August Diehl – Ein Porträt
August Diehl in »Ein verborgenes Leben« (2019). © Pandora Film Verleih
Er hat etwas Jugendlich-Hamlethaftes, meint Birgit Roschy. Auch wenn er inzwischen 44 und international etabliert ist. Jetzt kommt August Diehl in einem Film von Terrence Malick ins Kino
Eine Handvoll deutsche Filme hat in den letzten zwei Jahrzehnten bleibenden Eindruck hinterlassen; Werke, die inhaltlich und formal außergewöhnlich komplex und doch packend genug sind, um neben Filmkritikern und –aficionados auch ein großes Publikum zu begeistern. Zu diesen Glückstreffern gehört der 1998 von Hans-Christian Schmid gedrehte Psychothriller »23 – Nichts ist so wie es scheint«. Der Regisseur, der ein Händchen für aparte Gesichter hat und etwa 1995 Franka Potente entdeckte, engagierte für die Hauptrolle einen Studenten frisch aus der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule. Als manischer, drogensüchtiger Computerhacker Karl Koch, der Spionage für den KGB betreibt und in die vom Mantra 23 beherrschte Wahnwelt einer Illuminatenverschwörung driftet, wurde der Debütant schlagartig bekannt und mit Preisen überhäuft. Da war August Diehl gerade 23 (mit 23 hat er auch geheiratet), doch in dem vom Schicksal eines authentischen Computerhackers inspirierten Film sieht er aus wie zarte 18 Jahre.
Mit all den klobigen Rechnern der 80er Jahre ist der Film hervorragend gealtert. Auch der jetzt 44-jährige Schauspieler, der aktuell im NS-Drama »Ein verborgenes Leben« als bäuerlicher Wehrdienstverweigerer abermals eine historische Figur verkörpert, ist gealtert – und wirkt doch in seiner Empfindsamkeit irritierend jung. Franz Jägerstätter ist ein stiller Mann, dem es irgendwie gelungen ist, dem Zurechtgeschliffenwerden durch die Zeitläufe, der Gesetztheit und dem Zweckdenken, zu entkommen, und der, inmitten der Herde geduckter Mitläufer, auf existenzielle Weise fremdelt. Im Grunde wird er als Heiliger in Szene gesetzt. Dabei ist er einer, der durch den Akt der Schwurverweigerung nicht nur sich selbst opfert, sondern, als mehrfacher Familienvater, auch seine Lieben zu Ausgestoßenen macht.
Meist geht es in Diehls Rollen ums Sein oder Nichtsein, und meist wirkt er, als frei schwebender Überzeugungstäter, wie nicht ganz von dieser Welt. Diese ewig jugendliche Hamlethaftigkeit ist August Diehls Markenzeichen – und vielleicht auch sein Fluch. Den Hamlet hat er 2013 auf der Bühne des Wiener Burgtheaters gespielt, nachdem er zuvor schon als »Don Karlos« und »Prinz Friedrich von Homburg« auf deutschen Bühnen gefeiert worden war. Mit Mitte 20 konnte er bereits mit Regisseuren wie Luc Bondy, Peter Zadek und Klaus Michael Grüber arbeiten. Das Theater – seit 1997 steht er fast ununterbrochen auf der Bühne, seit 2013 ist er Ensemblemitglied des Burgtheaters – ist sein Standbein, der Film das Spielbein.
August Diehl ist der Sohn des Theaterschauspielers Hans Diehl, seine Mutter arbeitete als Kostümbildnerin. In seiner Kindheit führte die vierköpfige Familie ein Aussteigerdasein in einem abgeschiedenen Bauernhof in der Auvergne. Der Rückkehr nach Deutschland, als Diehl neun Jahre alt war, folgten wegen der Engagements seines Vaters weitere Umzüge. »Ankunft und Abschied sind Konstanten in meinem Leben«, sagte er einmal in einem Interview; wirklich heimisch scheint Diehl, der gelegentlich zusammen mit seinem Vater auftritt, sich nur auf der Bühne zu fühlen. Seine Fremdheitsgefühle und die Sehnsucht, sich nie festzulegen und nie anzukommen, spiegeln sich, so Diehl, in seinen Rollen wider.
Doch im Theater ist das Repertoire an irrlichternden romantischen Jünglingen nun mal beschränkt. Auf der Leinwand und auch für das Fernsehen hat er mit der ihm eigenen hochgespannten Nervosität und Sensibilität einer weit größeren Auswahl von Helden, Schurken und klingenden Namen Leben eingehaucht. »Schlechtes Theater ist unerträglicher als ein schlechter Film«, sagte Diehl 2006 in einem epd-Film-Porträt, »weil man nicht rauskann, weil es Kollegen sind, die sich da vorne abrackern, weil es physisch quälender ist und die gute, aber ins Peinliche verrutsche Absicht beschämender.« Und der Tenor der Kritik auch bezüglich seiner schlechten Filme lautet stets, dass selbst ein Diehl es nicht habe herausreißen können. So geschehen etwa in der Miniserie »Die Neue Zeit« (2019), in der er als Walter Gropius eine Liebesgeschichte mit einer Studentin angedichtet bekommt – eine Affäre, die, ebenso an den Haaren herbeigezogen wie bedeutungsheischend, schließlich den filmischen Auftrag, die Bauhausbewegung zu porträtieren, untergräbt.
Hat Diehl jedoch mehr Spielraum zu Verfügung, um einen Charakter aus sich heraus zu entwickeln, macht er den zeitgenössischen Requisitenaufwand vergessen und verleiht seinen gemarterten Helden universelle Geltung. So prunkt Andres Veiels Drama »Wer wenn nicht wir« (2011) über Gudrun Ensslin und Bernward Vesper mit einer betonten Retro-Optik, die den erstickenden Mief der Nachkriegszeit spürbar macht. Getragen wird der Film aber von Diehls vielschichtiger Darstellung des Dichters Bernward Vesper, der eigentlich eine Randfigur in der Vorgeschichte des Linksterrorismus ist: als ambitionierter, auch arroganter Kopfarbeiter, der – getrieben von literarischen Ambitionen, dem Dauerkonflikt mit dem Nazivater und der Radikalisierung seiner Verlobten Gudrun Ensslin, die ihn schließlich zugunsten von Macho Andreas Baader abschießt – aus der Kurve getragen wird. Wie in »23« steht diese Figur für den fatalen Systemabsturz eines Hochbegabten und zugleich für einen zeitlosen Vater-Sohn-Konflikt.
Leinwandfüllende Intensität beweist er auch als Gymnasiast Günther Scheller im Drama »Was nützt die Liebe in Gedanken« (2004), der Verfilmung der »Steglitzer Schülertragödie«, die sich in den 20er Jahren zutrug. Fünf Jugendliche verfangen sich in einem Sommernachtsalptraum zwischen Eros und Tod, allem oder nichts. Diehl spielt den hochgestimmten Wortführer Scheller, der seinen besten Freund begehrt, der, von einer anderen geliebt, Schellers Schwester begehrt, die wiederum mit Schellers Liebhaber schläft. Von der Plüschigkeit eines herkömmlichen Kostümdramas weit entfernt, ist das Gefühlschaos dieser mit vollen Händen ihre Jugend verschwendenden Königskinder mit ihren flatternden weißen Hemden mit so viel Melancholie und Sinnlichkeit inszeniert, dass es ganz und gar heutig wirkt.
Diehl ist als zugleich blasierter und verletzlicher Upperclass-Jüngling Scheller, der seinen Liebhaber, einen jungen Koch, und sich selbst umbringt, mit seinem glatten Gesicht ein faszinierender Killer. Seine leuchtenden Augen, in denen stets ein Funken Wahnsinn glimmt, prädestinieren ihn für die Rolle des Ketzers wie des Inquisitors. Im NS-Drama »Der neunte Tag« (2004) spielt er einen SS-Untersturmführer, der den katholischen Priester Abbé Henri Kremer kurzzeitig aus dem KZ holt, um ihn dazu zu bewegen, den luxemburgischen Bischof zur Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern zu überreden. Wäre da nicht der Altersunterschied, könnte Diehl glatt mit Ulrich Matthes, der ein ähnliches inneres Brennen ausstrahlt, die Rollen tauschen.
August Diehl, dessen Filme meist in der Berlinale-Liga spielen, gehört längst zu den Aushängeschildern des deutschen Kinos und ist einer der wenigen hiesigen Stars, die auch international gut ankommen. Mit seiner schlaksig-gespannten Erscheinung ist er so unverwechselbar wie Gérard Depardieu. Im Gegensatz zu Depardieu aber, der handfesten Rampensau des französischen Kinos, hat Diehl, beurteilt man ihn aus der Perspektive eines Casting-Agenten, nichts Rowdyhaftes; er steckt in der Schublade »Stilles Wasser mit Untiefen«. Trotz seines Habitus eines scheuen Intellektuellen steht er für trouble. Von daher ist die auf den ersten Blick abstruse Paarung mit Angelina Jolie im Actionthriller »Salt« vielleicht doch nicht so abwegig. Jolie selbst soll auf diesen jungen Deutschen aufmerksam geworden sein und darauf hingewirkt haben, dass er den Ehemann mimt. Als weltabgewandter deutscher Arachnologe Michael, der von der Doppelagentin Salt anfangs nur bezirzt und ausgehorcht werden soll, schafft er es durch seine naive Treue und Ehrlichkeit, die extrem ausgekochte Heldin zum Guten zu bekehren. So süß! Wenn Jolie ihren in die Beobachtung von Spinnen versunkenen Gatten wie das achte Weltwunder anhimmelt, weiß man, dass Michael für Salt auch ein zu beschützendes Kind ist – und dass er, als prädestiniertes Opfer, als Handlungstrigger dient. Die Ermordung des sanften Gelehrten bringt die Agentin denn auch erst richtig in Rachestimmung.
Ist Diehl in diesem Thriller das europäisch-versponnene Kontrastprogramm zu den muskulöseren amerikanischen Sonnyboys, so setzt er mit seinem Auftritt in Quentin Tarantinos brachialer Nazisatire »Inglourious Basterds« (2009) die Traditionslinie deutscher Hollywood-Nazis fort. SS-Sturmbannführer Dieter Hellstrom taucht aus dem Hintergrund einer französischen Kneipe auf und zwingt US-Agenten eine Unterhaltung auf, um sie triumphierend zu enttarnen. Mit seinem bleichen Gesicht, dem kultivierten Tonfall und dem meckernden Totenkopflachen, das er – wie ein kleiner Junge, der sich über einen sadistischen Streich freut – kaum beherrschen kann, ist Diehl markerschütternd creepy. Es ist nur eine kleine Szene, und neben ihm sind zwei Dutzend weitere deutsche Schauspieler im Film. Doch sein Kurzauftritt als »blonde Bestie« geht über die Karikatur hinaus und macht ihn unsterblich. Angesichts dieser faszinierend trashigen Nummer ist es umso bedauerlicher, dass Diehl im deutschen Qualitätsfilm gewöhnlich nicht mehr spielen darf als Männer in Sturm-und-Drang-Phasen mit Unhappy End. Auch als »Der junge Karl Marx« in einem Historiendrama von Raoul Peck, in dem Marx’ Entwicklung von 1843 bis 1848 resümiert wird, verkörpert er einen rastlosen Berufsjugendlichen. Der vierzigjährige Diehl wirkt in der Rolle des anfangs 25-jährigen Sozialphilosophen mit Bart und Zylinder wie ein zorniger Hipster des Vormärz. So gelingt es ihm zwar, den stilistisch etwas betulichen Kostümfilm aufzupeppen. Dennoch bleiben Marx’ dunkle Seiten unterbelichtet – und auch dass Marx Humor hatte.
Rollen, in denen er sich von seinem heiligen Ernst freispielen darf, hat dieser sehr deutsche Ausnahmeschauspieler noch vor sich. »Dabei hätte ich das wahnsinnig gerne«, sagte Diehl 2016 in einem Interview. »Wenn man mir eine gute Komödie anbietet, bin ich dabei.«
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