Kritik zu Bullhead
Sentimentalität und Brutalität, bullige Männlichkeit und tiefe Verletztheit – aus diesen Kontrasten baut der belgische Regisseur Michael R. Roskam eine Erzählung um mafiöse Zustände in der Rinderzucht und das Trauma eines Mannes
»Eines ist sicher«, heißt es am Ende des Prologs zu Bullhead, »du bist für immer am Arsch, jetzt, morgen, nächste Woche oder nächstes Jahr, bis zum Ende der Zeit, am Arsch.« Damit ist die Grundstimmung von Michael R. Roskams zweistündigem Debütfilm vorgegeben: Es herrscht ein jede Entwicklung und alle Hoffnung dementierender Fatalismus. Der ist den Bildern anzusehen – in denen der Himmel tief hängt und Landschaftsaufnahmen keinen Trost spenden, sondern eine ungerührte Natur zeigen – und der Musik anzuhören, die jammernde Streicher auffährt, um der Wehklage über die Ausweglosigkeit eines einmal erlittenen Schicksals Ausdruck zu verleihen.
Bullhead spielt in der desillusionierten Welt der organisierten Kriminalität. Es geht um eine Agrarmafia, die mit illegalen Wachstumspräparaten dealt, um die Effizienz der Rinderzucht zu steigern. Dass es für solche Geschäfte inklusive der Ermordung eines ermittelnden Polizisten reale Vorbilder in der belgischen Realität gab, ist dem Film eine Pressenotiz wert – tatsächlich interessiert er sich aber kaum für die Strukturen, die Deals, den Kriminalfilm, der Bullhead auch sein soll.
Vielmehr dient dem belgischen Filmemacher Roskam das männerlastige, gewalttätige, konspirative Milieu als Dekor für die Geschichte, die er eigentlich erzählen will und deren Sentimentalität in starkem Kontrast zur gezeigten Brutalität steht. Jacky Vanmarsenille (Matthias Schoenaerts) erscheint in den ersten Szenen des Films als fleischgewordene Metonymie des Geschäfts, in dem er mitmischt: ein Berg von einem Mann, der sich vollpumpt mit allerlei Präparaten, ein Kentaur, der, wie er da auf dem Badewannenrand hockt und gelegentlich wutentbrannt schnaubt, tatsächlich halb Mensch, halb Tier zu sein scheint. In Rückblenden enthüllt der Film die grausame Traumatisierung Jackys: Der geisteskranke Sohn eines Hormonhändlers, mit dem Jackys Vater bereits dealte, hatte ihm sein Geschlecht geraubt; die Hormone, die Jacky nimmt, dienen der Kompensation seiner verlorenen Männlichkeit, die ihm den Weg zum bürgerlichen Lebensmodell mit Frau und Kind versperrt. Zeuge der Gewalt war seinerzeit Freund Diederik (Jeroen Perceval), der mittlerweile als Undercoveragent für die Polizei arbeitet und seine Homosexualität nicht leben darf, was ihn wie Jacky zum Außenseiter stempelt. Entzündet hatte sich der martialische Streit an Jackys und Diederiks verhalten-präpubertärem Begehren für Lucia (Jeanne Dandoy), der Schwester des psychopathischen Täters.
Bullhead versucht sich an einer Rekonstruktion der vermeintlichen Idylle, aber es mangelt ihm dabei nicht nur deshalb an Triftigkeit, weil die Liebe zwischen Lucia und Jacky nie eine gewesen ist. Roskams pathetische Inszenierung ist dazu viel zu sehr in die eigenen Gefühle von durchgehender Enttäuschung, standardisierter Traurigkeit verliebt. So wirkt der Film gerade durch den technischen Aufwand seiner Kameraarbeit (Nicolas Karakatsanis) leer in seiner Wucht, unreflektiert in seiner machoiden Gewaltdarstellung, nur wie ein Abklatsch von Kinobildern, die etwa in Michael Manns Filmen Der Einzelgänger oder Heat aus der Erzählung resultierten.
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