Kritik zu Familienbande
In seinem Regiedebüt konzentriert sich der Ire Mark Noonan ganz auf seine Hauptfiguren: Aidan Gillen (»Game of Thrones«) und Newcomerin Lauren Kinsella versuchen als Onkel und Nichte, zu einer provisorischen Familie zusammenzufinden
Manchmal ist es erstaunlich, wie sehr der Titel die Stimmung beeinflusst, mit der man einen Film zu sehen beginnt. »Familienbande« lässt einen halb dramatischen, halb analytischen Film vermuten, der die komplexen Strukturen innerhalb einer weit gefassten Familie beleuchtet. Etwas einfallslos ist er ohnehin. Der Originaltitel »You're ugly too« hingegen weist in eine ganz andere Richtung. Hier kämpfen zwei um die gegenseitige Sympathie, mit eigensinnigem Wortwitz und viel persönlichem Engagement. Und ausgefallen ist dieser Titel auch. Man möchte gar nicht wissen, wer ihn als zu kompliziert, zu unverständlich und schließlich zu englisch abgelehnt hat. Zumindest hätte er noch einen weiteren Vorteil gehabt: Er hätte eindeutig darauf hingewiesen, dass man Mark Noonans Kinodebüt unbedingt im Original sehen muss.
Denn das, was in diesem kleinen Low-Budget Film glänzt, ist die irische Sprache, der witzige Schlagabtausch zwischen Aidan Gillen (bekannt aus »The Wire« und »Game of Thrones«) als haftentlassenem Onkel und Vater wider Willen und Lauren Kinsella als 11-jähriger Stacey, die gerade ihre Mutter verloren hat und nun in der Obhut ihres Onkels in einem irischen Trailerpark lebt.
Stacey ist es gewohnt auf sich gestellt zu sein. Barsch bürstet sie alles weg, was sie weich erscheinen lassen könnte – und schläft dann einfach ein. Narkolepsie nennt man diese Krankheit, die sich eigentlich nicht behandeln lässt. Die Stimmung aus Gus Van Sants »My Private Idaho«, diesem wunderbaren Roadmovie aus dem Jahr 1991, in dem River Phoenix an eben dieser Krankheit leidet, taucht hier wieder auf. Zwar sitzen Will und Stacey in ihrem Trailer fest, doch ist es die Straße, die in die Zukunft weist. Täglich muss sich Will bei seinem Bewährungshelfer melden. Beim ersten Versäumnis schaltet sich das Jugendamt ein und bringt das wackelige Familienkonstrukt zum Einsturz. Ende offen. Die Zukunft beginnt am Horizont.
»You're ugly too« ist ein Film, der sich frech und haltlos gibt, doch sehr besonnen strukturiert ist. Er verlässt sich auf wenige Figuren. Will und Stacey natürlich, aber der Ort der Handlung ist gleichsam immer der Dritte im Bunde. Zwar kommt auch Emilie dazu, eine belgische Lehrerin, die mit ihrem rumänischen Mann, der bei der Müllabfuhr arbeitet, ebenfalls in dem Trailerpark gestrandet ist und vor familiärer Gewalt flüchtet. Eine gewisse Anziehung entsteht, stark genug, um dramatische Entwicklungen anzudeuten, aber nicht so vehement, um den Fortgang der Handlung zu bestimmen. Da sind der zurückliegende Tod von Staceys Vater, an dem Will irgendwie beteiligt war, seine Haftstrafe, über die er nicht reden will, oder schließlich Staceys Krankheit, aufgrund derer sie von der neuen Schule abgelehnt wird, schon bedeutender. Doch Mark Noonan erzählt seinen Film nicht geradlinig. Vielmehr umkreist er seine Figuren, offenbart deren Inneres langsam und ohne große Gesten. Er lässt sie agieren, so scheint es manchmal, und weiß doch immer, wohin die Reise geht. Und der Schluss, der den wunderbaren Titel noch einmal fundiert, ist ein rettender Regieeinfall.
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