. Drei angebliche »jüngste Tage« und ein ganzes dunkles Zeitalter habe er schon durchlebt, hält Geralt von Riva alias The Witcher (Henry Cavill) einer weiteren Prophezeiung zum nahen Ende entgegen. »It's all horseshit.« Wobei Cavill auch in der zweiten Staffel der Fantasyserie nach den Büchern des Polen Andrzej Sapkowski die genau richtige Mischung aus Abgebrühtheit und Weltüberdruss, aus ganz harter Schale und schwelenden Emotionen trifft – der perfekte Avatar für Zeiten wie diese.
Perfekt in Zeiten wie diese passt auch, dass es wohl keine zwei Texte gibt, die den Inhalt der Serie auf gleiche Weise wiedergeben. Wo die einen eine Erzählung über Elfen, Zauberer und Zwerge à la Tolkien sehen, erkennen andere ein raffiniertes Gegen-den-Strich-Lesen der europäischen Märchenmotive, und wieder andere hoffen auf ihr nächstes »Game of Thrones«-High. Hinzu kommen die Meta-Interpretationen von wegen: »Eigentlich geht es um die Klimakatastrophe« – oder dank der vielen starken Frauenfiguren um eine feministische Neudefinition des Genres; oder aufgrund der geschilderten Kriege gegen jeweils »Andere« wie Elfen oder Südländer um zeitaktuelle Probleme wie Rassismus. Das Schöne an »The Witcher« ist: Man muss sich gar nicht entscheiden, es ist für jeden etwas dabei.
Wo die erste Staffel den Zuschauer noch mit drei Zeitebenen herausforderte, die man sich selbst als solche erschließen musste, folgt die zweite Staffel nun einer chronologisch korrekt angelegten Handlung. Sie führt von der Schlacht bei Sodden, dem Ende der ersten Staffel, weg und begleitet einerseits den Witcher und sein »Überraschungskind« Ciri (Freya Allan) bei der Erkundung ihrer Bestimmungen, andererseits die Magierin Yennefer (Anya Chalotra), der ihre Bestimmung abhandengekommen scheint. Und spät, aber dann doch, taucht auch der Barde Jaskier (Joey Batey) mit seinen seltsam-poppigen Balladen wieder auf.
Neueinsteigern mag es schwerfallen, mit der Sapkowski'schen Tonart zurechtzukommen, die so ganz anders ist als in High-Fantasy-Erzählungen üblich. Neben den Monstern in all ihrer schleimigen und vielarmigen Ekligkeit sorgen Themen wie Kindesmissbrauch, Vergewaltigung und Folter dafür, jede Art von Romantik aus dieser Märchenwelt zu vertreiben. Hinzu kommt ein derber, schräger Humor, der weniger »comic relief« sein möchte als sarkastischer Kommentar zu einer Welt, in der lauter Zeichen und Wunder geschehen, aber kaum je Hoffnung aufscheint.
Gegenüber »Game of Thrones« hat »The Witcher« einen klaren strukturellen Vorteil: Die Vorlage, die sowohl aus Kurzgeschichten als auch aus einer Romanreihe besteht, lässt sich als Serie flexibel umsetzen, mal nach dem altmodischen »Monster of the Week«-Model, mal mit großem Erzählbogen zu einer Auflösung hin – die dieses eine Mal vielleicht nicht enttäuscht? Aber bis dahin kann es noch Jahre dauern, die dritte Staffel ist bereits bestellt.
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