So viel Aufbruch war nie
Wenn Sie die Wahl hätten, in einen Film mit dem Titel »Die Piratenbraut« zu gehen oder einen, der »Moneten für's Kätzchen« heißt, wie würden Sie sich entscheiden? Vorsicht, Ihre Wahl würde bestimmt viel über Sie verraten! Ich persönlich habe ein Faible für die erste Variante. Sie ist ziemlich kess.
In Zeiten politischer Korrektheit ziemt sie sich wohl nicht mehr. Aber ich mag diese umgangssprachliche Nonchalance, zu der sich deutsche Verleiher in argloseren Zeiten bisweilen durchringen konnten. Tatsächlich handelt es sich übrigens bei beiden Titeln um den selben Film, Nelly Kaplans »La Fiancée du Pirate«. Bei der Wiederaufführung nähert man sich dann dem Original an, das ja ebenfalls ganz schön verwegen klingt. »Mein Körper für ein Pokerspiel« wiederum ist auch nicht unbedingt ein Titel, den eine überzeugte Feministin gern in ihrer Filmographie lesen möchte. Lina Wertmüller hat sich wohl auch nie zu ihm bekannt und den Italowestern unter dem Pseudonym Nathan Wich gedreht.
Diese Filme dürften zwei der Höhepunkte (Nelly Kaplans vergnügte Subversion ist es ohne Zweifel) der Filmreihe »Aufbruch der Autorinnen« sein, die am 15.10. im Berliner Zeughauskino beginnt. Sie stellt europäische Regisseurinnen der 60er Jahre und ihre Heldinnen vor. Kuratiert hat sie Sabine Schöbel. Das Programmheft des Kinos nennt den Zyklus ein Festival, was angemessene Hochstimmung suggeriert: Es darf Pionierarbeit gefeiert werden. Im Programm laufen ausgewiesene Klassiker wie Ula Stöckls »Neun Leben hat die Katze«, Larissa Shepitkos »Flügel« und selbstverständlich »Tausendschönchen« von Vèra Chytilovà. Es sind bekannte Namen darunter wie Liliana Cavani, Marguerite Duras, Márta Mészáros, Agnès Varda und Mai Zetterling. Die meisten Filme kenne ich indes nicht – was womöglich gegen meine Kenntnis dieses Feldes der Filmgeschichte spricht, aber gewiss für die Entdeckerfreude der Kuratorin und ihrer Bundesgenossinen. In die Filme wird von Filmwissenschaftlerinnen eingeführt, oft stellen die Regisseurinnen sie selbst vor. Ein historisch triftiger Schwerpunkt liegt auf Autorinnen aus Osteuropa. Dort war man in den 60ern wohl schon ein gutes Stück weiter, was die Ermächtigung einer weiblichen Perspektive beim Filmemachen betrifft. Die Filmauswahl weckt den Eindruck einer lebendigen Feldforschung. Die 60er waren ohnehin eine heroische Epoche der Umbrüche, die eine ganze Reihe neuer Blickwinkel erlaubt. Beim Durchblättern des Programmheftes fallen mir immer wieder die Gesichter der Hauptdarstellerinnen ins Auge. Mit ihnen lassen sich die Filme gut verkaufen: Sie sind schön auf eine Weise, die nachdenklich, charaktervoll und markant ist. Sie strahlen einladendes Selbstbewusstsein und ebensolchen Zweifel aus. Die Herausforderungen, die sie zu bewältigen haben, sind immens. Wie sich weibliche Rollenbilder verändern, gegen welche Widerstände sie sich durchsetzen müssen, demonstrieren ja schon die Verleihtitel, die ich eingangs nannte.
Manchmal zögere ich, habe den Eindruck, ich würde an dieser Stelle zu viele Filmreihen vorstellen, die in Berlin laufen. Der Standortfaktor legt es für mich nahe, obwohl mir bewusst ist, dass Sie ein Anrecht haben eine Dezentralisierung meiner Programmhinweise. Widerspruch und Anregungen sind mir deshalb höchst willkommen. Aber gerade in diesem Falle sage ich mir, dass das Berliner Beispiel Schule machen kann. Mein einziges Bedauern betrifft das Fehlen Chantal Akermans in diesem Programm. Sie ist viel zu früh verstorben, aber ihr Debüt kam ein Jahrzehnt zu spät, um in diesen Kontext zu passen.
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