TV-Tipp: »Schönes Schlamassel«
»Schönes Schlamassel« (2020). © BR/ORF/Bavaria Fiction GmbH/Conradfilm
Es beginnt mit einem Sturz: in ihrem Buchladen stolpert Anne über ein dickleibiges Buch von Ephraim Kishon, das ein lesender Kunde auf dem Boden platziert hatte. Immerhin lernt sie dadurch den charmanten Notfallarzt Tobias kennen. Einer Verabredung ist sie nicht abgeneigt, seit sie den Davidstern an Tobias' Halskette gesehen hat. Denn Anne ist Philosemitin, die nicht nur stolz erklärt, in ihrem Laden die größte Auswahl jüdischer Bücher in der Stadt zu haben, sondern die auch regelmäßig die Bewohner eines jüdischen Altersheims besucht und dort eine besondere Zuneigung zu dem alten Schlomo entwickelt hat, der ein Buch über seine Zeit als Kind im KZ veröffentlicht hat und für dessen Nachfolgewerk sie einen Verlag gefunden hat und selber das Lektorat übernimmt.
Angekündigt als romantische Komödie ist der neue Film des österreichischen Filmemachers Wolfgang Murnberger doch mehr. Er hinterfragt den Philosemitismus der Hauptfigur und stellt mit der Figur des Schlomo (eindrucksvoll verkörpert von Dieter Hallervorden, der übrigens am 5. September seinen 85. Geburtstag feiert) auch die Frage, welche Freiheiten sich Literatur herausnehmen darf, wenn sie behauptet, selbsterlebte Wahrheit zu schildern. »Die Wahrheit bleibt die Wahrheit, egal wer sie schreibt«, verteidigt sich Schlomo, nachdem herausgekommen ist, dass er selber nie in einem KZ war, sondern die Aufzeichnungen und Erzählungen einer anderen, mittlerweile verstorbenen, Bewohnerin des Altersheims benutzt hat.
Es gehört zu den Qualitäten des Films, dass er dies einbaut und trotzdem als romantische Komödie funktioniert. Denn beim Date mit dem Arzt Florian lernt Anne, die ihre Freundin Laura mitgebracht hat, auch dessen Kollegen, den Gynäkologen Daniel, kennen. Der lässt sie im Glauben, er sei, wie Florian, ebenfalls Jude und schiebt das Eingeständnis der Wahrheit immer weiter hinaus. Florian, der eher der Aufreißertyp ist, und Laura, die eine Beziehung zu dem verheirateten Chef des Massagestudios hat, in dem sie arbeitet, kommen sich ebenfalls näher, was der Film für einige pointierte Parallelmontagen nutzt.
Murnberger kann dabei auf ein spielfreudiges Quartett von Darstellern zurückgreifen, angeführt von Verena Altenberger, die die Anne als ziemlich ambivalente Figur macht – ihre Äußerung »Umsatz ist nicht alles!« kann sie sich eben nur leisten, weil sie für ihren Buchladen keine Miete zahlt, gehört doch das Haus ihren Eltern. Ihre emphatische Art kontrastiert mit dem verhaltenen Spiel von Maxim Mehmet als Daniel, während sich Lasse Myhr und Lisa Wagner eher durch Direktheit auszeichnen. Brillant übrigens wieder einmal bei Murnberger der Anfang, der in fünf Minuten alle vier Hauptfiguren so knapp wie klar umreißt.
... zum Interview mit Regisseur Wolfgang Murnberger
Sendetermin und Wiederholungen
Do., 03.09.20 | 00:25 Uhr | Das Erste
Sa., 12.09.20 | 09:45 Uhr | ONE
Mo., 14.09.20 | 12:45 Uhr | ONE
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