Interview: Wolfgang Murnberger über »Schönes Schlamassel«
Wolfgang Murnberger
Herr Murnberger, der letzte Satz des alten Schriftstellers Schlomo, dessen Bericht über seine Kindheit im KZ sich als nicht selbsterlebt herausstellt hat, lautet: »Die Wahrheit bleibt die Wahrheit, egal wer sie schreibt.« Würden Sie das unterschreiben?
Diese Szene im Film wurde inspiriert von einer wahren Begebenheit, einem jüdischen Autor, einem Schweizer, der behauptet hat, er war als Kind im KZ. Sein Name (ein Pseudonym) ist Binjamin Wilkomirski. Er hat damals gegenüber der Presse erklärt, es sei ja trotzdem alles wahr gewesen, was er beschrieben hat, auch wenn er es nicht selber erlebt hat. Das habe ich als interessant empfunden, zumal es sein meistgelesenes Buch war. Bei meinen Recherchen bin ich darauf gestoßen, dass es noch immer jüdische Vereinigungen gibt, die ihn hochhalten, obwohl er geschummelt hat. Auch gute Zeitungen haben das Buch hoch gelobt und seinen literarischen Wert betont – einige wenige sagten allerdings auch, es sei zu kitschig und zu schwülstig. Jedenfalls habe ich diesen Satz genommen, weil ich die Frage selber nicht beantworten kann. Diesem Autor hat es offensichtlich so viel gegeben, sich in das Leben eines Kindes im KZ hineinzudenken, dass er sich nie hundertprozentig davon distanziert hat.
Die Frage, ob Autoren nur schreiben dürfen, was sie selber erlebt haben, wird ja im Augenblick auch in anderen Zusammenhängen stark debattiert. War das für Sie je ein Problem bei diesem Stoff? Haben sie sich gefragt, ob das nicht lieber ein jüdischer Autor bzw. ein jüdischer Regisseur angehen sollte?
Diese Problematik verfolgt mich irgendwie! Bei dem Film »Mein bester Feind« aus dem Jahr 2011 ist dem Produzenten damals der jüdische Regisseur abgesprungen, als die Finanzierung bereits stand und Moritz Bleibtreu für die Hauptrolle bereits besetzt war. Der Produzent hat dann mich gefragt, ob ich das übernehmen könnte, meinte aber, ich müsse zuvor den jüdischen Drehbuchautor, Paul Hengge (der auch »Hitlerjunge Salomon« geschrieben hatte), treffen. Paul Hengge hat mich gebeten, es zu machen. Sein Hauptargument war, dass er endlich einen Film im Kino über diese Zeit sehen wollte, in welcher der Jude nicht wieder als Opfer gezeigt wird und abgemagert am Stacheldrahtzaun steht – sondern eine Komödie, in der ein Jude die Nazis an der Nase herumführt. Auch bei »Schönes Schlamassel« war es wieder so, dass ich mich gefragt habe: darf man das alles? In der ersten Drehbuchfassung von Peter Probst war das Thema allerdings noch viel mehr präsent, wir haben es dann auch noch von einem jüdischen Autor gegenlesen lassen. Letztendlich wollten die Redaktionen dann, dass das Thema nicht in jeder Szene das Wichtigste an der ganzen Geschichte ist. Das war dann auch meine Arbeit am Drehbuch, dass ich gesagt habe, ich kann daraus eine Komödie über Menschen machen, Menschen wie Du und ich, und eine Figur von denen ist eben Philosemitin – und was sich daraus entwickelt. Ich habe mich dann stark auf die Charaktere fokussiert und hatte eine kammerspielartige Komödie vor Augen. Dann habe ich mit der Figur des Schlomo noch eine andere Ebene des jüdischen Themas hineingebracht. Ein Schweizer, der lügt und behauptet, er war als Kind im KZ und ein deutscher Arzt, der lügt und behauptet, er sei Jude. Da ergab sich eine schöne Spiegelung in der Handlung.
Das Drehbuch ist zu Ihnen vom Bayerischen Rundfunk gekommen, wie bei Ihrer vorangegangenen Arbeit »Nichts zu verlieren«?
Ja, diese Konstellation gab es übrigens auch schon 2013 bei »Wer hat Angst vorm weißen Mann?«
Kam das Drehbuch mit dem Hinweis, »Da können wir in viele Fettnäpfchen treten«?
Ja, sicher, das war immer allen bewusst. Aber wenn gar keine Fettnäpfchen herumstehen, wäre das auch langweilig – wenn es nur darum geht, ob sie heiraten oder nicht. Nicht… kommt außerdem eher selten vor.
Gab es bei der Abnahme durch BR und ORF Probleme?
Es gibt immer kleine Probleme, etwa wenn bei Verena der österreichische Dialekt durchkommt. Aber es gab keine inhaltlichen Probleme. Beim Drehbuch war darauf zu achten, dass der Philosemitismus der Hauptfigur nicht in jeder Szene vor sich hergetragen wird. Ich habe auch die Geschichte mit ihren Eltern hereingebracht, in der es um ein altes Gemälde geht. Darauf bin ich bei der Recherche zu »Mein bester Feind« gestoßen. Die Altwarenhändler, die damals zufälligerweise zur richtigen Zeit am richtigen Platz saßen, als so viele Juden fliehen mussten und gezwungen waren, ihre Wertgegenstände unter Wert zu verkaufen – deren Kinder sind heute Millionäre.
Zur Besetzung: Verena Altenberger ist in Deutschland eigentlich erst richtig bekannt geworden durch ihre Rolle als Nachfolgerin von Matthias Brandt im »Polizeiruf 110« des Bayerischen Rundfunks. War das ein Vorschlag des BR, vielleicht auch im Sinne einer Crossover-Promotion?
