Apple TV+: »Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb«

»Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb« (Staffel 1, 2022). © Apple TV+

»Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb« (Staffel 1, 2022). © Apple TV+

Zwar hat die Nr. 1 der filmischen Geheimagenten, James Bond 007, sich in seiner letzten Inkarnation durch Daniel Craig mit einem Paukenschlag verabschiedet und legt derzeit eine kreative Pause ein (um in einigen Jahren in veränderter Gestalt zurückzukehren), aber das Zuschauerinteresse an Geheimagenten bleibt ungebrochen, davon legen Kinofilme und noch mehr Fernsehproduktionen Zeugnis ab. Da kann man in der Fülle des Angebots schon mal etwas übersehen, was die Serie »Slow Horses« allerdings nicht verdient hat, der die Hauptdarsteller Gary Oldman und Kristin Scott Thomas Aufmerksamkeit sichern sollten, vielleicht auch die Tatsache, dass der Titelsong »Strange Game« von keinem Geringerem als Mick Jagger (mit-)geschrieben und gesungen wird.

Die Serie basiert auf der bis jetzt elf Bände umfassenden Romanserie von Mick Herron (deutsch bei Diogenes), deren erster Band 2010 in Großbritannien kein großer Erfolg war – was sich mittlerweile geändert hat. Ihr Schauplatz ist das »Slough House«, ein ziemlich heruntergekommener Arbeitsplatz (in einer Seitenstraße der britischen Metropole, zu erreichen über eine Feuerleiter). Hier versehen ehemalige Mitarbeiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI 5 ihren Dienst, sie wurden wegen Verfehlungen hierher strafversetzt und angeblich hat noch nie jemand aus dem Slough House den Weg zurück nach Regent Park gefunden. 

Der jüngste Neuzugang zum Slough House heißt River Cartwright, der Grund für seine Strafversetzung ist in der ersten Szene der Serie, noch vor dem Vorspann, zu sehen. Auf dem Londoner Flughafen Stansted soll ein Terrorist unschädlich gemacht werden, der eine Bombe an Bord eines Flugzeugs schmuggeln will. Nachdem zunächst ein falscher Mann ins Visier der Agenten gerät, jagt River dem Verdächtigen hinterher und stellt ihn auf dem Bahnsteig, bevor er in den Stansted Express einsteigen kann. Er kann jedoch nicht verhindern, dass der Mann die Bombe zündet.
249 Tote und mehr als hundert Verletzte sind das Resultat – zum Glück war das Ganze nur eine Trainingseinheit. Hat River, als er den falschen Mann ins Visier nahm, sich tatsächlich verhört (»weiße Jacke, blauer Schlips«) oder hat sein Kollege Webb ihm das Falsche gesagt (»blaue Jacke, weißer Schlips«) – vielleicht sogar absichtlich ? 

Überhaupt scheint der Hauptgegner der frühere Arbeitgeber der Agenten zu sein: in dem hochmodernen und eleganten Bürogebäude in Regent Park hat man nicht nur Verachtung für die gefallenen Ex-Kollegen, man sabotiert ihre Arbeit auch – und zwar von ganz oben: Diana Taverner (Kristin Scott Thomas) geht es vor allem darum, dass ihre eigene Abteilung gut da steht, und dafür ist das »Slough House« ein idealer Sündenbock.

Als dann eine vierköpfige Gruppe von gewaltbereiten Nationalisten, die sich »Sons of Albion« nennen, einen pakistanischen Studenten entführt und ankündigt, ihn am nächsten Morgen vor laufender Kamera zu enthaupten, sieht River eine Möglichkeit, sich zu beweisen. Steht die Entführung in einem Zusammenhang damit, dass er den Müll des rechtsgerichteten Journalisten Robert Hobden durchwühlen muss? Was fand sich auf Hobdens Computer, dessen Inhalt Rivers Kollegin Sid in einem Café kopieren konnte? Und was wollte Hobden von dem rechtsgerichteten Politiker, den er wiederholt versuchte zu kontaktieren?

Die Entführung des Studenten ist dabei nur Auslöser für die nachfolgenden Ereignisse. Es sind nicht die – kompetent inszenierten – Actionsequenzen, für die »Slow Horses« im Gedächtnis bleiben wird, sondern die Figuren. Ihre backstories werden manchmal nur angedeutet, wie im Fall von Lambs geplagter Sekretärin Catherine Standish (Saskia Reeves, die Anfang der neunziger Jahre mit »December Bride«, »Close My Eyes« und dann »Butterfly Kiss« einen tollen Einstand hatte, danach aber von meinem Radar verschwand), die immer wieder von Erinnerungen heimgesucht wird, wie sie ihren Ehemann mit aufgeschnittenen Pulsadern tot in der Badewanne fand, Tage nachdem Lamb zu einem unangekündigten Besuch in ihrer Wohnung erschienen war. Lambs Geständnis, ganz am Ende der letzten Folge der ersten Staffel, enthüllt dabei nicht unbedingt die ganze Wahrheit. 

Lamb selber, von Gary Oldman kongenial verkörpert, erscheint dabei anfangs als Misantroph, der seine Tage im Büro nur abzusitzen scheint, dabei, die Füße auf den Schreibtisch gelegt, vor sich hin döst und seine Mitarbeiter fortwährend runtermacht. Dass er auch anders kann, zeigt sich später, seine Haltung gegenüber seinen Untergebenen kommt sehr treffend zum Ausdruck in seiner Äußerung, »They are a bunch of fucking losers – but they are my losers.«

Seit 29.4. sind alle sechs Folgen der ersten Staffel auf apple tv+ abrufbar (die zweite ist in Arbeit) – Binge Watching bietet sich an, spielt die Hauptgeschichte doch innerhalb einer Nacht und eines Tages.

Trailer

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt