Disney+: »Y: The Last Man«
© Disney+/Rafy Winterfeld/FX Productions, LLC.
Erwartungen unterlaufen, ein Genre subversiv gegen den Strich bürsten, klassische Geschlechterrollen aufbrechen – die beliebten Verfahren der Popkultur, um Klischees zu vermeiden, laufen Gefahr, ihrerseits zum Klischee zu werden. Der Stoff der Comic-Buchserie von Brian K. Vaughan, den der amerikanische Bezahlsender FX nun zur Vorlage einer neuen TV-Serie machte, liefert dafür ein anschauliches Beispiel: Am Anfang steht eine Katastrophe, die insofern unsere Erwartungen unterläuft, weil sie nicht durch die herkömmlichen Muster – Klima, Krieg, Aliens – erklärbar scheint. Binnen weniger Stunden sterben sämtliche Männer auf dem Planeten Erde. Doch statt den dystopischen Genreregeln zu folgen, die aus Überlebenden Helden macht, ist der titelgebende »letzte Mann« – ein ziemlicher Trottel. Schon sein Name ist lächerlich: Yorick (gespielt von Ben Schnetzer), nach dem Shakespeareschen Narren, um den Hamlet trauert. Er hat es im Leben auch schon vor der Katastrophe nicht weit gebracht, ein College-Drop-out, der davon träumt, als Zauberer Karriere zu machen, aber zusammen mit seinem Äffchen »Ampersand« in einer Wohnung wohnt, deren Miete noch von den Eltern bezahlt wird. Die eigene Freundin lacht ihn aus, als er ihr einen Heiratsantrag macht. Nun, kurz darauf mag sie es sich anders überlegt haben, aber wie soll sie auch wissen, dass ausgerechnet dieser Nichtsnutz von der Weltkatastrophe verschont wird? Und warum bloß?
Yoricks Mutter (Diane Lane), eine hochrangige Politikerin, sieht sich unterdessen an die Spitze des Staats katapultiert – wo sie mit den anderen »übrig gebliebenen« Frauen in der Politik viel klassisch-weibliches Verhalten überwinden muss, um der Katastrophe »Herr« zu werden. Eine ziemlich geheimnisvolle Agentin, »355« (Ashley Romans), taffer als James Bond, hilft ihr dabei. Besonders als es darum geht, das Überleben Yoricks geheim zu halten.
Die Comic-Serie ist in den Nullerjahren erschienen; die TV-Serie siedelt die Handlung deutlich markiert nun im aktuellen, hochpolarisierten politischen Kontext an: Bis zur Katastrophe regiert ein konservativer Präsident. Dass mit Diane Lanes Figur wegen der verfassungsgemäßen Erbfolge eine Liberale Präsidentin wird, passt den hinterbliebenen republikanischen Frauen gar nicht. Die Gegensätze, die vorher die Politik bestimmten, treten nach der Katastrophe fast noch deutlicher hervor. Wie würden die Verschwörungstheoretiker erst darauf reagieren, wenn sie erfahren, dass ausgerechnet der Sohn der Präsidentin überlebt hat? Und dann gibt es noch eine Gruppe, für die das Überleben nach der Katastrophe erst richtig schwer wird: die Transmänner, die nun nicht mehr »unerkannt« ihr Leben führen können.
Selbst wenn das Subversive all dieser Elemente im heutigen identitätspolitisch so sensibilisierten Kontext nicht mehr ganz so neu erscheint, liefert die Welt, die die Serie in den ersten Folgen entwirft, ein so spannendes Zerrbild aktueller Diskurse, dass man unbedingt weiter schauen möchte. Schon alleine, um Diane Lane regieren zu sehen.
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