Hilfe, es ist ein Blockbuster
© Warner Bros.
In Hollywood ist es Mode geworden, Newcomern und Autorenfilmern Multimillionen-Budgets in die Hand zu drücken. In der Hoffnung, die würden dem durchkalkulierten Blockbusterkino neue Impulse geben. Andreas Busche meint: Das kann funktionieren
Wenn in diesen Tagen das 160-Millionen-Dollar-Reboot Godzilla in den Kinos anläuft, wird Regisseur Gareth Edwards in eine Liga vorstoßen, die lange Zeit nur wenigen Regisseuren vorbehalten war. In den neunziger und nuller Jahren waren es immer dieselben Namen, die das Sommergeschäft der amerikanischen Filmindustrie ankurbelten: Steven Spielberg, Tim Burton, James Cameron, Michael Bay, Ridley Scott, Barry Sonnenfeld, Roland Emmerich oder Gore Verbinski. Sie trugen die Verantwortung für die Produktionen mit den 100-plus-Millionenbudgets, mit denen die großen Studios ihre Jahresbilanzen normalerweise aufzupäppeln pflegten.
Inzwischen dürfte sich Gareth Edwards, der mit dem Low-Budget-Horrorfilm Monsters auf sich aufmerksam machte, in diesem Kreis nicht mehr ganz so fremd fühlen. Vor zwei Jahren etwa übernahm der britische Regisseur Rupert Wyatt nach seinem Debüt The Escapist das neue Planet der Affen-Franchise, und Marc Webb stieg nach seiner Indie-Romcom (500) Days of Summer direkt in die Amazing Spiderman-Trilogie ein. Letztes Jahr debütierte Neill Blomkamp (»District 9«) in Hollywood mit der kostspieligen Science-Fiction-Dystopie »Elysium«. Und in diesem Jahr konnten sich bereits der brasilianische Regisseur José Padilha mit dem heiß begehrten RoboCop-Remake sowie die Brüder Anthony und Joe Russo – nach Testläufen in der gehobenen Fernsehcomedy (»Community«, »Arrested Development«) – mit der Fortsetzung von Captain America beweisen. Das sind viele neue Namen für eine ansonsten als eher risikoscheu bekannte Branche. Auf diesen Newcomern ruhen derzeit auch die Hoffnungen Hollywoods, das schlechte Image der Blockbuster aufpolieren zu können.
Denn der »Summer of Doom« steckt der amerikanischen Filmindustrie noch in den Knochen. Finanziell war 2013 kein schlechtes Jahr für Hollywood, doch die nicht abreißenden Hiobsbotschaften über die verheerenden Einspielergebnisse der Großproduktionen After Earth, The Lone Ranger, White House Down und Pacific Rim haben die Zweifel am hochspekulativen Geschäftsmodell der Filmstudios weiter verschärft. Die aktuelle Krise Hollywoods ist insofern vor allem eine Krise des Prinzips Blockbuster, von dessen Erfolg sich die Studios in den letzten 30 Jahren abhängig gemacht haben. Das große Paradoxon besteht darin, dass in der derzeitigen Situation, in die sich die amerikanische Filmindustrie mit ihrer exzessiven Kostenpolitik manövriert hat, Blockbuster auf absehbare Zeit die Säulen bleiben werden, auf denen das Business ruht.
Die Ära des modernen Blockbusters beginnt mit Christopher Nolan. Der erhielt 2003 von Warner Brothers den Auftrag, das Batman-Franchise wiederzubeleben. Nolan hatte sich mit Memento und Insomnia als Regisseur für ambitionierte Projekte empfohlen, für eine Comicverfilmung allerdings nicht gerade aufgedrängt. Doch genau dieser Punkt war für Warner ausschlaggebend. Das Studio suchte einen Regisseur, der der amerikanischen Popikone ein neues Image verpassen sollte, ohne die alten Fans zu verprellen. Wie das funktioniert, hatte Bryan Singer drei Jahre zuvor mit seinem ersten X-Men-Film überraschend vorgeführt.
Nolans zweiter Batman-Film, The Dark Knight – mit deutlichen 9/11-Anleihen und dem Drama eines gebrochenen Superhelden im Mittelpunkt – wurde zu einem Meilenstein des modernen Blockbusterkinos. Nolan hatte bewiesen, dass intelligentes Kinospektakel mit Autorenhandschrift möglich war. Etwa zur selben Zeit verkündeten die Broccoli-Erben eine neue Zeitrechnung für ihr James-Bond-Franchise – und mit Daniel Craig einen zeitgemäßen, kantigeren Bond-Darsteller. Martin Campbell, der Regisseur von Casino Royale, stand zwar noch für die Ära Brosnan, aber bereits für den nächsten Film Ein Quantum Trost wurde mit dem Schweizer Marc Forster ein renommierter Arthouse-Regisseur verpflichtet.
Im letzten Jahr erlebte Hollywood dann eine kleine Revolution. Langjährige Routiniers des Blockbusterkinos wie Roland Emmerich (White House Down) und Gore Verbinski (The Lone Ranger) erlitten Schiffbruch, während Newcomer plötzlich mit großem Erfolg Großproduktionen im dreistelligen Millionenbereich stemmen durften. Man erinnere sich daran, dass vor zwanzig Jahren Hongkong-Veteran John Woo nach seiner Ankunft in Hollywood noch mit Jean-Claude van Damme arbeiten musste. José Padilha erwischte es da wesentlich besser. Der brasilianische Regisseur übernahm nach seinen zwei international erfolgreichen Tropa de Elite-Filmen das lange vakante Projekt eines RoboCop-Remakes, an dem zuvor auch Darren Aronofsky Interesse gezeigt hatte.
Für Sony erwies sich Padilha als Glücksfall. Er brachte aufgrund seiner bisherigen Filme (darunter die ausgezeichnete Dokumentation Bus 174) die besten Voraussetzungen mit, Paul Verhoevens gewalttätige Science-Fiction-Satire mit einem zeitgemäßen filmischen Realismus zu grundieren. Padilha interessierte an RoboCop vor allem der politische Subtext des Originals, die »Verbindung zwischen der Automation von Gewalt und Faschismus«, wie er in einem Interview erzählte.
Seine Version spielt in einer Zukunft, deren Bedrohungsszenarien (bewaffnete Drohnen, Datenüberwachung, erodierende Bürgerrechte) einen deutlichen Gegenwartsbezug herstellen, dabei aber auch einen ästhetisch ausgefeilten, dystopischen Gesellschaftsentwurf liefern. »Diese Art von aggressiver Gesellschaftssatire«, so Padilha, »ist im Kino in letzter Zeit immer seltener geworden. Für mich war es daher wichtig, dass RoboCop auch als Unterhaltungsfilm diesen Tonfall bewahrt.« Die Forderung des OmniCorp-Konzernchefs Michael Keaton an seine Marketingabteilung: »Make it look more tactical!« stellt also in gewisser Hinsicht schon eine Subversion der Blockbusterlogik mit ihren endlosen Wertschöpfungsketten dar. Weil Padilha auf den kalkuliert zugespitzten Comic-Charakter der Vorlage weitgehend verzichtet, taugt sein Robocop auch nur bedingt für ein umfassendes Produkt-Franchise, wie es bei Verhoevens Original (mit Actionfiguren und Fernsehserie) noch der Fall gewesen war.
2011 führte das Branchenblatt »Hollywood Reporter« den sich bereits abzeichnenden Trend zur Rekrutierung unerfahrener Regisseure noch schlicht auf den Umstand zurück, dass diese billiger und leichter zu kontrollieren seien – im Unterschied zu den Big Guys etwa müssten sie nicht am Einspielergebnis beteiligt werden. Seit drei Jahren zeichnet sich nun allerdings ab, dass die Entscheidung für unbekannte und damit auch unbelastete Regisseure dem beschränkten Blockbusterformat neue kreative Möglichkeiten eröffnet hat. Findige Regisseure wie Wyatt (Planet der Affen: Prevolution), Fede Alvarez, dem Sam Raimi nach einem Do-it-Yourself-Internetfilm das Remake von Evil Dead anvertraute, oder eben Gareth Edwards, aber auch weniger genreaffine Filmemacher wie die Russo-Brüder, Alfonso Cuarón mit seinem letztjährigen Überraschungserfolg Gravity oder Colin Trevorrow, der nach der Indiekomödie Journey of Love gerade Jurassic Park 4 dreht, bringen eine Offenheit und Leidenschaft in ihre Projekte ein, die der Geldmaschine Blockbuster zu neuem Renommee verhelfen könnten.
Dazu passt, dass für einige dieser Regisseure die Frühphase des Blockbusterkinos in den Achtzigern zu den prägenden Erfahrungen gehörte. Es besteht also weniger Dünkel gegenüber einem vermeintlich niederen Unterhaltungsformat. Zudem schlägt in vielen von ihnen das Herz echter Fans. »Nerdgasm« hat Robert Downey Jr. das Phänomen einmal genannt. Diese neue Lust am Material wie auch den Respekt gegenüber den Vorbildern sieht man Filmen wie Elysium, RoboCop, Pacific Rim oder Godzilla (wenigstens dem Trailer nach zu urteilen) in jedem Pixel, in vielen kleinen Ausstattungsdetails und dank intelligenterer Drehbücher an. Wenn in Elysium etwa Mexico City mit seinen wuchernden Slums als Double für das Los Angeles im Jahr 2050 einstehen muss, ist das unter der Regie eines südafrikanischen Regisseurs keineswegs zynisch zu verstehen, sondern als geopolitische Prophezeiung durchaus ernst gemeint. Blomkamp stellt ein reales Szenario dem künstlichen Habitat Elysium gegenüber, dessen digitale Provenienz für seinen Film programmatisch ist. Er entwickelt zwei ästhetische Systeme: das eine in der globalen Realität verankert, das andere als pure Oberfläche. Technologie ist für junge, popkulturaffine Regisseure wie Blomkamp kein bloßes Mittel zum Zweck mehr, ihre Nutzung basiert in erster Linie auf künstlerischen Erwägungen.
Etwas Ähnliches meint auch Kevin Feige, wenn er von den »Texturen« der Marvel-Filme spricht. Feige ist Präsident der Marvel-Studios und damit hauptverantwortlich für die Konzeption des sogenannten »Marvel Cinematic Universe« (MCU), an dem der Konzern seit der Übernahme der Filmrechte an den wichtigsten Marvel-Figuren arbeitet. Gerade ist mit Captain America – The Return of the First Avenger die zweite MCU-Phase gestartet. Dem Onlinemagazin »Collider« erklärte er das Konzept des »Marvel Cinematic Universe« mit einer großen gestalterischen Diversität bei hohem Widererkennungswert. So bestand Jon Favreau, der Regisseur der ersten beiden Iron Man-Filme, etwa darauf, die Zahl der digitalen Effekte auf ein Minimum zu reduzieren, um stattdessen einen größeren Fokus auf den Charakter Tony Stark zu legen.
Favreaus Haltung ist exemplarisch für die neue Generation von Blockbusterregisseuren. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis von Spezialeffekt und Realfilm, von Action und Charakterdrama, von Genre und Politik. Die »Textur«, von der Feige spricht, ist die individuelle Handschrift des Regisseurs, die im Einklang mit der übergreifenden Markenidentität stehen muss. Am Reißbrett entworfenen Geldschleudern wie Lone Ranger oder White House Down mit ihren glatten Benutzeroberflächen fehlt dieses hohe Maß an Identifikation und Rückbindung an die Erfahrungswelt der Fans – ein Grund, warum Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen so unverschämt erfolgreich sind. Markenkern des Marvel-Franchise sind Genres, die den einzelnen Filmen ein ästhetisches und dramaturgisches Konstrukt vorgeben: Thor als Shakespeare-Drama, der erste Captain America als Weltkriegs-»Period Piece«, Iron Man als Spionagethriller. So bleibt das Marvel-Universum offen für Interpretationen und Neuerungen.
Natürlich ist das Blockbusterkino keine Fanveranstaltung, sondern ein milliardenschweres globales Geschäft. Es muss weiterhin Spektakel bieten, dieses Dilemma ist gewissermaßen systemimmanent. Umso erstaunlicher war es, dass ausgerechnet zwei der aufwendigsten und ästhetisch ambitioniertesten Filme der letzten Jahre von der Kritik relativ einhellig als überteuerte, missratene Experimente abgetan wurden. Dabei hat seit Avatar keine Hollywoodproduktion die technischen Möglichkeiten des Blockbusters im Zeitalter von IMAX und 3D so beeindruckend aufgezeigt wie Tron: Legacy und Pacific Rim. Joseph Kosinski und Guillermo del Toro ist es gelungen, am Rechner hochgradig stilisierte, darin aber umso plastischere Kunstwelten zu entwerfen.
Pacific Rim mit seinen ausgeklügelten Farbräumen sowie einer patinierten Digital-Vintage-Ästhetik und der in seiner Zeichenhaftigkeit fast schon grafische Tron: Legacy sind faszinierende Abhandlungen über die Beschaffenheit von Licht und Farben im digitalen Kino – und allein darin schon Pionierleistungen. Mit Kritikerbegriffen des Erzählkinos kommt man hier, wie auch in den überragenden ersten zwanzig Minuten von Gravity, nicht mehr weit. Kosinski, Del Toro und mit Abstrichen auch Cuarón haben im Blockbusterformat gezeigt, dass sich das Kino so langsam vielleicht von traditionellen Vorstellungen des Erzählens lösen sollte. Tron: Legacy und Pacific Rim sind von der Ästhetik und den Interface-Designs moderner Videospiele beeinflusst, von deren komplexen, immer stärker auch charakterbasierten Erzähltechniken das Hollywoodkino einiges lernen kann. Geht man davon aus, dass jedes neue Medium Elemente des vorherigen simuliert, sind diese beiden Filme erste verlässliche Indikatoren dafür, wohin sich eine genuin 3D-basierte digitale Filmsprache in Zukunft entwickeln könnte.
Es ist demnach nicht ganz unwahrscheinlich, dass zukünftige Autorenfilmer aus der Videospielbranche kommen. Blomkamp und Kosinski haben bereits für das Spiel »Halo« kurze Filmchen gedreht (wo sie zufällig einem alten Bekannten, Steven Spielberg, über den Weg liefen, der gerade an einem Serienkonzept zum Spiel arbeitet). Die Häme der Kritiker über schlechte Drehbücher ist daher verfrüht und verfehlt auch den Punkt, denn Tron: Legacy und Pacific Rim stehen noch am Anfang einer technischen Entwicklung. Dass Disney einem Debütanten wie Kosinski ein Budget von 170 Millionen Dollar bereitstellt, deutet an, in welche Richtung auch die Studios zu planen gedenken. Den Fans des sogenannten Popcornkinos könnte in Zukunft jedenfalls das (traditionelle) Hören und vor allem das Sehen vergehen.
Wie unfair die abfälligen Kritiken vor allem gegenüber einem vermeintlich regressiven Jungsspielzeug wie Pacific Rim waren, zeigt schon der Vergleich mit Michael Bays Transformers-Filmen, die nicht einmal die grundlegenden Register des Actionfilms, etwa die Raumordnung, beherrschen. Bei Del Toro ist selbst im unübersichtlichsten Schlachtgetümmel noch eine räumliche Orientierung und die Zuordnung der Antagonisten (durch eine obsessive Gestaltungshingabe bis hin zur Beschaffenheit der Schuppen oder zu Plankton- und Rostrückständen auf der Panzerung) möglich. Und das, obwohl seine Kampfmaschinen meist im Halbdunkel tappen. Pacific Rim hat den Blockbusterreigen des letzten Jahres fraglos um ein paar sehenswerte Nuancen bereichert. Godzilla wird dagegen, so viel ist nach den ersten Trailern sicher, einen entschieden ernsteren Ton anschlagen.
In Interviews hat Gareth Edwards bereits angekündigt, dass ihm eine ausgewogene Balance zwischen ruhigen Szenen und aufwendigen Set-Pieces wichtig gewesen sei. »Die Dinge wirken plötzlich viel größer, wenn sie auf einen ruhigen zwischenmenschlichen Moment folgen. Wenn es ständig rumst, verliert das Spektakel schnell an Reiz.
Mit Pacific Rim, Gravity, Elysium, Captain America – The Return of the First Avenger, RoboCop, Godzilla sowie Rush – Alles für den Sieg und The Great Gatsby von den etablierten Kräften (ganz zu schweigen von einem hochinteressanten Franchise wie Die Tribute von Panem) hat sich das hochpreisige Unterhaltungssegment in den letzten zwölf Monaten von einer bisher nicht gekannten Vielseitigkeit gezeigt. Man kann es für übertrieben halten, dass die englische Filmzeitschrift »Total Film« kürzlich schon das »Golden Age of the Mega-Movie« ausrief. Aber die Erzählstrategien haben sich ausdifferenziert. Dass das Perpetuum Mobile aus Sequel – Remake – Reboot in Zukunft das Image des Blockbusterkinos bestimmen wird, daran haben die wenigsten Akteure in der Filmbranche Zweifel. Umso spannender dürfte in den nächsten Jahren die Suche nach Regisseuren werden, die das schon oft totgesagte Format originell zu interpretieren verstehen.
Godzilla startet am 15. Mai
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns