Streaming-Tipp: »Bridgerton«
»Bridgerton« (Staffel 1, 2020). © Liam Daniel / Netflix
Es können schließlich nicht immer nur dieselben sechs Romane rauf und runter verfilmt werden, die es Jane Austen in ihrem kurzen Leben zu schreiben gereicht hat. Da muss doch mal was Neues her. Und wenn man dabei den überflüssigen Feudalballast loswerden könnte, den die Literatur des 19. Jahrhunderts so mit sich bringt, umso besser. Jane Austen, aber modern – das klingt nach einem Idealprojekt für Shonda Rhimes, die erfolgreichste weibliche TV-Produzentin der USA. Von »Greys Anatomy« über »Scandal« bis zu »How to Get Away With Murder« hat Rhimes Serien geschaffen, die kommerzielle Seichtheit mit starken Frauenfiguren, großer Ensemblediversität und rasanten Plots verbanden. Netflix konnte die Hitproduzentin für einen Paketdeal vom Sender ABC weglocken. Mit »Bridgerton« startete an Weihnachten nun das erste Netflixprojekt aus dem Hause »Shondaland«, so der offizielle Name der Produktionsfirma von Rhimes.
»Bridgerton« beruht auf einer Buchreihe von Julia Quinn, die, von der Literaturkritik völlig unbeachtet, im höchst lebendigen Genre der modernen »Romance Novels« Furore machte. Die Bücher spielen in Austen-Land, soll heißen, die Figuren leben gleichsam in einer Kulisse des Englands des frühen 19. Jahrhunderts. Es geht um Grafen und Debütantinnen, Bälle und Skandale, um Erbschaften und Stammhalter und dabei immer, immer ums Heiraten. Der moderne Dreh, den Julia Quinn, ihres Zeichens 1970 in New York geboren, dem Ganzen verleiht, besteht aus viel, viel Sex. Im Unterschied zum kinky Sex der »Bodice Ripper« von einst ist der Sex bei Quinn aber von entschieden feministischer Vollwertvariante. Die Traummänner zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit einer Inbrunst dem Orgasmus ihrer Bräute widmen, die Jane Austen ziemlich überrascht hätte, in Literatur wie im Leben.
Die Serienadaption verstärkt den Aspekt der neofeministischen »Wokeness« noch, indem mehrheitlich die Männer mit ihrer Körperlichkeit als Objekte der Begierde in Szene gesetzt werden. Es ist der von Regé-Jean Page gespielte Graf, der in seiner Braut, der Heldin Daphne (Phoebe Dynevor), Begehren weckt, wenn sie ihn heimlich beim Entkleiden beobachtet, nicht etwa umgekehrt. Und noch in einem anderen Aspekt gibt sich die Serie modern: Ein wichtiger Teil der Figuren sind People of Color – wohlgemerkt befinden wir uns auch in der Serie im England des frühen 19. Jahrhunderts und wohlgemerkt handelt es sich hier nicht um das sogenannte »farbenblinde« Besetzen, bei dem die ethnische Herkunft der Schauspieler einfach keine Rolle spielt. Vielmehr spricht der für »Bridgerton« verantwortliche Showrunner Chris van Dusen von einem »Alternativuniversum«, dem er Möglichkeitscharakter zuschreiben will. Soll nicht die seinerzeit regierende Queen Charlotte eine »afrikanische« Vorfahrin gehabt haben? Außerdem sei das England, das man bislang als Austens England zeigte, längst nicht so weiß gewesen, wie es die Verfilmungen glauben machten.
Das sind für sich genommen alles schöne Ideen, Frauenzentriertheit, Sexpositivität, mehr Sichtbarkeit für People of Color. Aber leider gelingt es »Bridgerton« in keiner Weise, all diese Aspekte mit den Kulissen eines Austen-Themenparks zu einer sinnvollen Erzählung zusammenzusetzen. Selbst wenn man sich nach ein paar Folgen ein bisschen an die Künstlichkeit dieser Welt gewöhnt hat – dass die Figuren Jahreszahlen nennen, lässt einen immer wieder aufschrecken –, kommt man als Zuschauer bis zum Schluss nicht drüber hinweg, dass diese fiktiven Figuren mit ihrem modernen Sex- und Antirassismusbewusstsein sich in einer Welt bewegen, in der das Leben einer Frau ruiniert ist, wenn man sie mal allein mit einem Mann im Park sieht. Und selbst wenn man die Prämisse als eine Art aus dem Ruder gelaufenen Maskenball akzeptiert, so nimmt sich die Serie ausgerechnet als Beziehungsdrama wiederum zu ernst, als dass man an den Widersprüchen einfach nur Spaß haben könnte.
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