Ausstellung »Film und Games. Ein Wechselspiel« (Filmmuseum Frankfurt)
Das Rollenspiel »Elder Scrolls V: Skyrim« (2011)
In der Fernsehserie »Halt and Catch Fire« wurde gerade der Ego-Shooter erfunden. Da toben ein paar Programmierer in einer Arbeitspause mit Wasserpistolen durch ein Haus, und plötzlich hat die Chefin eine zündende Idee: Was, wenn man so etwas online spielen könnte? Das war in den Achtzigern, und die akribisch mit alten PCs ausgestattete, kürzlich in die zweite Staffel gegangene Serie belegt: Die digitale Kultur ist ins Zeitalter der Historisierung eingetreten. Heute hat ein 21-Jähriger im Schnitt ein Jahr seines Lebens vorm Bildschirm verbracht, beim Zocken und Chatten. Warum nicht mehr ins Kino? Weil man da »nix machen kann«.
Was die fast schon unheimlich verführerische Interaktivität der neuen Medien für die Zukunft des Films bedeutet, war eine Frage, die Claudia Dillmann, Leiterin des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt, auf der Pressekonferenz zur neuen Wechselausstellung des Hauses stellte. Filme und Games scheinen auf den ersten Blick verwandt: Es sind visuelle Medien, sie haben im weitesten Sinne ästhetisches Potenzial, sie entwerfen Modelle von Welt, und auch Spiele können erzählen – in seiner Steinzeit war das Videospiel ja sowieso eine verdammt textlastige Angelegenheit. Aber prinzipiell ist im Game die Kunstfunktion dem Spiel untergeordnet. So verhält sich »Counter-Strike« zu Bergmans »Wilde Erdbeeren« wie ein Champions-League-Endspiel zur Venus von Milo – es wäre im Sportteil nicht schlechter aufgehoben als im Feuilleton. Kulturkritiker, die sich notorisch belagert fühlen, haben daran ganz schön zu kauen. In der »Süddeutschen« zum Beispiel wird heute, dreißig Jahre nach der Games-Revolution, immer noch beharrlich angemahnt, ein Spiel habe gefälligst mehr sein zu wollen als »Geballer« – eine komplexe Geschichte, am besten in wertigen, kontemplativen Bildern.
Die Frankfurter Ausstellung – eine Pioniertat, auch wenn das Museum of Modern Art schon mal so etwas gemacht hat und Games in seine Sammlung aufnimmt – will die beiden Medien betrachten, ohne ihre Eigenarten aus dem Auge zu verlieren. Beim Wechselspiel zwischen Filmen und Videospielen, schreibt der Kurator Andreas Rauscher im Vorwort des Katalogs, handle es sich nicht »um ein regelgeleitetes Spiel mit einem klaren Gewinner und Verlierer«, sondern »um einen kontinuierlichen Austausch voller Möglichkeiten zur Improvisation«. Das bedeutet, dass Spiele, in denen der Hauptakzent nicht auf der Erforschung virtueller Welten liegt, sondern auf dem reinen Gameplay – Geschick, Strategie und Taktik –, hier nicht von vornherein aus der Betrachtung entlassen werden.
Das Raumdesign der Schau ist keine große Überraschung, aber sehr wirkungsvoll und atmosphärisch – Boden und Wände sind überzogen mit einem schwarz-weißen »Grid«, der an den Disney-Film »Tron« erinnert. Auf 20 Screens laufen Ausschnitte aus rund siebzig Spielen und vierzig Filmen; das Spektrum reicht vom 8-Bit-Spiel aus den Siebzigern bis zu »Alien: Isolation« von 2014, vom archaischen Jump-'n'-Run bis zum meditativen Art-Game. An sieben oder acht Stationen kann gespielt werden, aber das ist naturgemäß eine fragmentarische Angelegenheit; nicht mal in dem bei Kindern hochpopulären »Lego Star Wars« kommt man in zehn Minuten irgendwohin. Das alte Arcade-Spiel »Discs of Tron« ist aber sehr hübsch und auch für Anfänger geeignet.
Rauscher und seinem Kokurator Wolfger Stumpfe ist es gelungen, ein paar sinnvolle Schnitte durch den Dschungel der Gameskultur zu legen und Einsichten zu gewinnen, die über den Reflex hinausgehen, jeden Hightech-Hollywoodfilm als gamesinfiziert zu bezeichnen. Recht übersichtlich muten noch die frühen Versuche an, Filmhandlungen in Spielsituationen aufzulösen – von »Dr. No« über »E.T.« bis »Indiana Jones« – und filmische Universen begehbar zu machen; einigermaßen vorhersehbar sind die Wandlungen, die Lara Croft in ihrer Spiel- und Filmkarriere durchgemacht hat.
Auf der anderen Seite belegen die »Resident Evil«-Serie oder »Silent Hill« als Beispiele moderner, komplexer Games-Adaptionen durchaus, dass das Kino vom Konkurrenzmedium profitieren kann. Und erst recht spannend wird es, wenn man die subkutanen Wechselwirkungen im formalen und technischen Bereich über einen längeren Zeitraum betrachtet; hier eröffnen die »Exponate« und Begleittexte filmhistorische und -theoretische Perspektiven. So hat die subjektive Kamera im Kino lange nur punktuell wirklich funktioniert: als einzelne Einstellung, aber nicht über die gesamte Filmlänge hinweg – Robert Montgomerys Noir »Lady in the Lake« gilt als Verirrung der Filmgeschichte. In der Spielkultur dagegen spielten subjektive POV (Points of View) – die »first person«- oder die semisubjektive »third person«-Variante – schon früh eine zentrale Rolle. Heute nutzt auch das Genrekino das Potenzial der subjektiven Einstellung ganz versiert und selbstverständlich, um eine Atmosphäre unmittelbarer Bedrohung zu erzeugen; Beispiel dafür sind in der Ausstellung die »REC«-Filme.Paradoxerweise also scheinen gerade die »unedlen« Games, die Shooter, das Sehen zu schulen; sie machen ein Problem wieder sichtbar, das für den Film konstitutiv ist, aber im Kinoalltag oft nicht als solches wahrgenommen wird: Was ist das für ein Blick – und wer guckt da überhaupt? Wer sich in »Half-Life 2« als Spieler entscheiden muss, wohin er sich wendet, welche dubiose Szene er mit anschaut, wen er anvisiert, begreift vielleicht besser als der in seinen Sessel gegossene Kinozuschauer den Godard-Satz, den Rauscher in diesem Zusammenhang zitiert: dass jede Kameraeinstellung eine moralische Entscheidung ist.
Erkenntnisse wie diese sind in der Ausstellung allerdings nicht ohne Arbeit zu haben; es ist nicht verkehrt, sich schon vorher mit dem Katalog zu beschäftigen, der in Aufsätzen und Interviews theoretische Grundlagen anreißt – Ludologie, Transmedia Storytelling, Interaktivität – und in die Nischen der Gamer-Kultur – Machinima, Let's-plays – abtaucht. Was die Ausstellung nicht erfasst und nicht erfassen kann, das ist die wirklich hochgradig addictive wirkende soziale Komponente des Gamings. Die meisten Spiele werden heute online im permanenten Dialog gespielt, und wenn ein einzelner Jugendlicher sich zu einer Session in sein Zimmer verkriecht, kann sich das anhören wie die Schlacht um Midway.
Im Vergleich dazu wirkt die Ausstellung dann doch recht kontemplativ. Man sollte sich die Zeit nehmen, sich in die auf dem dunklen Hintergrund glühenden, flackernden Loops zu versenken. In die ornamentalen orientialisierenden Dekors von »Prince of Persia«, die comichaft hysterische Zukunftsstadt in »Bioshock« oder die epische Landschaft in »Journey«, eine in Pastellfarben leuchtende Wüste, durch die ein einsamer Beduine in rotem Gewand dem Horizont entgegen... Hey, ist ja Kino hier!
Film und Games. Ein Wechselspiel. Die Ausstellung läuft bis 31. Januar 2016 im Deutschen Filmmuseum Frankfurt. Der Katalog ist bei Bertz + Fischer erschienen (255 S., 34,90 €)
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