Streaming-Tipp: »It's Okay to Not Be Okay«
»It's Okay to Not Be Okay« (Serie, 2020). © Netflix
Young-go (Seo Ye-ji) ist erfolgreiche Kinderbuchautorin. Privat ist die Schriftstellerin allerdings ziemlich schräg. Ihr Sinn für gefühlvolle Geschichten steht im Widerspruch zu ihrem unflätigen Auftreten in der Öffentlichkeit. Ein ums andere Mal muss ihr leidgeprüfter Verlagsmanager die Wogen mit üppigen Geldzahlungen glätten. Das genaue Gegenteil verkörpert Gang-tae (Kim Soo-hyun). Als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik entwickelt der Einzelgänger ein besonderes Gespür für das Leiden der stationären Patienten.
Young-go verliebt sich unsterblich in den sensiblen Krankenpfleger. Doch der ziert sich. Seine Gefühle für die exzentrische Schriftstellerin bringen ihn in einen existenziellen Zwiespalt: Seit der Kindheit kümmert er sich um seinen autistischen Bruder Sang-te (Oh Jeong-se) und ist nun hin- und hergerissen zwischen der besitzergreifenden Autorin und dem älteren Bruder, an den ihn eine lebenslange symbiotische Beziehung fesselt.
Die koreanische Serie verknüpft das Romeo-und-Julia-Motiv mit einem märchenhaften Erzählgestus, der immer wieder mit Slapstickmomenten gebrochen wird. Dabei nimmt der 16-Teiler sich viel Zeit, um seine zahlreichen Charaktere präzise durchzuschattieren. Allen voran Kim Soo-hyun, der geschickt gegen sein Image als verehrter Frauenschwarm anspielt. Dabei gliedert sich auch das Thema der Inklusion erstaunlich organisch in den verschlungenen Erzählfluss ein. Nicht zufällig wird der Autist Sang-te zur heimlichen Hauptfigur. Ebenso ergreifende wie humorvolle Szenen führen vor Augen, wie das Entwickeln von Empathie für den Einzelgänger wie die Lösung einer komplexen Rechenaufgabe anmutet.
Die Serie handelt von verletzten Seelen, die Halt in Ersatzfamilien suchen. Eine dieser Gemeinschaften ist die psychiatrische Klinik. Deren Patienten sind keine skurrilen Freaks wie in »Einer flog übers Kuckucksnest«. Die psychisch Kranken gerieren sich wie Wissende. Mit dem Gestus des Chors im antiken Drama kommentieren sie das Treiben der Gesunden. Der Psychiater Ji-wang (Kim Chang-wan), der liebenswürdig lächelnd die Traumata dieser verlorenen Seelen behandelt, hat einen besonderen Draht zu diesen Menschen, die verzweifelt nach dem Ausgang aus dem Labyrinth psychischen Leids suchen.
Die hinreißend inszenierte Serie zeigt vor allem eines: Es ist O. K., nicht O. K. zu sein. In diesem farbenfroh ausgeleuchteten Zwischenreich zwischen Vernunft und Überspanntheit hat jeder seine Macke. Es gibt keine Hierarchie der Symptome. Und das Heilmittel? Wie in vielen koreanischen Filmen wird auch hier permanent und ausgiebig getafelt. Orale Gaumenfreuden, in zahlreichen Variationen ins Bild gesetzt, sind mehr als nur eine Ersatzbefriedigung. Essen fungiert als soziales Band. Und als Beruhigung der inneren Dämonen. »It's Okay to Not Be Okay« überzeugt als subtile Gratwanderung zwischen Kitsch und Tiefsinn.
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