Nahaufnahme von Matthias Schoenaerts
Matthias Schoenaerts in »The Loft« (2014)
Alle wollen ihn haben, englische, französische, amerikanische Regisseure. Muss an der Mischung aus physischer Wucht und psychischer Zartheit liegen, die Matthias Schoenaerts so gekonnt präsentiert
Ich mag es nicht, vorsichtig zu sein!«, sagt Matthias Schoenaerts: »Ich will mich ganz und gar hineinwerfen! Ich will böse sein, ich will gut sein, ich will so spielen, wie Jackson Pollock gemalt hat!« Auf der Leinwand sieht das dann zum Beispiel so aus wie in »Bullhead« unter der Regie von Michaël R. Roskam, wo der Belgier zum ersten Mal aufgefallen ist, mit all den melancholischen Gefühlen, die hinter dem massigen, mit Steroiden aufgepumpten Körper eines Viehbauern aufschimmerten. Solche ambivalenten Empfindungen sind die Spezialität des charismatischen 37-Jährigen aus Antwerpen. Wirklich berühmt wurde er damit in Jacques Audiards »Der Geschmack von Rost und Knochen« als alleinerziehender Vater, der sich mit illegalen Preiskämpfen durchschlägt. In einer fragilen, linkisch zärtlichen Liebesgeschichte mit einer im Wortsinne zerrissenen Marion Cotillard gewährte Schoenaerts unter der ruppigen Fassade erneut einen Blick in eine empfindsame, wunde Seele. Mit beträchtlichen Gewichtszunahmen und Muskelaufbau macht der eher zierlich gebaute Schauspieler seinen Körper zum wandelbaren Instrument.
Eine andere Version dieses Kraftprotzes und Naturburschen, dem die anpackende Arbeit näher liegt als intellektuelle Wortgefechte, spielt er nun auch in Thomas Vinterbergs »Am grünen Rand der Welt«, und so wie in seinem letzten Film »Die Gärtnerin von Versailles« unter der Regie von Alan Rickman müssen sich auch hier in der britischen Klassengesellschaft zart keimende, verbotene Gefühle langsam gegen die Zwänge von Sitte und Anstand durchsetzen.
Die Mischung aus wuchtiger, physischer Präsenz und verletzlicher Feinfühligkeit, aus prolliger Attitüde und zarten Gefühlen hat die Kritiker bereits dazu verführt, Matthias Schoenaerts das Label »belgischer Brando« zu verpassen. Das explosiv Gefährliche und Gewalttätige hatte auch in »The Drop«, dem zweiten Film von Michael R. Roskam, einen doppelten Boden. Und man kann davon ausgehen, dass er demnächst in »Suite Française« die Figur eines deutschen Nazioffiziers mit einer musischen Feinsinnigkeit unterwandern wird, die die von Michelle Williams gespielte Französin trotz des verminten Besatzungsverhältnisses betört. »Diese Ambiguität fand ich interessant«, sagt Schoenaerts: »Am Anfang des Film ist er diese böse Kraft. Die Herausforderung liegt darin, dass die Zuschauer am Ende nicht mehr das Kostüm sehen, sondern Bruno.« Saul Dibb, der Regisseur von »Suite Française« bemerkt treffend, dass er seine Figuren nicht liebenswert machen muss, sondern nur menschlich begreifbar. Dabei hält Schoenaerts wenig davon, jede Geste im Vorfeld minutiös zu planen: »Lass locker! Atme. Höre deinem Partner zu. Manchmal entsteht aus einer Konstellation heraus eine ganz besondere Energie.«
So hat Schoenaerts in einer ganzen Reihe europäischer Filme das Rollenfach des waidwunden Tieres variiert, das mit sich und der Welt im Clinch liegt. Inzwischen reißen sich die Filmemacher der Welt um den belgischen Shootingstar, wobei es hilfreich ist, dass er fließend Englisch spricht: Für seine britische Version des französischen Barock musste ihm Alan Rickman nur noch den amerikanischen Akzent austreiben. So war er auch der Einzige, der es aus dem belgischen Original von »The Loft« ins amerikanische Remake geschafft hat. Demnächst wird er sich in die gefährlichen Leidenschaften stürzen, die in »A Bigger Splash« im Zusammenspiel mit Tilda Swinton, Ralph Fiennes und Dakota Johnson ausbrechen.
Überhaupt tummelt er sich auffällig oft in der Gesellschaft von Oscarpreisträgern und multiplen Oscarnominierten wie Marion Cotillard, Michelle Williams oder Eddie Redmayne, mit dem er in Tom Hoopers »The Danish Girl« spielt – es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis er selbst einen bekommt. Derzeit darf er in der Miniserie »Lewis and Clarke« an der Seite von Casey Affleck auf einer Abenteuerreise vom Missouri River über den Columbia River zum pazifischen Ozean noch einmal seine natürlichen Instinkte ausleben, und auch für die Verfilmung von »Galveston«, dem Roman des »True Detective«-Autors Nic Pizzolatto, ist er im Gespräch.
Kommentare
speziell und wunderbar
Ja – Matthias Schoenaerts kann in seiner Darstellerkunst kaum beschrieben werden. Seine filmischen Figuren verlangen genaues Hinsehen, meist sind sie wortarm, gebrochen, filigran. Er präsentiert sie mit einer leisen Wucht, die einen Sog erzeugt. Klasse.
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