Nahaufnahme von Albrecht Schuch
Albrecht Schuch in »Berlin Alexanderplatz« (2019). © Entertainment One
Gerade hat er zwei Lolas bekommen. Eine für die Rolle des fürsorglichen Sozialarbeiters in »Systemsprenger«. Die zweite gab es für einen unberechenbaren, psychopathischen Geschäftemacher in »Berlin Alexanderplatz«. Für Albrecht Schuch sind solche Seitenwechsel kein Problem. Er ist aktuell der wandelbarste deutsche Schauspieler
Ein gefährlich fieser Neonazi mit kurz geschorenen Haaren in »Mitten in Deutschland«. Ein ehrgeiziger, junger Investmentbanker in der Serie »Bad Banks«. Ein ruhiger Sozialarbeiter für ein schwer erziehbares Mädchen in »Systemsprenger«. Und ein durch die Parks, Clubs, Wohnungen und Flüchtlingsheime von Berlin irrlichternder Drogendealer in »Berlin Alexanderplatz«. Das sind nur vier der vielen Rollen, mit denen Albrecht Schuch auf seine so dezente wie eindringliche Weise gerade Furore macht, zwei davon haben ihm zuletzt gleichzeitig goldene Lolas für die beste männliche Nebenrolle und die beste männliche Hauptrolle eingebracht.
Was Schuch gerade zu einem der aufregendsten Schauspieler in Deutschland macht, ist die Art, wie er selbst hinter seinen Rollen verschwindet. Wie er ihnen zwar seine Seele leiht, äußerlich aber kaum wiederzuerkennen ist, sobald er Kostüme, Frisuren und Bärte abgestreift hat und man ihn nach der Premiere ganz bodenständig, als Albrecht Schuch, vor einem Mikrofon stehen sieht, als würde er sich dieser Form der Aufmerksamkeit am liebsten entziehen, um sich in Ruhe auf die nächste Rolle vorzubereiten. Vor allem aber ist es die Tatsache, dass da immer noch etwas anderes ist: hinter dem abstoßenden Gewalttäter eine faszinierende Persönlichkeit. Hinter der glatten Fassade des adrett frisierten und makellos gekleideten Bankers ein aufbrausend gewalttätiges Temperament. Hinter dem Sozialarbeiter, der Distanz zu seinen Schützlingen wahren muss, eine riskante Empathie für deren Nöte. Als Micha lässt er durchschimmern, dass er das Mädchen Benni auch deshalb versteht, weil er selbst keine leichte Kindheit und Jugend hatte und erst über Umwege zur Sicherheit eines Berufs und der Geborgenheit einer kleinen Familie gefunden hat. Als alle an der Bändigung der wilden Benni verzweifeln, zieht Micha zwei Wochen mit ihr in den Wald, in eine Hütte ohne Strom, Netz und Fernseher, wo er ihr Grenzen setzt, aber auch Freiheiten eröffnet. Und dann das fürchterliche Dilemma, das ihm fast das Herz bricht: wenn er Benni zwar helfen möchte, ihr aber keine Ersatzfamilie bieten kann; als er erkennt, wie unmöglich es ist, Vertrauen zu gewinnen und trotzdem Distanz zu wahren. Immer wieder kommen seine Figuren an diesen einen Punkt, an dem das Innerste aufleuchtet, hervorbricht. Das gilt auch für Reinhold, den charmanten Psychopathen, der das Wechselbad der Gefühle und Stimmungen in »Berlin Alexanderplatz« in einen schwindelerregenden Seiltanz verwandelt, tänzelnd und wippend mit einem ausgemergelten, verkrümmten Körper. Hinter der Attitüde des gewieften Menschenfängers und hinterhältigen Manipulators flackert immer wieder eine verletzte Seele auf, in der Tiefe seines funkelnd bösen Blicks scheint Verlorenheit auf, hinter einem Lächeln, das mal sanft und zärtlich, dann wieder sinister und böse oder auch scheu und linkisch ist, sind die Spuren zu sehen, die das Gift der Demütigungen hinterlassen hat. Hinter seiner Aggressivität stecken innere Zerrissenheit und abgrundtiefe Verzweiflung, die ihn dann umso gefährlicher machen. »Deinem Reinhold verfällt man, obwohl er einen ängstigt und verschreckt«, sagte Lina Beckmann in ihrer Lola-Laudatio. All diese inneren Widersprüche, die Filmfiguren Wahrhaftigkeit verleihen, lässt Schuch durchscheinen. »Jeder Mensch ist wertvoll«, sagte er in seiner Dankesrede für seine »Systemsprenger«-Lola: »Jeder muss mitgenommen, angesehen werden . . .« Und dann dankte er »wie immer der Natur«, in dem Fall der Lüneburger Heide, die sein Spiel inspiriert habe, und Helena Zengel, die ihm die spielerische Leichtigkeit zurückgegeben habe, die er sich als Mensch und als Schauspieler zu erhalten versuche.
Geboren wurde Albrecht Schuch 1985 in Jena, als Bruder der späteren Schauspielerin Karoline Schuch und als Sohn einer Allgemeinärztin und eines Psychiaters, was er gelegentlich auf die Formel »Verstand und Gefühl, Kopf und Bauch« herunterbricht – als widerstreitende Komponenten seiner Arbeit. In einer wilden Jugend gab es eine Direktorin, die ihm und seinen Freund einen Arbeitssommer auf dem Bauernhof vermittelte, was schon ein bisschen an Bennis therapeutische Auszeit im Wald erinnert und den angehenden Schauspieler dafür sensibilisiert hat, wie gut es ist, als Mensch erkannt zu werden. Mit Gespür für die Empfindsamkeit ihres Sohnes suchte die Mutter eine Schule, die seine kreativen Seiten förderte, in der er dann auch das Schauspielen für sich entdeckte. Später studierte er an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater und begann seine Karriere auf den Bühnen des Berliner Maxim Gorki Theaters und des Wiener Burgtheaters. Nach einigen kleineren Nebenrollen in Fernsehfilmen und -serien wurden die Aufgaben immer größer und komplexer, immer anspruchsvoller und widersprüchlicher.
Mit der Filmtrilogie »Mitten in Deutschland«, die die NSU-Morde aus der Perspektive der Opfer, der Täter und der Ermittler beleuchtet, begann eine intensive Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Schwochow. Da verkörperte er Uwe Mundlos so rückhaltlos mutig, dass hinter dem tumben Rechtsradikalen eine faszinierende und verführerische Persönlichkeit aufschimmerte und er selbst ein bisschen erschrak, als er ihn später auf der Leinwand sah. Danach spielte er in »Paula – Mein Leben soll ein Fest sein« den Maler Otto Modersohn, wie so oft verborgen hinter Haaren, wucherndem Bart und Nickelbrille, hin- und hergerissen zwischen dem Chauvinismus der damaligen Kunstwelt und einer sanften Seelenverwandtschaft mit der lebens- und kunsthungrigen Paula Modersohn-Becker. Schließlich folgte unter Schwochows Regie die erste Staffel »Bad Banks«. Christian Zübert übernahm die Regie der zweiten Staffel, in der die korrekte Fassade des Bankers Adam Pohl immer mehr Risse bekommt, in der sich die Verzweiflung unter wachsendem Druck in Familie und Beruf immer häufiger gewalttätig entlädt.
In der Verfilmung des Geiseldramas von Gladbeck spielte er den moralisch fragwürdigen Fotografen Peter Meyer, und spätestens mit dem Dorfpolizisten Martin Manz, der in Rainer Kaufmanns Fernsehkrimi »Der Polizist und das Mädchen« mit einem schweren moralischen Dilemma ringen muss, und in der Bestsellerverfilmung »Kruso« über den letzten Sommer der DDR werden die Widersprüche zwischen äußerer Erscheinung und inneren Abgründen immer größer. Als der mit dem Leben und der Liebe hadernde Ed sich beim Hereinbrechen der Nacht auf der Insel Hiddensee zur Republikflucht anschickt, wirft sich Kruso beherzt auf ihn, um das Schlimmste zu verhindern, und nimmt ihn unter seine Fittiche, integriert ihn in die kleine, subversive Gemeinschaft der Ferienkneipenbelegschaft, in der Kruso wie eine Art Messias wirkt, ruhig, verständnisvoll, anpackend, immer einen weisen Spruch über die Freiheit auf den Lippen.
Hier beginnt ein ziemlich beeindruckender Lauf in der Karriere von Albrecht Schuch. Immer wieder grundiert er seine Rollen mit Komponenten einer unberechenbaren Vergangenheit, die meist nur angedeutet wird, so wie in »Berlin Alexanderplatz«, wenn er in ein paar knappen Sätzen seine zerrüttete Biografie skizziert: »The good life of the ordinary people, für die bin ich Müll, verwahrloste Jugend, triebhafter Charakter, aggressiv veranlagt, Aufenthalt in verschiedenen staatlichen Vollzugsanstalten, hab Scheiße gefressen wie mein Vater . . .«
In einem Gespräch mit der »Berliner Zeitung« bekannte Schuch: »Wenn ich mich für eine Rolle entscheide, gebe ich immer etwas von mir. Oder zumindest lasse ich sie durch mich durchlaufen. Das ist meine Stimme, mein Körper. Im Grunde mache ich mich nackt. Das muss beschützt werden durch die Person, mit der ich arbeite.« Zuletzt hat er Philipp Stölzl, Andreas Kleinert und Dominik Graf vertraut, in der Adaption von Stefan Zweigs »Schachnovelle«, im Biopic über den Dichter, Dramatiker und Regisseur Thomas Brasch und in der Kästner-Verfilmung »Fabian«. Der beeindruckende Lauf geht weiter.
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