Die Kamera abschalten ist keine Medizin
Herbert Achternbusch war einst das gefeierte Enfant terrible des deutschen Films. Zwischen 1970 und 2002 hat er 30 Filme gedreht und damit echte Filmskandale erzeugt. Dem Provokateur und Avantgardist zum 70.
Im März dieses Jahres jährte sich zum 25. Mal der Eklat, den Herbert Achternbusch mit seinem Film Das Gespenst im Jahre 1983 auslöste: Dort steigt er als leibhaftiger Christus vom Kreuz und beginnt mit einer Nonne ein weltliches Leben als Schankwirt. Die FSK wollte den Film zunächst nicht freigeben, weil er »dem religiösen Empfi nden eines nach Millionen zählenden katholischen Teils der Bevölkerung in öff entlicher Vorführung nicht zugemutet« werden könne. Als die FSK sich gezwungen sah, ihre Entscheidung zurückzunehmen, kam es zu zahlreichen Protesten von Katholiken vor den Programmkinos. Die Jury der evangelischen Filmarbeit nominierte Das Gespenst allerdings zum »Film des Monats«. Der damalige Innenminister Zimmermann (CSU) wollte Achternbusch die bereits bewilligten Fördermittel wieder aberkennen. Von heute aus gesehen, war es die Stunde seiner größten Popularität – nie kannten mehr Menschen Herbert Achternbuschs Namen.
Das Werk Achternbuschs ist zutiefst bajuwarisch und gleichzeitig antibayerisch. Bereits sein dritter Spielfi lm Servus Bayern (1977) eröff nete mit einer Provokation: »In Bayern will ich nicht einmal gestorben sein«, konstatiert die Hauptfi gur Herbert (Achternbusch selbst). Der Grund für den HeimatEkel wird auch genannt: Es ist die Missachtung des Künstlers durch die Gesellschaft und die Medien. Herbert wird vom Bayerischen Fernsehen und einem aufdringlichen Kulturreporter quasi bis ans Ende der Welt verfolgt. Doch der Künstler ist auch selbst ein wenig schuld an seiner Misere: Seine Arroganz und vor allem seine Misanthropie wird der HerbertFigur von allen Seiten vorgeworfen.
Für den damaligen bayerischen Innenminister Gerold Tandler war Servus Bayern »schlicht und ergreifend eine Sauerei« – was Achternbusch nicht davon abhielt, das bayrische Selbstbewusstsein weiter zu piesacken: In Bierkampf (1977) geht er als Polizist verkleidet aufs Oktoberfest und führt die »Urgemütlichkeit « seiner Landsleute als Spießertum und bierselige Gewaltbereitschaft vor. In Der Junge Mönch (1978) lässt er ganz Bayern von einem Atomkrieg zerstören und nur einen Vorort von München stehen. In Punch Drunk (1987) spielt er den korrupten bayerischen Kultusminister Riesenhuber, der das – dieses Mal von der Tschernobyl-Katastrophe – zerstörte München verwaltet: »Ein Leben lang war ich ein Esel. Doch dann kam ich als Staatssekretär wieder auf die Welt. Das ist doch ein Fortschritt?«
München war stets Achternbuschs bevorzugtes Ziel für Angriff e. In Mix Wix (1989) setzt er sich aus Protest auf das Dach eines Kaufhauses, um die Stadtverwaltung dazu zu bewegen, der Erweiterung seines Kaufhauses zuzustimmen – was diese ablehnt. »Wie kann man nur so von der eigenen Dummheit beseelt sein wie das bayerische Volk?«, fragt Mix Wix quasi von oben herab und gibt sich die Antwort 1994 in Ab nach Tibet! selbst: München, so erklärt dort die Stadtführerin einer tibetanischen Reisegruppe, sei das Ergebnis eines gewaltigen Kulturraubes. Erst wenn die Stadt bis zum letzten Rest zerstört worden sei, könne man in ihr eine allererste echte Kultur initiieren. Der Keim dieser Kulturlosigkeit liege in der Mentalität, die sich von der des »Dritten Reiches« nie gelöst habe, und im Katholizismus.In Das letzte Loch karikiert Achternbusch 1981 die Mechanismen der historischen Verdrängung: Pro ermordetem Juden müssen 2 cl Schnaps getrunken werden, dann lässt sich das Grauen vergessen. Angesichts der Schnapsmenge, die sechs Millionen jüdischer Opfer des Holocaust ergeben, kann der Protagonist Nil (Achternbusch) nur verzweifeln und nach Stromboli fliehen. Der Film wurde mit dem Bundesfilmpreis, (»Filmband in Silber «) ausgezeichnet. Auch in Hades (1994) beschäftigt Achternbusch der latente Antisemitismus und Nazismus der Gesellschaft. Er spielt dort einen jüdischen Sargmacher, der als Kind das Warschauer Ghetto überlebt hat, um dann von Neo-Nazis und im Stechschritt einhermarschierenden Trachtenträgern den Tod durch Steinigung zu erfahren. Hier inszeniert sich Achternbusch wie in etlichen anderen Filmen als Märtyrer. 1990 bekennt seine Kunstfigur Hick in Hick’s Last Stand: »Ja, ich bin ein Rassist gegen die Deutschen.«
Die Blasphemie, die man Achternbuschs Das Gespenst nachsagte, hatte der Regisseur nie als solche intendiert; respektlos gegenüber der Kirche blieb er allemal. Ob der junge Mönch im gleichnamigen Film nun eine neue Religion auf Basis eines Schokoladenosterhasen gründet, Kinder in Das Gespenst ein paar Frösche kreuzigen oder die in mehreren Filmen eine Nonne spielende Annamirl Bierbichler in Ab nach Tibet! einen schwarzen Asylbewerber in ihrem Klassenraum ans Kruzifix bindet, damit er von den Behörden nicht abgeschoben wird.
Achternbusch inszeniert solche Aussagen mit weitestgehender erzählerischer Freiheit. Das ist es, was sein Werk von Beginn an auszeichnet: die Verweigerung, sich den klassischen Filmerzähltraditionen anzuschließen. Seine Filme verfügen nur über rudimentäre Storys, vielmehr sind es ihre Bilder und die anekdotischen Sequenzen, in denen sich Sinn entfaltet. Von einem Unterhaltungsanspruch ist das weit entfernt, Achternbuschs Filme zählen zu den intensivsten und reflektiertesten des deutschen Nachkriegskinos. In etlichen von ihnen setzt er sich mit Kunst und Filmkunst im Allgemeinen auseinander. Achternbusch tritt als Regisseur, als Maler, als Literat und Lebenskünstler darin auf.
Bereits Servus Bayern ist eine Künstlerbiografie. Hier prallen Künstler- und Alltagsrolle brachial aufeinander. Denn so sehr der Schriftsteller Herbert auch geschätzt wird, so sehr wird der Mann Herbert verachtet. Zahllose Liebschaften hat er gehabt und dabei seine Frau (Annamirl Bierbichler) vernachlässigt. Eine Konstellation, die in nicht wenigen Filmen Achternbuschs eine Rolle spielt. In Der Neger Erwin spielt er einen Ex-Sträfling, gibt sich als »der große Regisseur Herbert Achternbusch« aus und veranstaltet ein Casting in einer Kneipe. Am Ende reitet er mit der Wirtin Susn (abermals Bierbichler) auf einem Nilpferd davon, geht in die Isar und stellt fest: Wenn ein Nilpferd in der Isar ist, ist die Isar der Nil und München daher in Afrika. Also kann er für seinen nächsten Film Entwicklungshilfe beantragen.
Einen kritischen Blick auf sich als Filmemacher und die Situation des Films in Deutschland bietet auch sein Film Rita Ritter (1983), in welchem er selbst nur ganz kurz vor Ende auftritt und erstmals ein »richtiges« Schauspielerensemble vorweisen kann: Barbara Valentin, Eva Mattes, Armin Müller- Stahl – alles Größen des damals jungen Deutschen Films. Annamirl Bierbichler spielt die erfolglose Drehbuchautorin Rita, die erst durch eine glücklose Ehe mit der Programmverantwortlichen des Bayerischen Rundfunks Gehör für ihre Stoffe findet.
Herbert Achternbusch ist, seit er nicht mehr hinter und vor der Filmkamera steht, keineswegs aus der Kunstwelt verschwunden. Er ist Maler, inszeniert Theaterstücke, schreibt Romane und bildhauert – auf dem Münchner Filmfest wurden anlässlich der ihm gewidmeten Retrospektive in diesem Jahr einige seiner Holz-Esel versteigert. Picasso in München (1997) stellt vielleicht die Apotheose seiner Künstlerbiografie dar. Dort kehrt er in Gestalt des spanischen Malergenies angesichts des »dahindämmernden deutschen Films« ins Leben zurück, um seine gelbe Phase abzuschließen. Und sein letzter Film schließlich, Das Klatschen der einen Hand (2002), kann als künstlerisches Vermächtnis gesehen werden, in dem die nächste Generation das schier unmögliche (Kunst)Projekt der Väter aufgreift und zu beenden versucht.
Ästhetische Vielseitigkeit und stilistische Stringenz, filmübergreifende Leitmotive und politisches Bewusstsein bilden eine Kombination im Werk Herbert Achternbuschs, wie sie im heutigen Kino kaum noch zu finden ist. Der Reichtum und die Intelligenz seiner Filme sind lange »breiten Kreisen der Bevölkerung« unzugänglich gewesen. Sein 70. Geburtstag gibt Anlass, ein Wiedersehen mit seinen Filmen zu feiern: Im November veröffentlicht Alamode eine DVD-Box mit den von den Originalnegativen abgetasteten und nachbearbeiteten Filmen Das Andechser Gefühl, Die Atlantikschwimmer, Das Gespenst, Die Olympiasiegerin und Hick’s Last Stand, die durch Dokumentationen, Interviews und einen Mitschnitt einer Podiumsdiskussion mit ihm während des diesjährigen Münchner Filmfests ergänzt werden. Dieser ersten Box sollen bald weitere folgen.
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