Geht doch! – Eine Begegnung mit dem Regisseur Arend Agthe
»Ich sollte was Anständiges lernen« – Aber dann hat er das Referendariat doch nicht gemacht. Jetzt unterrichtet Arend Agthe Kinder auf die etwas andere Weise: spielerisch, humorvoll, in Filmen wie dem Klassiker »Flussfahrt mit Huhn«. Sein neuer Star ist ein Hamster. Zum Start von »Rettet Raffi!« hat Katrin Hoffmann mit dem Regisseur gesprochen
Arend Agthe, Jahrgang 1949, ist bekannt als der Regisseur, der den deutschen Kinderfilm in den 80er und 90er Jahren zu neuem Ansehen verhalf und Maßstäbe setzte, was Anspruch und Realisierung von Originalstoffen betraf. Unvergessen und selten in der Qualität erreicht ist Agthes »Flussfahrt mit Huhn« von 1983, mit dem seine Karriere als Kinderfilmregisseur begann. Weniger beachtet sind seine Lehr- und Wanderjahre als Student der Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Marburg und schließlich Frankfurt am Main, wo er mit F. K. Waechter (1937–2005), Robert Gernhardt (1937–2006) und Bernd Eilert die Gruppe »Arnold Hau« gründete, die mit weiteren Mitgliedern wie Eckhardt Henscheid, Chlodwig Poth oder Hans Traxler die »Neue Frankfurter Schule« bildete. Arend Agthe erinnert sich: »Für unsere Theaterrevue ›Die Wahrheit über Arnold Hau‹ drehten wir einen Kurzfilm mit dem Titel: ›Der Klauer‹. Hauptdarsteller waren Gernhardt, Waechter und F. W. Bernstein. Der Film feierte seine Premiere auf den Brettern der Studentenbühne in Marburg. Parallel schickten wir ihn aber auch auf die Kurzfilmtage nach Oberhausen, und da bekam er prompt einen Preis. Nach diesem Erfolg machten Bernd Eilert und ich F. K. Waechter und Robert Gernhardt den Vorschlag, daran anzuknüpfen, und beide haben sofort zugesagt. So entstand die Arnold Hau Filmproduktion.«
Die Hau-Gruppe existierte von 1970 bis 1981 und schuf wunderbar anarchische, humorvolle Werke, wie die »Hau Schau« (1974/75), in der Alfred Edel (1932–1993) den Moderator gibt und einige »seiner« Kurzfilme vorstellt oder erklärt, was ein Zitterschwenk ist. Der Vorläufer von Raab und Co. lief zur besten Sendezeit im ZDF und Hessischen Rundfunk. Später folgte das »Casanova Projekt« (1981) mit Edel in der Hauptrolle. Der Kurzfilm »Hier ist ein Mensch« nach dem Schlager von Peter Alexander eröffnete 1972 die Kurzfilmtage Oberhausen, bekam eine lobende Erwähnung und kann als Prototyp des Musikclips betrachtet werden. Verantwortlich zeichneten stets alle vier Gruppenmitglieder, deren Kreativität sich zu einem fast wahnwitzigen Ganzen ergänzte. »Es gab diese schlafwandlerische Sicherheit, uns gegenseitig nicht auf die Füße zu treten. Man konnte den anderen unglaublich strapazieren, ohne ihn zu nerven. Das habe ich später in keinem Filmteam wieder erlebt.« An der Kamera fand sich meistens Arend Agthe, der hier das Handwerk des Filmemachens lernte. »Ich war der Praktiker der Gruppe, derjenige, der filmtechnisch und cineastisch unterwegs war.« Er hatte günstig eine Filmkamera erworben, die man mittels Federzug aufziehen und die dann 25 Sekunden lang filmen konnte – so lang waren die ersten Arnold-Hau-Filme. Eine Filmhochschule hat Agthe nie besucht. »Meine Mutter wollte immer, dass ich was ›Anständiges‹ lerne. Ich sollte Lehrer werden. Aber dann hatte ich während des Studiums angefangen, Drehbücher für die »Sesamstraße« zu schreiben, und das erwies sich als Schicksalsentscheidung: Als die Drehbücher angenommen wurden, bin ich nicht ins Referendariat gegangen.«
Gleichzeitig schrieb Agthe für die Satirezeitschriften »Pardon« und »Titanic«. Im Übergang zur Entstehung seines ersten Spielfilms entstanden 1980 bis 82 für die ARD 20 »Filmballaden für Kinder« mit Titeln wie »Swinging Baustelle« oder »Die Ballade von der Armbanduhr«. Kurze Filme, die spielerisch für die kleinen Fernsehzuschauer schräge Themen erklärten. Das Kreative und Unvollkommene der Hau-Gruppe ist hier noch deutlich spürbar, die zu dieser Zeit bereits auseinanderging, weil sie, wie Agthe sagt, »wirtschaftlich nicht mehr tragfähig war. Aber geblieben ist die Haltung, offen zu sein für alles, einen schnellen Blick und eine interessante Perspektive für Dinge und Vorgänge zu haben. Das habe ich gelernt und das dialektische Denken. Wenn man mit Komik zu tun hat, hat man mit Gesellschaft zu tun, mit all ihren Widersprüchen.«
Und dann kam 1983 »Flussfahrt mit Huhn«. Die Hinwendung zu Kinderthemen hat sich offenbar ganz automatisch ergeben. Dieser Film ist der erste Kinderfilm, der sich mit einer spannenden Handlung und in großer Ernsthaftigkeit dem Bedürfnis der Kinder widmet, gute Geschichten im Kino sehen zu können.
»Flussfahrt mit Huhn«, heißt es, habe in der Geschichte des deutschen Nachkriegs-Kinderfilms zu einer Wende geführt und den ›neuen deutschen Kinderfilm‹ eingeläutet. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber er kam damals auf jeden Fall anders daher als viele andere Filme für Kinder, weil er ein Roadmovie war und einen frechen Ansatz hatte.« Vier Kinder klauen das Boot ihres Großvaters und paddeln die Weser Richtung Meer hinunter, verfolgt vom Opa, der den Kindern bedrohlich nahekommt, sie aber nie erwischen kann. Diese Verfolgungsjagd in den Weiten der Flussauen, gefilmt von dem hervorragenden Kameramann Jürgen Jürges, ist unglaublich spannend in Szene gesetzt – Agthes bester Kinderfilm.
Es passt auch, dass er 2013 eine gekürzte Fassung von 86 Minuten hergestellt hat, die den Film heutigen Sehgewohnheiten angleicht – puristische Cineasten mag das stören, das junge Publikum freut sich darüber. »Der Film war seinerzeit zusätzlich als TV-Fünfteiler geplant, entsprechend lang war das Drehbuch. Die Original-Kinofassung lief 106 Minuten – zu lang für einen Kinderfilm. Man macht ja dann auch Erfahrungen mit seinem alten Werk, und irgendwann habe ich genau gewusst, wo ich schneiden muss, ohne eine Episode zu verlieren oder einen Charakter zu verkürzen. Und wir haben ihn in die ›neue Zeit‹ gebracht, ihn digitalisiert und den Ton neu gemischt.«
Es folgten »Küken für Kairo« (1985), »Sommer des Falken« (1988), »Wunderjahre« (1990) und »Karakum« (1993). Nebenbei drehte Agthe fleißig fürs Fernsehen: Löwenzahn, Brausepulver, Kobra 11, Adelheid und ihre Mörder, Ein Fall für Zwei, Wolfs Revier, Siebenstein, Dornröschen. Der Film »Sommer des Falken « räumte viele Preise ab und machte ähnlich wie »Flussfahrt mit Huhn« mit weit über einer Million Zuschauern auch im Kino recht gute Zahlen. Agthes schwierigster Film war »Karakum«, der in der Wüste Turkmenistans gedreht wurde. Eine Produktion, die wegen der Hitze, chaotischer Drehbedingungen und politischer Differenzen zwischen Turkmenistan und Russland jedes Teammitglied an die Grenze des Machbaren trieb. Arend Agthe trug, wie bei den meisten seiner Filme, auch als Produzent die Verantwortung und damit das finanzielle Risiko.
Dem Film sieht man die Probleme nicht an. Nachdem er von der Kritik hoch gelobt, aber vom Publikum eher missachtet wurde, wagte Agthe sich zunächst an keinen Kinderfilm mehr. »Das hatte mit der wahnsinnigen Anstrengung zu tun. Wir strauchelten in eine katastrophale finanzielle Situation und mussten in dieser abgelegenen Wüste improvisieren. »Karakum« ist am Ende aber richtig gut geworden und gefällt mir von meinen frühen Filmen am besten. Dann hatten wir das Pech, dass der Verleih pleiteging, eine Woche nach Kinostart. Und ich hatte das Gefühl, ich müsste eine Weile Abstand nehmen.«
Seine Filme waren bis dahin geprägt von einem ganz besonderen Witz, jeder einzelne ein Abenteuer, wie es jedes Kind erleben möchte, mit untypischen Tieren als Sidekicks wie Gonzo dem Huhn, oder kleinen Wesen wie einem Küken, das man beschützen muss. Der anarchische Humor blitzt immer wieder auf, etwa in der Diskussion zwischen Flughafenchef und Piloten, wenn es darum geht, das Kairo-Küken in Quarantäne zu nehmen und der deutsche Bürokratismus beinahe triumphiert – aber eben nur beinahe.
Agthes neuer Film »Rettet Raffi!«, dessen Titelheld ein Hamster ist, hat ebenfalls einen langen Weg hinter sich, der markiert, wie schwierig es ist, einen Original-Kinderstoff in Deutschland zu realisieren. Auf vielfache Forderungen hin – auch Aghte hat sich dafür engagiert – ist vor zwei Jahren die Initiative »Der besondere Kinderfilm« ins Leben gerufen worden, die sich der Förderung originaler Stoffe verschrieben hat. »Solche Tendenzen zeigen den richtigen Weg; es werden in der Tat wieder originäre Stoffe gedreht. Historische Stoffe haben bei der Initiative aber leider keine Chance.«
Für »Raffi« war eine Förderung durch die Initiative nicht in Frage gekommen. Nachdem das Projekt mehrfach abgelehnt worden war, hatten Agthe und seine Koautorin, Mitproduzentin und Ehefrau Bettina Kupfer zunächst ein Kinderbuch geschrieben, um die Realisierungschancen zu heben – als die Initiative »Besonderer Kinderfilm« anlief, hatte die Buchveröffentlichung »Raffi« aus dem Konzept katapultiert. Durch Crowdfunding kamen die ersten 100.000 Euro zusammen, schließlich zogen noch wichtige Förderer nach.
Eine endlose Strapaze, die Agthe jedoch nicht desillusioniert hat. »Auf der technischen Seite hat sich sehr viel verändert. Es ist einfacher geworden, Filme zu drehen. Aber ich bin auch immer drangeblieben am Erfahrungen sammeln. Ich habe zum Beispiel viel ›Siebenstein‹ gedreht, ein Format, bei dem digitale Tricks eine große Rolle spielen. Davon konnte ich bei »Raffi« stark profitieren.« Das sieht man dem Film an. Schwierige Szenen mit dem Jungen auf der Elbe und die meisten Sequenzen mit dem Hamster wurden digital und im Blue-Box-Verfahren hergestellt; das Ergebnis wirkt sehr authentisch.
»Raffi« ist wieder eine neue Emphase. Dass wir den Film auch noch selber produziert haben, war zwar eine riesige Anstrengung und ein großes Abenteuer, hat sich aber gelohnt.« Inzwischen ist das Duo Aghte-Kupfer mit neuen Projekten beschäftigt, neben »Raffi 2« gehört dazu ein historischer Kinderfilmstoff, eine Holocaust-Geschichte in der dritten Generation. Wieder eine Herausforderung und eine Chance, die Grenzen des Genres im deutschen Kino zu erweitern.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns