Das Erweckungserlebnis kam in frühen Jahren mit Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre: Da merkte der Däne Nicolas Winding Refn: »Filme müssen nicht normal sein!« In seiner einstündigen Dokumentation NWR bietet Laurent Duroche Einblicke in das Universum eines radikalen Regisseurs, der jedes seiner Werke zu einem Anschlag auf die Sinne macht, ganz unmittelbar und physisch. Duroches Collage von Filmausschnitten, Gesprächen mit dem Regisseur und seinen Familienmitgliedern sowie seelenverwandten Schauspielern und befreundeten Regisseuren wie Alejandro Jodorowsky und Gaspar Noé bietet Einblick in Inspirationslinien und Schaffensprozesse. Wesentlich geprägt ist Winding Refns Herangehensweise ans Kino auch durch seine Rechtschreib- und Leseschwäche. Als Legastheniker geht er an jeden seiner Filme musikalisch heran, Pusher I sei Post-Punk, erzählt er, Bleeder Glam Rock, Fear X Brian Eno, Pusher 2 Iron Maiden, Walhalla Rising Einstürzende Neubauten...
Ryan Gosling, Nicolas Winding Refn (v.l.n.r.)
»Ich kann einen Film nur schreiben, wenn ich weiß, wie er klingt«, sagt der Regisseur, und
Only God Forgives, der gerade auf DVD und Blu-Ray erschienen ist, klingt dumpf dröhnend wie der Maschinenraum eines Ozeanriesen und ist dabei zugleich ein psychedelischer Trip in die Wahrnehmung eines Mannes, der wie alle Helden bei Winding Refn dem Untergang geweiht ist. Nach den berstend explosiven frühen Filmen ist
Only God Forgives ein hochstilisiertes Kunstwerk, statt impulsiver Ausbrüche gibt es abgezirkelte Bewegungen in traumwandlerischer Zeitlupe, und es lohnt sich, nach dem ersten Schock im Kino, den Film jetzt mit ein wenig Abstand im Heimkino noch mal in Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Only God Forgives ist ein rotglühender Rachewestern in den künstlichen Großstadtszenerien von Bangkok, in luxuriösen Hotels, schummrigen Boxhallen, Rotlichtbars und Karaokebühnen, in denen Kristin Scott Thomas ihren Sohn als monströse Alptraummutter in einen blutigen Rachefeldzug gegen die Mörder ihres Ältesten treibt. Nach einer Fülle von Filmen mit Mads Mikkelsen hat Winding Refn in Ryan Gosling jetzt einen neuen Waffenbruder gefunden, der schon in
Drive eine introspektive Ruhe verströmte, die der Musik noch mehr Gewicht verlieh.
Eva Mendes, Ryan Gosling
Ist das Kino von Winding Refn ein Anschlag auf die Sinne, dann ist es für Derek Cianfrance ein Ort für Geheimnisse und Intimität, wie er im Bonusmaterial von
The Place Beyond the Pines erzählt, seinem ebenfalls zweiten Film mit Ryan Gosling, nach der schmerzlichen Liebes- und Trennungsgeschichte
Blue Valentine. Dabei wirkt Goslings Handsome Luke wie ein kleiner, hitziger Bruder des namenlosen Stuntfahrers, den er in Winding Refns
Drive gespielt hat, dieselbe getriebene Loner-Seele, dieselbe innere Wut, die sich in unberechenbaren Gewaltausbrüchen entlädt, und dieselbe kurz aufflackernde Hoffnung auf ein anderes Leben. Cianfrance spannt einen großen epischen Bogen über zwei Generationen hinweg, verheddert sich aber in der umständlichen Konstruktion. Was bleibt, sind die fragilen, wahrhaftigen Momente, die er seinen Schauspielern immer wieder entlockt.
Anbieter: Sunfilm.
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