Amazon: »Sound of Metal«
Wenn im filmischen Kontext von Immersion die Rede ist, denken die meisten wohl zunächst einmal an das Visuelle. Klar, der Sound spielt eine gewichtige Rolle, und in Multiplex-Kinos wird ihm durch Dolby-Systeme viel Platz eingeräumt, doch die erste Geige spielen meist die Bilder. Genau diese ungeschriebene Rangfolge bricht Darius Marder, Co-Autor von Derek Cianfrances »The Place Beyond the Pines«, in seinem Spielfilmdebüt »Sound of Metal« auf, und zwar unglaublich klug und wirkungsvoll.
Es sind Momente der leisen Angst, wenn wir gemeinsam mit Drummer Ruben (Riz Ahmed) erleben, wie die hörbare Welt hinter den dicken Scheiben eines Aquariums zu verschwinden scheint. Erst ist da ein lautes Piepsen, bevor ein akustischer Schwenk die Grenze von Außen nach Innen markiert: Während Ruben beim Konzert die Becken und Trommeln seines Schlagzeugs malträtiert, wechselt die Tonspur schrittweise in Rubens Innenperspektive, bis von dem Konzertpoltern nur noch ein dumpf klingendes Rhythmusgerüst übrig bleibt. Auch nach dem Aufwachen im Tourbus neben seiner Freundin Lou (Olivia Cooke), zugleich Frontfrau ihres experimentellen Noiserock-Duos, ist da keine Besserung: Kaffeemaschine und Dusche bleiben für ihn, wenn überhaupt hörbar, dumpf.
»Sound of Metal« erzählt von einem Drummer, der sein Gehör verliert, und lässt uns durch das Sounddesign von Marders Bruder Abraham und Toningenieur Nicolas Becker (mitverantwortlich auch für den Sound von Filmen wie »Gravity« oder »Arrival«) zwischendurch daran teilhaben. Mit Stethoskop und empfindlichen Mikrofonen wurden Ahmeds Körpergeräusche aufgenommen. Der Schauspieler selbst konnte durch spezielle Ohrstöpsel, die den Hörverlust imitieren, in seine Figur eintauchen. Begleitet wird der Film passenderweise von einem minimalistischen Score, dessen zentrales Instrument ein Cristal Baschet ist: eine Art Kristallorgel aus Metal und Glasstäben, die, mit feuchten Fingern gespielt, einen vibrierenden Klang erzeugen.
Nicht nur aufgrund des fantastischen Sounddesigns wird »Sound of Metal« bereits als einer der Filme von 2020 gefeiert; Sound und Hauptdarsteller Ahmed werden überdies als Oscaranwärter gehandelt. Der britische Schauspieler spielt den Musiker und ehemaligen Junkie mit zurückhaltender Unruhe. Man ist in jeder Sekunde bei ihm und zwischendurch regelrecht in seinem Kopf.
Anders als in Damien Chazelles Schlagzeugthriller »Whiplash« geht es in »Sound of Metal« weniger um die Musik. Sie ist vielmehr der Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Wahrnehmung, Sucht und Ego. Marder vermeidet dabei dramaturgische Standardphrasen und konzentriert sich auf den Helden und seine neue Welt. Was muss, das muss, jedenfalls wird Ruben von Lou in eine Gehörlosengemeinde geschickt und auf unbestimmte Zeit von ihr verlassen, damit er sich finden kann.
Damit beginnt ein Blick in eine Gemeinschaft, wie er wunderbarer kaum je umgesetzt wurde. Es ist eine Welt der produktiven Stille und Zeichen, in die Ruben von Leiter Joe, einem liebevollen, aber bestimmten Kriegsveteranen (fantastisch: Paul Raci) eingeführt wird. Es gilt, die neue (Zeichen-)Sprache zu lernen und sich mit der Ruhe abzufinden, in akustischer wie in psychologischer Hinsicht.
Marder gelingt, was sonst oft eine unerfüllte Prämisse bleibt: Er öffnet eine Welt und lässt uns daran teilhaben. »Sound of Metal« ist eine berührende, völlig unverkitschte Charakterstudie und am Ende auch ein Film darüber, dass sich neu geöffnete Türen wieder schließen können. Denn spätestens durch den Effekt des Cochlea-Implantats, einer Hörprothese, wird klar, worauf sich der Filmtitel bezieht. Doch trotz einer Kette trauriger Ereignisse lassen die letzten, wunderbaren Momente dieses filmischen Juwels hoffen.
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