Streaming-Tipp: »Turn Up Charlie«
Charlie Ayo (Idris Elba) steht am DJ-Pult, die Partycrowd tanzt exzessiv zu seinen Beats, er ist der Held der Nacht. Doch der Traum ist schnell zu Ende, Charlie wacht in der trostlosen Wirklichkeit seines Zimmers auf, in dem er bei seiner Tante Lydia zur Untermiete wohnt. Mit Anfang Vierzig gehört er in der jugendlichen Pop- und Technoszene bereits zum alten Eisen. Mitte der Neunziger hatte er mal einen Hit, nach diesen 15 Minuten Ruhm, Sex und Drogen (und seiner daraus resultierenden Arroganz) hat er alles Geld verjubelt und kriegt schon lange keinen Fuß mehr auf den Boden, geschweige denn in die Tür eines Studios oder des Büros eines Plattenbosses. Einzig als Alleinunterhalter für Hochzeiten wird er hin und wieder gebucht, sonst passiert nicht viel in seinem Leben. Bis sein alter Jugendfreund David (JJ Feild), inzwischen erfolgreicher Filmstar, und seine Frau Sara (Piper Perabo), eine in den USA berühmte DJane, zurück nach London ziehen. Charlie macht sich Hoffnungen auf ein Comeback durch Saras Kontakte. Doch die beiden vielbeschäftigten Eltern wollen den alten Kumpel vor allem als Kindermädchen für ihre renitente elfjährige Tochter Gabrielle (Frankie Hervey).
Es hat durchaus seinen Reiz, dass Film- und TV-Star Idris Elba (»Luther«, »The Wire«), der zum »Sexiest Man Alive« gekürt und gerüchteweise als nächster James Bond gehandelt wurde, hier den charmanten Loser gibt. Charlie hat keine eigene Wohnung, jobbt bei der Tante in der Gärtnerei, seinen Eltern in Nigeria gaukelt er per Skype vor, erfolgreicher Plattenboss und noch immer mit seiner Exfreundin liiert zu sein, die längst einen Neuen hat und gerade ihre Hochzeit plant.
Der Titel der Serie, »Turn Up Charlie«, ist mehrdeutig zu verstehen. Es ist nicht nur der Imperativ, die Musik aufzudrehen, sondern auch pünktlich zu erscheinen und generell aufzutauchen. Charlies neue Aufgabe als Erzieher lehrt auch ihn, soviel Moral muss sein, einige wichtige Lebensweisheiten. Die kleine Tochter, ein verwöhntes, emotional vernachlässigtes Gör, mausert sich unter seiner Obhut langsam vom nervtötenden Alptraum zur einzig wirklich »Erwachsenen«. Und aus dem unfreiwilligen Duo Charlie und Gabbs werden ziemlich beste Freunde.
Es ist offensichtlich, dass diese Netflix-Serie, die Elba zusammen mit Produzent Gary Reich entwickelte und in der er die Titelrolle spielt, ein Herzensprojekt ist, kann er doch die Schauspielerei und seine persönliche DJ-Leidenschaft verbinden. Das Konzept erschöpft sich aber schnell, die Musik- und Clubszene dient meist nur als Hintergrund für eine konventionelle Familien-Sitcom. Vor allem aber wird bald deutlich, dass das Komödiantische nicht Elbas Stärke ist.
Dabei haben die beiden Regisseure der Serie mit ihren vorherigen Projekten ein glücklicheres Händchen bewiesen. Tristram Shapeero, für die ersten vier Episoden verantwortlich, inszenierte britische TV-Klassiker wie »Absolutely Fabulous« und hat sich auch in den USA, etwa bei »Veep«, »Superstore« und »Glow«, einen Namen gemacht. Matt Lipsey, Regisseur der zweiten Staffelhälfte, hat jahrelange Sitcom-Erfahrung mit »Psychoville« und »Little Britain«. Der Ausstattung und den zahlreichen flott inszenierten Party- und Clubszenen ist das große Budget anzusehen, doch den Machern gelingt es selten, der Geschichte darüber hinaus viel Witz oder gar Substanz abzugewinnen. Es sind altbekannte Samples, die hier zu einem wenig frischen Remix zusammengerührt werden, ein paar anrührende Anekdoten über Ehe und Kindererziehung, Einblicke in die ach so oberflächliche Unterhaltungsindustrie und die Abgründe von zu viel Geld, Ruhm und Drogen. Am Ende sind dann alle ein bisschen weiser, netter zueinander und auf die eine oder andere Art erfolgreicher. Ihr neues Leben sei ihnen gegönnt, auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass die Öffentlichkeit es in einer Fortsetzung erblicken wird.
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