Koreanisches Kino
Südkorea hat die dynamischste Filmszene in Fernost. Seit der Jahrtausendwende boomt hier das Kino. Mittendrin: der Regisseur Bong Joon-ho, der mit Snowpiercer bisher teuersten koreanischen Film gedreht hat
So schnell kann es gehen. Schon mit seinem zweiten Spielfilm Memories of Murder stieg Bong Joon-ho 2003 in die erste Liga koreanischer Regisseure auf. Mit der Geschichte von Koreas erstem Serienkiller, der bis Anfang der 1990er mehrere Frauen vergewaltigt und zerstückelt hatte, transzendierte Bong das Krimigenre in Richtung Neorealismus, mit einer Dosis schwarzem Humor. Der Film spielt in den 80er Jahren, noch zur Zeit der Diktatur, als Folter an der Tagesordnung war. Der Star des Films, Song Kang-ho, glänzte in der Rolle eines Kommissars, der in der Provinz gegen Borniertheit und Hass kämpft. In einer von der Zeitschrift »Korean Cinema Today« durchgeführten Umfrage unter Fachjournalisten und Kinoexperten wurde Memories of Murder zum besten koreanischen Film des Jahrzehnts gewählt – auch die folgenden Arbeiten von Bong Joon-ho, The Host und Mother, schafften es in die Top Ten.
Mit dem schrägen Monstermovie The Host, wieder mit Song Kang-ho, brach Bong 2006 zu Hause alle Kassenrekorde. In drei Monaten – eine sensationell lange Laufzeit in Korea –, wurden mehr als 13 Millionen Kinokarten verkauft, in einem Land mit rund 48 Millionen Einwohnern! Anhand eines plötzlich aus dem Han-River in Seoul auftauchenden Monsters werden familiäre Beziehungen und das Verhältnis der Koreaner zu den Vereinigten Staaten thematisiert.
Das packende Drama Mother über eine Mutter, die mit allen Mittel versucht, die Unschuld ihres wegen Mordes verurteilten Sohnes zu beweisen, wurde von Südkorea 2010 als Bewerber für den Auslands-Oscar nominiert. »Südkoreas vielseitigster junger Auteur« (›Screen Daily‹) führt der Bevölkerung Koreas – wo seit der Demokratisierung und mit zunehmendem Wohlstand unsoziales, apolitisches Verhalten und Konsumgier zunehmen und Großfamilienstrukturen auseinanderbrechen – eine extrem enge Mutter-Sohn-Beziehung vor Augen. Daneben hat Bong hier eine ganze Reihe prägnanter Figuren kreiert, die typische koreanische Verhaltensweisen abbilden. So wie der Anwalt Suk-ho Gong, ein eitler Vertreter der oberen Mittelschicht, der für Menschen unterhalb seines Standes nur Verachtung übrig hat. Oder der überarbeitete, abgestumpfte Kommissar Je-mun Nam – eine kritische Anspielung auf die Schwerfälligkeit koreanischer Behördenvertreter. Das ermordete Mädchen ist ein Beispiel für die moralische Desorientierung koreanischer Jugendlicher. Ihre Großmutter ist Alkoholikerin, Südkorea das Land mit dem höchsten pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol in Ostasien. Saufexzesse mit Soju-Schnaps sieht man in fast allen zeitgenössischen Filmen.
Am 14. September 1969 in der südkoreanischen Provinzmetropole Daegu als Sohn eines Professors für Grafikdesign geboren, zog Bong mit der Familie bald um in die Landeshauptstadt Seoul. »Bereits als Kind begann ich, Comics zu zeichnen, auch die Storyboards für meine Filme zeichne ich selbst.« An der Yonsei-Universität studierte er Soziologie. »Ich war ein Movie-Maniac und trat einem Filmklub der Universität bei. Bis ins Detail analysierte ich Filme von Hou Hsiao-hsien, Edward Yang und anderen Asiaten, mochte aber auch Spielberg, Coppola oder die Coen-Brüder, deren Filme ich beim TV-Sender AFKN für die US-Armee sehen konnte«, erzählt er. Im College drehte er Kurzfilme auf 16 mm und studierte dann ein Jahr an der Korean Academy of Film Arts, wo 1995 seine Abschlussarbeit Incoherence präsentiert wurde. Mitte der 90er bemühte er sich um Kontakt zur Filmindustrie, die damals aufzublühen begann und jungen Talenten Entfaltungsmöglichkeiten bot. Bong arbeitete als Regieassistent und arbeitete an Drehbüchern mit; am Set von Phantom – The Submarine, einem Thriller um ein koreanisches Atom-U-Boot, lernte er den Kameramann Hong Kyung-pyo kennen, den er später für Mother und Snowpiercer engagieren sollte.
Im Jahr 2000 erschien Bongs originelles und zuweilen hochkomisches Spielfilmdebüt Barking Dogs Never Bite, über einen Universitätsdozenten, der in einem Apartmentkomplex wohnt, wo ihm ein bellender Hund dermaßen auf die Nerven geht, dass er beschließt, ihn zum Schweigen zu bringen, was einige unvorhersehbare Ereignisse auslöst.
Bong untergräbt bewusst Genrekonventionen in seinen Werken. In Mother beleuchtet er weniger die Umstände des Mordes und seiner Aufklärung, ihm geht es vielmehr um den Aufruhr der Gefühle seiner Hauptfigur. Kunstvoll und mit manchmal sardonischem Humor verquickt Bong Elemente aus Kriminalfilm, Psychothriller, Melodrama und schwarzer Komödie. »Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Film ohne Humor machen könnte. Sogar wenn ich einen Horrorfilm drehen sollte, würde ich dabei etwas Komisches finden.« Da ist eine unbefangene Imagination am Werk, die sich um landläufige Vorstellungen von Komik, Spannung oder Horror nicht schert.
Im Science-Fiction-Thriller Snowpiercer sorgt vor allem Tilda Swinton für comic relief im oft erschütternden Geschehen. Die mit rund 40 Millionen Dollar teuerste südkoreanische Produktion – die ironischerweise eine dezidiert systemkritische, antikapitalistische Tendenz hat – spielte im vergangenen Jahr auf dem heimischen Markt fast 64 Millionen ein, landete auf Platz zwei der Kino-Top-Ten und wurde in 167 Länder verkauft. Überhaupt machten die drei dominierenden koreanischen Filminvestitions- und Verleihkonzerne CJ Entertainment, Lotte Entertainment und Showbox/Mediaplex im vergangenen Jahr einmal mehr groß Kasse; auch die aufstrebende Firma Next Entertainment strich mit dem Nummer-1-Hit Miracle in Cell No. 7, dem Gangsterdrama New World oder The Attorney mit Publikumsliebling Song Kang-ho enorme Gewinne ein. Von den 907 veröffentlichten Filmen waren bloß 183 koreanisch, doch ihr Marktanteil betrug 59,7 Prozent – davon können deutsche Produzenten nur träumen. Über 213 Millionen Menschen kauften Kinokarten, mehr denn je. Und mehr als 24 Millionen wollten die drei Filme mit Song sehen (The Attorney, Snowpiercer, The Face Reader), der zum größten Kassenmagneten überhaupt avancierte.
Sehr populär waren Agentenfilme wie The Berlin File (bei uns ist der ausgezeichnete Thriller auf DVD erschienen). Noch heute, mehr als 20 Jahre nach dem Einzug der Demokratie im Süden des geteilten Landes, wirken Gewalterfahrungen und Repressionen im Habitus der traditionell erzpatriarchalischen Gesellschaft nach, was in vielen Filmen zum Ausdruck kommt. Weitere immer wieder behandelte Motive sind der grassierende Materialismus, Korruption, dysfunktionale Familienverhältnisse, die wirtschaftliche Rezession und ihre Folgen für die Unter- und Mittelschicht – krass dargestellt 2012 in Kim Ki-duks Pieta. Für 2014 zeichnet sich ein Aufschwung historischer, mehr oder weniger martialischer Dramen ab.
Reiche werden reicher und Arme ärmer – dieser globale Trend gilt auch für die koreanische Filmindustrie. Während Blockbuster wie Snowpiercer große Profite einspielen, wird die Finanzierung und der Vertrieb von Indie-Filmen immer schwieriger (was übrigens auch für die USA zutrifft). Vor zehn Jahren, als der jetzige Bong Joon-ho mit der Independentproduktion Memories of Murder seinen ersten Erfolg feierte, war das noch anders.
Beim Busan Film Festival 2013 erklärte der Autorenfilmer, er wolle in Zukunft keine Großprojekte wie Snowpiercer mehr in Angriff nehmen. »Ich möchte wieder Filme mit kleinerem Budget drehen, mich mehr auf die Ausarbeitung der Handlung, die Charakterzeichnung und um visuelle Details kümmern«. Man darf gespannt sein.
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