Nein, ich kannte sie schon aus Österreich, vor allem aus dem Film »Die beste aller Welten« von Adrian Goiginger, wo sie eine tolle Performance lieferte. In meinem Film »Kästner und der kleine Dienstag« hatte sie eine Zwei-Tages-Rolle als Liebschaft von Florian David Fitz. Da haben meine Cutterin und ich schon im Schneideraum gesagt: der würde man gern länger zuschauen. Denn sie hat es geschafft, aus ihrem kleinen Auftritt das Bestmöglichste heraus zu holen, nämlich Interesse für die Figur zu wecken. Der ORF macht jährlich zwei Gemeinschaftsproduktionen mit dem BR und da muss natürlich auch für das österreichische Publikum jemand dabei sein, deshalb hat es mich sehr gefreut, dass Verena Altenberger sofort zugesagt hat und ich die drei weiteren Rollen mit Darstellern aus Deutschland besetzen konnte.
Lisa Wagner spielte als Reiseleiterin eine Hauptrolle in Ihrem Ensemblefilm »Nichts zu verlieren«, Maxim Mehmet ist durch zahlreiche Film- und Fernsehrollen bekannt, aber Lasse Myhr war mir bisher kein Begriff…
Lasse habe ich durch Castingbänder kennengelernt, wo wir einen Typ »viriler Mann« suchten. Die vier haben wahnsinnig gut miteinander harmoniert – und ich mit ihnen. Von dem, was der Film sich vornimmt, ist er eher Kammermusik, keine Sinfonie oder große Oper. Man wird nicht bombardiert mit diesem Film, sondern sollte sich auf die kleinen Nuancen im Spiel der hervorragenden Darsteller einlassen – darauf habe ich mich konzentriert.
Zumindest am Anfang sind die Vier eher Typen…
Ja, mein älterer Bruder war Arzt, ich lernte auch seine wilden Arzt-Freunde kennen – von daher kannte ich diese Haltung, man wird (auch) Arzt um gutes Geld zu verdienen und ein schönes Leben zu haben.
Es gibt das Quartett der Hauptfiguren, unter denen die von Verena Altenberger gespielte allerdings herausgehoben ist. War das schwer, dabei die Balance zu finden?
Das ist immer schwer – das zweite Paar hat weniger Szenen, wirkt aber wie ein Katalysator für die Geschichte der beiden Hauptfiguren. Auch bei Nebenfiguren muss man verhindern, dass sie nur Stichwortgeber sind. So hat eben sogar der verheiratete Chef des Massagesalons, mit dem die von Lisa Wagner gespielte Figur ein (problematisches) Verhältnis hat, Momente von Menschlichkeit.
Sie hatten beim letzten Mal von einem Projekt erzählt, dass Sie zusammen mit Josef Hader geschrieben haben und das von der Filmförderung abgelehnt wurde. Ist das komplett gestorben?
Josef ist sehr beschäftigt, bereitet ein neues Programm vor und möchte auch seine zweite Regiearbeit realisieren. Er hat gemeint, man sollte vielleicht versuchen, das als Fernsehprojekt zu realisieren. Das Problem ist, dass sich die Geschichte von einer Komödie zu einem Thriller entwickelt. Ich weiß nicht, ob das Fernsehen da mitgeht. Das ist für mich der große Unterschied: im Fernsehen sollte eher im Film drin sein, was draußen draufsteht – im Kino mache ich gerne Überraschungen, den Wechsel von einem Genre in ein anderes.
Die »Steirerkrimis« werden aber fortgesetzt?
Ja, das ist eine schöne Arbeit. Meine Frau und ich schreiben die Bücher jetzt selber und ich drehe heuer im Herbst noch zwei »Steirerkrimis« – so Corona will.
Diesen Film hatten sie rechtzeitig vor dem Lockdown abgeschlossen?
Ich bin nach der Mischung von München mit dem Zug nach Wien gefahren, das war ein Geisterzug, weil Österreich schon die Grenzen dichtgemacht hatte – so waren in diesem Zug mit sieben Waggons nur zwei Passagiere und eine Schaffnerin. In dieser isolierten Zugfahrt hat sich für mich schon angekündigt, was danach kam.
Wie haben Sie die Zeit genutzt?
Meine Frau und ich haben die beiden »Steirerkrimis« geschrieben, das hätten wir ohne Corona auch gemacht, aber vielleicht nicht so konzentriert. Wenn ich schreiben muss, würde ich ja oft lieber am Set stehen und drehen, aber wenn ich dann drehe, würde ich oft lieber an einem Tisch sitzen und schreiben. Ein ewiger Kreislauf.
Haben Sie in die Drehbücher etwas von der Pandemie einfließen lassen?
Das haben wir kurz überlegt, dann aber verworfen, denn wenn es alle machen und die Filme dann alle zur selben Zeit herauskommen, wird es schrecklich.
Obligatorische Schlussfrage: gibt es Neuigkeiten für die »Brenner«-Fans – einen fünften Film mit Josef Hader in der Rolle des von Wolf Haas kreierten Privatdetektivs?
Das müssen Sie Josef Hader fragen. Ich würde gerne noch einen machen, aber Josef ist, wie gesagt, sehr beschäftigt mit dem, was er sowieso machen will. Und die Arbeit zu dritt am Drehbuch, wir beide und Wolf Haas, war jedes Mal wirklich zeitaufwendig. Alle Ideen in den Drehbüchern mussten drei Leuten gefallen – und letztendlich mussten wir dann auch noch die Drehbuchgage durch drei teilen.
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