Nahaufnahme von Timo Salminen
»Timo Salminen«
Wenn jetzt ein neuer Kaurismäki-Film ins Kino kommt, ist auch Timo Salminen wieder dabei. Der Kameramann arbeitet seit den Achtzigern in der Hauptsache für den finnischen Regisseur – und hat dabei einen ganz eigenen visuellen Stil entwickelt
Der Müllmann aus Helsinki, der in »Schatten im Paradies« (1986), meistens starr eingefangen, wo er geht und steht eine Zigarette raucht, stumm, in sich versunken, als seien dies die einzigen Minuten, die er ganz für sich hat, die Minuten, in denen er fühlt und weiß, wer und was er ist. Oder die junge Arbeiterin in »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik« (1989), die einmal, halbnah beobachtet, unbewegt auf der Bank vor einer grauen Wand neben dem Telefon sitzt, still vor sich hin träumend, dabei die Lippen fest zusammengepresst; man sieht, dass sie auf einen Anruf wartet, aber das Telefon klingelt und klingelt nicht – so meint man plötzlich, ihr ganzes Leben zu verstehen, ihre Verletzlichkeit wie ihren Trotz; als sie aufsteht und weggeht, bleibt für ein paar Sekunden nur die graue Wand. Oder die beiden Arbeitslosen in »Wolken ziehen vorüber« (1994), die dem Unglück trotzen, indem sie einen eigenen Weg wählen, dabei wieder und wieder mit ruhigen, aber zugeneigten Blicken gezeigt, die ihr Elend, aber auch ihre Kraft sichtbar machen. Schließlich der Namenlose in »Der Mann ohne Vergangenheit« (2002), der, aus stets anderen Blickpositionen und -richtungen betrachtet, zunehmend ungerührt hinnimmt, dass er nicht weiß, wer er war – aber gerade deshalb die Chance sieht, sich neu zu erfinden.
Geschrieben und in Szene gesetzt sind diese Situationen von Aki Kaurismäki, fotografiert hat sie Timo Salminen. Der hatte von Anfang an vier Prinzipien: In Distanz bleiben; nichts mit der Kamera dramatisieren; Bewegungen, so es nur geht, vermeiden oder entschleunigen; und ein Licht setzen, das den Schatten berücksichtigt, um Kontur und Kontrast zu verstärken. Dabei achtete er vor allem auf Transparenz im filmischen Raum: Das heißt, es ging ihm darum, nur Figuren zu porträtieren, wenn sie in ihr Umfeld gesetzt bleiben, dazu alles ein wenig aus der Untersicht zu sehen, aus Achtung vor den Personen, und Bezüge zwischen den Figuren aufzuzeigen, indem er ihnen den Raum gewährt, den sie für ihre Kabalen, Kämpfe, Konflikte brauchen.
Der Müllmann. Die Fabrikarbeiterin. Die Arbeitslosen. Der Namenlose. Dazu kommen die brotlosen Künstler in »Das Leben der Bohème« (1992). Der Bauer in »Juha« (1999). Der Wachmannn in »Lichter der Vorstadt« (2006). Und der Schuhputzer, der im »Leben der Bohème« noch Schriftsteller war, in »Le Havre« (2011). Niemand, der diese Figuren in den Salminen-Bildern gesehen hat, kann sie wohl vergessen: Sie zeugen von der Kraft des Kargen, Minimalen, Reduzierten, von der Intensität im Ausdruck des Ausdruckslosen. Salminen vermeidet strikt, seine Kamera in subjektive Positionen zu bringen, die das Identifikatorische verstärken; stattdessen hält er die Figuren auf Abstand, kadriert sie um wenige Dinge, zu Hause, bei der Arbeit, im Café, als könnten sie nur eines tun: hinnehmen, was nicht zu verändern ist. Das intensiviert zum einen die Glaubwürdigkeit des Geschehens und bringt zum anderen die Zuschauer in die Situation, »die Umstände und Zusammenhänge objektiv zu reflektieren« (Jochen Werner).
Ein anderes wichtiges, immer wiederkehrendes Stilprinzip ist das der Verengung. Salminen nutzt Detail- oder Großaufnahmen von Dingen, um dramatische Steigerung auszusparen der Fantasie der Zuschauer Raum zu geben: die glühende Zigarette etwa in der Hand der Frau in »Schatten im Paradies«, während sie den Müllmann küsst; oder der Geldschein in »Das Mädchen aus der Streichholzfabrik«, der auf den Tisch gelegt und sofort von einer anderen Hand einkassiert wird, um, ohne dass es zu sehen ist, Abhängigkeit offenzulegen. Mitte der 1990er Jahre ging Salminen einen Schritt weiter und experimentierte mit kurzen, schnellen Zooms, vor allem auf die Gesichter der Protagonisten, »wodurch stets eine Zuspitzung der Ereignisse markiert wird, in denen die Helden existentielle Rückschläge erleben« (Alexander Fichert). Ohne dass dies allerdings zu emotionaler Anspannung führte.
Schließlich der Einsatz der Farbe, der immer wagemutiger wurde, je länger Kaurismäki und Salminen zusammenarbeiteten. Schon früh setzten sie expressive Akzente durch blaue Autos, gelbe Pullis, grüne Wände, rosa Nelken, orange Drinks, grellrote Kittel. Doch erst als Salminen die Farben stärker stilisierte, machte er seine Bilder frei von vorschnellen Effekten und Zuordnungen. Da wurden die Farben zu einer Pracht für sich. So gelang das wundersame Oszillieren zwischen Künstlichkeit und Realismus, das den Filmen ihre ganz eigene Aura verleiht. Die Höhepunkte dabei: »Der Mann ohne Vergangenheit« und »Le Havre«.
Geboren wurde Timo Salminen 1952 in Helsinki. Sein Vater war der Film- und Fernsehregisseur Ville Salminen. Er war noch keine dreißig, als er seinen ersten Film fotografierte: »Night by the Seashore« von Erkko Kivikoski (1981). Danach arbeitete er, von wenigen Filmen in Frankreich, Portugal und der Schweiz abgesehen, fast nur in Finnland, vor allem für Aki und Mika Kaurismäki.
Wie Yuharu Atsuta bei Yasujiro Ozu oder Léonce-Henri Burel bei Robert Bresson entwickelte Salminen seinen bildlichen Minimalismus in Spannung zu einem der großen Autoren des Kinos. Immer häufiger sparte er das eine oder andere aus, bis das, was er wegließ, wichtiger wurde als das, was es gab. So kam er zu seinem Ruf als Visionär des Ungerührten. Die Situationen mochten noch so erbärmlich, die Figuren verwirrt und die Konflikte abgründig sein, stets entwarf Salminen mit seiner Kamera doppelbödige Tableaus. Wodurch er Bilder schuf, die der Melancholie des Geschehens einen malerischen Blick unterlegen. Und der sorgt für ästhetische Klarheit. Im Grunde lautet sein Prinzip: Zeigen, bis inmitten des Äußeren das Innerste aufschimmert, bis also sichtbar wird, was eigentlich unsichtbar ist.
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