Freundliche Übernahme: Das Disney-Geschäftsmodell
»Findet Dorie« (2016). © Walt Disney
Pixar, Star Wars, Superhelden? Disney schluckt alles. Die traditionsreiche Firma scheint auf ein Entertainment-Monopol aus zu sein. Andreas Busche hat sich das Geschäftsmodell angesehen
Viele große Unternehmer sind am Beginn ihrer Karriere erst einmal gescheitert – und jede Erfolgsgeschichte produziert ihre eigenen Mythen. Der Gründungsmythos der Walt Disney Company geht so: Im Jahr 1927 entwickelte der junge Walt Disney die Cartoonfigur »Oswald the Lucky Rabbit«, mit der er bescheidene Erfolge als Comiczeichner feierte. Da die Rechte an der Figur jedoch beim Vertrieb Universal lagen, verdiente er kaum an den 26 Cartoons. Im Februar 1928 plante sein damaliger Partner Charles Mintz, Besitzer von Winkler Pictures, einen Coup, der Disney schließlich aus dem Geschäft drängte. Mintz warb die wichtigsten Zeichner des Studios ab und setzte die Reihe ohne ihren Erfinder fort.
Disney zog aus der Negativerfahrung Konsequenzen. Er schwor sich, die alten Fehler nicht zu wiederholen. Noch im selben Jahr entstand der erste Cartoon mit seiner neuen Erfindung Mickey Mouse, ein Jahr später ebnete der heutige Tonfilmklassiker »Steamboat Willie« den Weg Disneys zum erfolgreichsten Animationsstudio des 20. Jahrhunderts. Die Erfahrungen mit Winkler Pictures hatten Walt Disney misstrauisch gestimmt, er strukturierte sein Geschäftsmodell rigoros um: mehr künstlerische Kontrolle über die Produktion und vor allem hundertprozentige finanzielle Kontrolle über die Verwertungskette. Für Oswald hatte er bereits eine kleine Merchandise-Kollektion entworfen, doch mit Mickey Mouse begann Disney, die Möglichkeiten der Wertschöpfung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Der frühe Erfolg der Walt Disney Studios (der ursprüngliche Name seiner Firma) beruhte auf zwei Säulen: einem autarken Produktionszyklus und einem klar identifizierbaren, universal verständlichen Image. Die Geburtsstunde der ikonischen Mickey-Mouse-Ohren.
Mit dem kleinen Animationsstudio, das Walt und sein Bruder Roy vor über 90 Jahren im Los-Angeles-Stadtteil Silver Lake gründeten, hat der globale Medienkonzern, zu dem heute neben Filmstudios und Freizeitparks auch Fernsehsender und ein Comicverlag gehören, nicht mehr viel zu tun. Mehrere handfeste Identitätskrisen – eine kreative Flaute nach dem Tod ihres Gründers 1967, vor allem aber der Niedergang der traditionsreichen Animationsabteilung Ende der 90er Jahre – veränderten das Gesicht der Walt Disney Company und verschlissen zudem charismatische Managerfiguren wie Michael Eisner, der Disney Ende der 80er Jahre kurzzeitig zu alter Größe zurückführte. Am Geschäftsmodell des Gründervaters hat sich im Laufe der Jahrzehnte allerdings nur wenig geändert. Nicht zuletzt darum steht der inzwischen hochdiversifizierte Disney-Konzern heute in der schwankenden US-amerikanischen Filmindustrie unverrückbar wie ein Monolith der Popkultur.
Die Verwertungskette als Feedbackschleife
Als Robert Iger 2005 die Geschäfte übernahm, expandierte der Medienkonzern durch den Ankauf von Pixar (2006), Marvel (2009) und Lucasfilm (2013) innerhalb weniger Jahre so stark wie seit der Eröffnung des Freizeitparks Magic Kingdom im Jahr 1971 nicht mehr. Mit diesem umfassenden Portfolio vereint Disney Meilensteine der gegenwärtigen Popikonographie – ganz zu schweigen von einigen der lukrativsten Unterhaltungsmarken – unter einem Banner. Zu Disney gehört außerdem die Jim Henson Company, wobei das Unternehmen keine Rechte an den Muppets-Figuren besitzt. Im vergangenen Jahr zitierte das Wall Street Journal den langjährigen Disney-Finanzchef Jay Rasulo mit den Worten, dass »jeder Aspekt des Konzerns an Marken und Franchises ausgerichtet ist«. Walt Disney wäre stolz auf seine Thronfolger, hatte er doch schon Mitte der 50er Jahre eine komplexe Unternehmenstheorie entwickelt, in der das Image Disneys auf einem Zentralnarrativ beruht, das alle Bereiche der Wertschöpfung mit Inhalten füttert.
Im Zentrum dieser vertikal integrierten Unternehmensstruktur standen die Disney-Figuren als gut geölte Geldmaschine. Aus den Animationsfilmen entstanden Comicstrips, Merchandise-Produkte, Freizeitparkattraktionen und Soundtracks, die im long tail – am dünneren Ende einer Verwertungskette, die auch kleine Zielgruppen mit Nischenproduktionen bedient – das Archiv bestückten, was wiederum die langfristige Fernsehvermarktung stärkte. Im Gegenzug erhöhte die breite Produktpalette die Attraktivität des Gesamtpakets und damit die Nachfrage nach den Filmen. Die Verwertungskette als perfekte Feedback-Schleife. Zwanzig Jahre später erwies sich George Lucas als gelehriger Schüler des visionären Unternehmers Walt Disney, als er sein Star-Wars-Imperium auf ein ähnliches Geschäftskonzept begründete. Das Image als Produkt. Es ist nur konsequent, dass Lucasfilm heute zum Disney-Konzern gehört.
In kommerzieller Hinsicht haben die »kleineren« Narrative (Pixar, das Marvel Cinematic Universe, die »Star Wars«-Filme) dem Markenkern von Disney längst den Rang abgelaufen – wobei es Disney mit Filmen wie »Die Eiskönigin« zuletzt wieder gelang, jenseits der Franchises auch mit der Hausmarke Rekordeinspielergebnisse zu erzielen (mit einem weltweiten Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar schlägt »Die Eiskönigin« sogar den bisher erfolgreichsten Pixar-Film »Findet Nemo«). Doch die Zeiten, als Filme aus dem Hause Disney – wie »Arielle, die Meerjungfrau«, »Aladin«, »König der Löwen« oder »Roger Rabbit« – Höhepunkte des Kinojahres darstellten, liegen weit über 20 Jahre zurück. Diese Rolle übernehmen heute die Tentpole-Filme der neuen beziehungsweise reaktivierten Franchises, aus deren Produktionslogos das ikonische Märchenschloss längst verschwunden ist. Die Vorhut bildete das Pixar Studio, mit dessen Akquise sich Disney 2005 die Poleposition im stetig wachsenden Segment des Animationsfilms zurückeroberte, nachdem man mit Filmen wie »Tarzan«, »Hercules« oder dem einfallslosen Sequel »Fantasia 2000« um die Jahrtausendwende den Anschluss im Kerngeschäft verloren hatte.
Wer hat die Pixar-Filme disneyfiziert?
Die Übernahme von Pixar ist in gewisser Weise symptomatisch für die Entwicklung bei Disney. Von Firmengründer Walt ist die Aussage überliefert, dass man einen Umstand nie vergessen dürfe: Die Erfolgsgeschichte beginnt mit einer Maus. Der Pixar-Deal zeigte jedoch, dass sich das Verhältnis zwischen Tradition und Fortschritt verschiebt. Heute spielt Pixar-Chef John Lasseter eine zentrale Rolle in Disneys Animationssparte. Nicht nur, dass Pixar sich seine Identität innerhalb des Unternehmens bewahren konnte (wobei kritische Stimmen bemerken, dass die Pixar-Filme seit »Cars« viel von ihrem anarchischen Charme eingebüßt haben). Lasseter war auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Animationstradition wiederbelebt wurde. In den 90er Jahren hatte Disney die Konversion des Animationsfilms vom klassischen Zeichentrick zu computer generated images verschlafen und seine Produktionsstandorte sukzessive abgebaut, wie Chris Pallant in seinem Buch »Demystifying Disney: A History of Disney Feature Animation« schreibt. Als Pixar 1995 für »Toy Story« erstmals mit dem neuen Vertriebspartner Disney kooperierte, war die Animationssparte des Traditionsunternehmens nur noch ein Schatten ihrer selbst: ein obsoletes Spielzeug wie der in die Jahre gekommene »Toy Story«-Held Woody im Vergleich zum fortschrittsgläubigen, flashigen Buzz Lightyear.
Zwar bestand die erste Amtshandlung Lasseters nach der Übernahme darin, geschasste Koryphäen wie Ron Clements, Ron Musker und Eric Goldberg zurückzuholen, um die Zeichentricksparte zu stärken. Doch vor drei Jahren verkündete Disney-Chef Iger offiziell, dass angesichts der Erfolge von »Bolt: Ein Hund für alle Fälle« und »Rapunzel – Neu verföhnt« vorerst keine weiteren handgezeichneten Animationsfilme geplant seien. Disney passte seine Produktion sukzessive dem Modell Pixar an, während Pixar dem neuen Disney-Geschäftsmodell folgend verstärkt auf Sequels und Franchises setzte. Mit Erfolg: Im Juni brach die »Nemo«-Fortsetzung »Findet Dorie« am Startwochenende den Box-Office-Rekord für Animationsfilme (bislang gehalten von »Toy Story 3«) und bestätigt damit die Linie des Mutterkonzerns. Derzeit befindet sich »Toy Story 4«in Produktion.
Neue Synergieeffekte
Die Akquise von Marvel und Lucasfilm (sowie Spartenunternehmen wie dem Spieleentwickler Playdom oder dem Online-Produzenten Maker Studios) sind ein deutliches Signal, dass sich Disney im Umbruch von einem Traditionsunternehmen zu einem global operierenden Medienkonzern mit Claims in allen Sparten der Familienunterhaltung befindet. Damit nimmt man zumindest ideell Abschied von der Vision des alten Walt, der zu Lebzeiten Wert darauf legte, alle Produkte unter einer klaren Corporate Identity zu vereinen. Marvel und »Star Wars« waren schon vor der Übernahme durch Disney eigenständige Marken – die Fans sorgten sich eher darum, dass das saubere Image des Mutterkonzerns auf die Franchises abfärben würde. Bei Disney hoffte man dagegen auf völlig neue Synergieeffekte, von denen der Firmenpatron zu Lebzeiten nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Der Plan ging auf: Mit Pixar, Marvel und »Star Wars« besitzt Disney heute eine Art Monopolstellung in der globalen Unterhaltungsindustrie.
Die Marktmacht dieses krakenartigen Konglomerats zeigt sich auch in der aktuellen Preispolitik des Filmstudios, das im Wissen um sein kulturelles wie unternehmerisches Kapital Kinobetreibern rigoros die Konditionen zu diktieren versucht. Die großen Kinoketten haben die bittere Pille gezwungenermaßen geschluckt; alle wollen an dem Geschäft, das die »Star Wars«- und »Avengers«-Filme versprechen, mitverdienen. Der Protest kleinerer Kinos (vor allem außerhalb der großen Ballungsgebiete), die sich Gewinnbeteiligungen von über 50 Prozent schlichtweg nicht leisten können, verpuffte angesichts der Rekordumsätze wirkungslos. Disney befindet sich in einem wegweisenden Verdrängungswettbewerb, der die amerikanische Filmindustrie nachhaltig verändern dürfte, sollten andere Studios nachziehen. Disney genießt gegenüber der Konkurrenz allerdings einen strategischen Vorteil: Das Unternehmen besitzt die Lizenzen für die derzeit kommerziell erfolgreichsten Franchises.
