Kritik zu Museum Hours
Der amerikanische Independent-Filmer Jem Cohen lässt in Wien einen Museumswärter auf eine kanadische Touristin treffen und erforscht zwischen ihnen und mit ihnen die Welt der Gemälde als Spiegel von Zeit und Beziehungen
24.03.2014
Bewertung: 4
Leserbewertung
Noch keine Bewertungen vorhanden
Dem Museumswärter kommt im institutionellen Betrieb eine seltsame Aufgabe zu. Er muss einerseits permanent Präsenz zeigen, wird von den meisten Besuchern aber schlichtweg ignoriert. Dieser Status versetzt ihn in eine ausgezeichnete Beobachterposition. Johann, die männliche Hauptfigur in Jem Cohens Museum Hours, nutzt die Zeit für ausgiebige Erkundungen seiner Umwelt: der Menschen, die sich im gemächlichen Tempo durch die Flure und Hallen seiner Arbeitsstätte, dem Wiener Kunsthistorischen Museum, bewegen, und der jahrhundertealten Kunstwerke, die aus einer anderen Zeit berichten. Und Johann hat in seinem Job viel Zeit zur Kontemplation. »Ich hatte meine lauten Zeiten, jetzt hab ich meine ruhigen«, sagt der ehemalige Tourmanager über sein jetziges Leben. »Früher nannten wir es Rock ’n’ Roll.«
Einsichten wie diese sind nicht ungewöhnlich in den Filmen des unabhängigen New Yorker Filmemachers Jem Cohen, der bereits mit Patti Smith, REM und Fugazi gearbeitet hat. Museum Hours ist dem kürzlich verstorbenen Songwriter Vic Chesnutt gewidmet. Darum muss der Schritt in eine altehrwürdige Kulturinstitution wie das Kunsthistorische Museum auf den ersten Blick umso überraschender anmuten. Schon aufgrund der Lichtverhältnisse (die Innenaufnahmen wurden mit einer Digitalkamera gefilmt, die Außenaufnahmen hingegen auf 16-mm-Material) entwickelt der Film eine pastorale Ästhetik, die durch die langsamen Kamerafahrten entlang der Gemälde noch verstärkt wird. Cohen befindet sich mit Museum Hours im Modus des Schauens, doch verzichtet sein Film auf einen auktorialen Betrachter – auch wenn Johann die Führung durch das Museum und die Stadt Wien gewissermaßen übernimmt.
Die zufällige Bekanntschaft mit einer kanadischen Touristin, die ihre kranke Cousine besucht, ist Auslöser für ein weitläufiges Flanieren, das immer wieder den Ort des Museums als Ausgangspunkt nimmt und von dort in die Welt – auf den Naschmarkt oder in die schummerigen Etablissements, in die man nur als eingeborener Wiener Zutritt findet – schweift. Bobby Sommer, selbst ein Wiener Urgestein mit einer unwiderstehlichen Melodik in seiner sonoren Stimme, führt in der Rolle des Johann die ortsunkundige Anne in eine Welt ein, die ihr langsam die Augen öffnet. Die alte Kunst an den Wänden fungiert dabei weniger als Mittler denn als Prisma.
Jedes größere Museum sieht sich heutzutage gezwungen, seine Sammlungen als zeitgemäß und modern zu verkaufen. Cohen wählt jedoch eine andere Strategie: Er erzählt anhand der Kunst von menschlichen Beziehungen. Seine kunsthistorischen Exkurse von den flämischen Meistern bis hin zu antiken Reliquien enden immer bei den Menschen, die sich selbstvergessen in den Objekten betrachten. Eine längere Exegese eines Brueghel-Gemäldes während einer Museumsführung, bezeichnenderweise die didaktischste Szene des Films, erklärt sehr anschaulich Cohens unvoreingenommenen Blick auf die Welt. Letztere wird manchmal durch den trockenen Wiener Humor auch etwas erträglicher.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns