ARD-Mediathek: »Das Netz«
»Das Netz – Spiel am Abgrund« (Serie, 2022). © ARD Degeto/Servus TV/MR-Film/Das Netz GmbH/Fabio Eppensteiner
Die Serie »Das Netz: Spiel am Abgrund« beginnt mit der Zeitangabe: »Zwei Wochen bis zur WM.« So aktuell und mutig gerät eine Fernsehserie nur selten. Vom Tag der linearen Ausstrahlung an (3. November) sind es gut zwei Wochen bis zum Anpfiff der echten Fußballweltmeisterschaft in Katar.
In der fiktionalen Serie heißt der Weltfußballverband nicht FIFA, sondern WFA. Ihr Präsident Jean Leco (Raymond Thiry) verfolgt den ehrgeizigen Plan einer World League, in der die besten Mannschaften aller Länder gegeneinander antreten.
Nach außen hin hegt Leco altruistische Motive. Die im Weltfußball unterrepräsentierten Länder außerhalb Europas sollen von der neuen Liga profitieren. Zugleich möchte Leco dem Spielerschacher Einhalt gebieten, der die besten Spieler aus den Herkunftsländern nach Europa holt, aber fallenlässt, wenn sie nicht die erwartete Leistung bringen. In Wahrheit denkt Leco anders: »Noch größere Spiele. Hotel- und Tourismusindustrie. Fluggesellschaften. Verwertungsrechte. Merchandising. Cashcow of the century.«
Die Berliner Rechtsanwältin Lea Brandstätter (Birgit Minichmayr) ist mit dem Talentscout und Spielerberater David Winter (Itay Tiran) liiert. Winter wirkt nervös, überlässt ihr ein Handy mit brisanten Daten. Er hat sich mit dem Sportjournalisten Daniel Bosch (David Ruland) verabredet. Zwei Schläger lauern den beiden auf. Die Hooligans Marcel Fork (Max von der Groeben) und Kevin mischen sich ein. Kevin stirbt. Kurz darauf kommt vor Brandstätters Augen auch Winter ums Leben. Lea Brandstätter lassen Winters Tod und sein Verhalten an den Tagen zuvor keine Ruhe. Ihre Ermittlungen führen sie ins Herz des Fußballbetriebs. Hier werden Spielergebnisse und Austragungsorte gekauft, wird Menschenhandel betrieben. In Marcel Fork brodelt die Rachlust. Zwangsläufig treffen der wutschnaubende, gewaltbereite Fork und die gerissene Anwältin aufeinander, bilden ein mehr als ungleiches Team. Der im Koma liegende Bosch ist in Lebensgefahr, bald auch Lea Brandstätter und deren Kanzleikollegin Christina Hein (Eva Mattes).
»Spiel am Abgrund« ist einer von zwei Zyklen mit je acht Folgen. Der zweite mit dem Untertitel »Prometheus« erzählt eine eigene Geschichte, die des englischen Arztes und Dopingkontrolleurs Georg Trotter (Tobias Moretti) und seiner Frau Diana (Angel Coulby). Seit einem schweren Unfall, bei dem das gemeinsame Kind ums Leben kam, ist Diana auf den Rollstuhl angewiesen. Ein alter Freund, Andreas Müller (Benjamin Sadler), macht Trotter das Angebot, in einer noblen Sportklinik in Bad Gastein tätig zu werden. Trotter zögert, sagt aber zu, nachdem in seinem Krankenhaus eine Patientin eine Vorzugsbehandlung erfährt. Fortan behandelt er Starfußballer. Auch milliardenschwere Funktionäre zählen zu den Patienten. Und sie unterziehen sich eigenartigen Therapien.
Die Zyklen greifen partiell ineinander, einige Figuren wie Jean Leco oder der zwielichtige Spielervermittler Felgenbauer (Tom Wlaschiha) treten in beiden in Erscheinung. Obwohl von getrennten Teams verfasst und produziert, funktioniert die Serie als Ganzes hervorragend. Die Dialoge sind typgerecht, zwischen Diplomatensprache und breitem Argot. Überzeugend die Konsequenz in der Charakterzeichnung – wenn ein Hooligan mal auf der richtigen Seite steht, ändert sich deshalb noch nicht sein Naturell. Und richtigerweise gibt es kein klassisches Happy End. Dafür ein Satisfying End.
Beide Geschichten werden episch breit erzählt, bei allen Verästelungen gerät der rote Faden nie aus dem Blick. Die Dramaturgie stimmt, stellt Spannung her. Meist ohne billige Mätzchen, wirksam unterstützt durch die pulsierende Musik von Stefan Will, Robert Henke und Matthias Weber. Mit dieser internationalen Koproduktion ist eine Serie gelungen, die sich inhaltlich, inszenatorisch und schauspielerisch mit den Besten ihrer Gattung messen kann. Ein großer Wurf.
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