Disneyland ist überall
Hinzu kommt, dass die Kinoverwertung für Disney längst keine Haupteinnahmequelle mehr darstellt, wie der Kauf von Lucasfilm vor vier Jahren belegt. Vier Milliarden Dollar ließ sich Disney das Lucas-Imperium kosten (knapp die Hälfte des Preises für Pixar). Doch immer deutlicher wird, dass die Fortsetzung der ersten beiden Trilogien für Disney-Chef Iger nur ein Mittel zum Zweck ist. Auch die dem Lucas-Unternehmen zugehörigen Innovationsschmieden Industrial Light and Magic und Skywalker Sound spielten in der Kalkulation eine eher untergeordnete Rolle. Kernstück des Deals waren die Verwertungsrechte am »Star Wars«-Franchise, mit denen Disney gewissermaßen eine Lizenz zum Gelddrucken erwarb. Die Tatsache, dass Disney inzwischen ein gutes Drittel seines Umsatzes mit seinen elf Freizeitparks und -resorts im kalifornischen Anaheim, Orlando, Paris, Tokio und so fort macht (der kürzlich eröffnete Park in Shanghai nimmt den chinesischen Markt ins Visier), ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert. In die Logik passt Robert Igers Ankündigung eines neuen Freizeitparks mit »Star Wars«-Thema an drei amerikanischen Standorten. Das »Star Wars Land« mit einer Fläche von jeweils knapp sechs Hektar stellt die seit Jahrzehnten größte Erweiterung dar und wird die überalterten Parks zu Attraktionen für eine neue Generation von Konsumentinnen machen. Parallel dazu entstehen übrigens drei »Toy Story Lands« und in Kooperation mit James Cameron der Freizeitpark »Pandora – The World of Avatar«.
Die Expansionen zeigen, dass der Disney-Konzern sehr wohl von seinem Gründer gelernt hat. Dessen altes Geschäftsmodell wurde lediglich um ein paar bespielbare Plattformen ergänzt. Die Konvergenz dieser auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Themenwelten innerhalb des Disney-Portfolios wird zukünftig also immer seltener im Kino stattfinden. Hier führen die Franchises spätestens seit den »Fluch der Karibik«-Filmen ein (durchaus einträgliches) Eigenleben. Das Kino fungiert bloß noch als attraktiv bestücktes Schaufenster für die wachsende Produktpalette. Erst im Kontext der Freizeitparks werden die auseinanderstrebenden Narrative wieder einer übergreifenden Corporate Identity (manche würden es auch eine Ideologie nennen) untergeordnet.
Unternehmerisch vollzieht Disney damit auf exemplarische Weise, was in der amerikanischen Filmindustrie seit den 90er Jahren zu beobachten ist. Damals versuchte sich Disney durch den Kauf von Miramax Anteile am seinerzeit boomenden Arthouse-Markt zu sichern. Die Akkumulation von assets und die Besetzung von Marktnischen durch die großen Studios wälzte die amerikanische Kinolandschaft bis hinein in den Independent-Sektor um. Disney hat aus dem Fehler mit Miramax, von dessen Filmbestand man sich 2010 endgültig trennte (Käufer war ein Konglomerat aus Investmentbanken und Finanzunternehmen in den USA und Katar), gelernt. In der US-Filmindustrie funktionieren Mischkalkulationen, wie sie heute Paramount oder Sony mit dem Indie-Ableger Sony Pictures Classics betreiben, höchstens noch als steuerliche Abschreibungsposten. Disney hat dagegen konsequenterweise den Schritt der aggressiven Markenexpansion gewählt – als Gegenmodell zum rationalen Prinzip der »Gesundschrumpfung«. Die Maus ist gefräßig.
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