Kritik zu Fräulein Stinnes fährt um die Welt

© Real Fiction Filmverleih

2008
Original-Titel: 
Fräulein Stinnes fährt um die Welt
Filmstart in Deutschland: 
20.08.2009
L: 
90 Min
FSK: 
6

Mit dem »Adler Standard 6« einmal um die ganze Welt – Erica von Moeller rekonstruiert ein mediales Event aus der Frühzeit des Automobilzeitalters

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Am 24. Juni 1929 fuhren die Industriellentochter Clärenore Stinnes und der schwedische Kameramann Carl-Axel Söderström im Triumphzug über die Avus in Berlin ein. Hinter ihnen lagen 46.758 Kilometer, seit sie am 25. Mai 1927 mit ihrem Straßenauto der Marke »Adler Standard 6« in Frankfurt am Main gestartet waren und in östlicher Richtung die Erde umrundet hatten. Übermenschliche Strapazen waren zu überstehen, von denen Bürgerkriege und marodierende Banden noch die harmloseren waren. Die größten Widerstände setzte den beiden die Natur entgegen, 53 Grad minus in Sibirien, Gluthitze in Wüstengebieten, endlose Sümpfe und das unerschlossene Gebirgsmassiv der Anden. Zwei mitgereiste Techniker geben unterwegs entkräftet auf, ein Begleit-Lkw muss zurückgelassen werden. Wiederholt wird das Fahrzeug mit vorgespannten Menschen und Tieren über Berge gezogen, eine Unzahl von Pannen verzögert die Reise immer wieder. Söderström hat das aufsehenerregende Abenteuer in spektakulären Film- und Fotoaufnahmen festgehalten. In Kinowochenschauen eilte den Weltreisenden ihr Ruf schon voraus, bevor sie die nächste Station erreichten – bis ins Weiße Haus, wo sie US-Präsident Calvin Coolidge empfing. Im Jahr 1931 kam Söderströms einstündige Dokumentation unter dem Titel »Im Auto durch zwei Welten« in die deutschen Kinos.

Um zentrale Passagen dieses historischen Films gruppiert die Regisseurin Erica von Moeller (»Hannah«, 2006) in ihrem Film Spielsequenzen, in deren Mittelpunkt die Beziehung zwischen Stinnes (Sandra Hüller) und dem verheirateten Söderström (Bjarne Henriksen) steht. Sandra Hüller gelingt es auf beeindruckende Weise, sich dem draufgängerischen und notorisch optimistischen Charakter der Clärenore Stinnes ebenso wie ihrem burschikosen Habitus anzuverwandeln. Die zeigte sich seinerzeit vorzugsweise in Männerkleidung, rauchend und lachend, und hatte bereits in jungen Jahren 17 Autorennen gewonnen, darunter – als einzige teilnehmende Frau – eine Rallye in Russland. Die oft kammerspielartigen Szenen – die es bisweilen schwer haben, sich gegen die Originalaufnahmen zu behaupten – fügen sich in den Ablauf der dokumentarischen Bilder ein, teilweise schließen sie unmittelbar an diese an. Ergänzt wird die unterhaltsame Montage durch Foto- und Zeichentrickmaterial sowie Passagen aus Söderströms Reisetagebuch.

»Fräulein Stinnes fährt um die Welt« macht vor allem deutlich, wie geschickt Stinnes und Söderström ihr von Sponsoren mitfinanziertes Unternehmen als mediale Inszenierung gestalteten. Selbst in kritischen Situationen, etwa bei einer Schussfahrt von einer steilen Düne, ist die Kamera so platziert, dass die Geschehnisse effektvoll ins Bild kommen. Und wie sehr Clärenore Stinnes sich des Zusammenhangs zwischen Event und Medium bewusst war, zeigt ihr Abschlussstatement vor der Kamera – im O-Ton, denn inzwischen war der Tonfilm erfunden worden. Kolumbus und anderen Entdeckern sei man noch mit Misstrauen begegnet, mit dem Film aber könne man nun den Nachweis großer Taten antreten. Glückliche Zeiten, als man seinen Augen noch trauen durfte.

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