Kritik zu Body
Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska (»Im Namen des...«, »Das bessere Leben«) zeigt in ihrem neuen Film einen Vater, seine Tochter und deren Therapeutin, wie sie auf unterschiedliche Weise mit der Trauer um schwerwiegende Verluste ringen
Es dauert eine Weile, bis sich die Geschichte materialisiert, die hier erzählt wird. Denn zunächst sammelt der Film Eindrücke: einen älteren Untersuchungsrichter an verschiedenen Tatorten von Gewaltverbrechen – im Wald unter dem Baum, an dem sich ein Mann erhängt hat, in einer öffentlichen Toilette, in der eine Mutter ihr neugeborenes Baby blutig entsorgt hat; die Therapiestunden eines magersüchtigen Mädchens namens Olga; das einsame Leben ihrer Therapeutin Anna – mit einem großen Hund in einer kleinen Wohnung, beim Einkaufen im Supermarkt, in einem Hausflur, in dem sie ein heftig knutschendes Pärchen mit traurigem Interesse beobachtet. Erst langsam verdichten sich die Puzzleteile zur Familiengeschichte: Das Mädchen leidet unter dem Tod ihrer Mutter, für den sie ihren Vater, den Untersuchungsrichter verantwortlich macht, der sich wiederum von seinen Gefühlen abkapselt, wie das Männer oft tun. Es geht um die Bewältigung der Vergangenheit, um Schmerz und Trauer. In ihrem Kummer malträtieren Vater und Tochter ihre Körper auf unterschiedliche Weise: Während er sich mit fettem Essen, Wodka und Zigaretten tröstet, hungert das Mädchen. Und die Therapeutin hat ihren eigenen Umgang mit der Trauer in ihrem Leben: Sie lässt sich von den Toten Briefe für die Lebenden diktieren.
Die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska ist dem harten Realismus des Alltags verpflichtet, vor zwei Jahren war im Wettbewerb der Berlinale ihr letzter Film »Im Namen des...« zu sehen, in dem es um einen jungen Priester im Jugendstrafvollzug ging, der sein homoerotisches Begehren unterdrücken musste. Am Rande der Ereignisse geht es hier einmal um die Vernehmung eines pädophilen Pfarrers. In dumpfen, fahlen, verwaschenen Farben zeichnet die Regisseurin ein deprimierendes Bild ihres Landes.
Wenn Olga ihren Vater dabei beobachtet, wie er ein fettiges Brathühnchen mit vollem Griff der Hände zerlegt, ist in diesem Blick ihr Ekel zu spüren. Sie selbst rührt zu Hause das frugale Mal mit Rohkost und Reisriegel nicht an. Sie hält ihm einen Vortrag über die Missstände der Massentierhaltung und hoppelt etwas später zur Illustration durch die trostlose Wohnung, die ein Spiegel der inneren Verwahrlosung ist. Immer wieder gibt es solche Momente finsterer Komik. Etwa wenn Olga vom Personal der Klinik, in der sie behandelt wird, eine Schüssel mit Essen vorgesetzt bekommt, das sie unbedingt zu sich nehmen soll. Nach langen Kämpfen werden die Nudeln und das trostlose Weißbrot mit Marmelade im Mixer zu einem zähen Brei verarbeitet, den sie angewidert löffelt. Oder wenn eine erhängte Leiche vom Baum geschnitten wird, die dann, während die Ermittler noch die Situation diskutieren, einfach aufsteht und davonläuft. Immer wieder gibt es diese Kollisionen verschiedener Lebenshaltungen. Während Olgas Vater gefühlskalt und pragmatisch ans Leben herangeht und Olga mit ihrer Wut ringt, flüchtet Anna in die entrückten Sphären der Esoterik.
Die Begegnung dieser so unterschiedlichen Mentalitäten ist ein Katalysator, der schleichende Reaktionen herbeiführt und festgefahrene Haltungen wie Olgas Hass auf den Vater, dessen nüchternen Pragmatismus oder die entrückte Esoterik von Anna zur Implosion treibt. Wobei Malgorzata Szumowska auch die groteskesten Momente mit zärtlicher Menschlichkeit einfängt, mit einem zugewandt intimen Blick. Plötzlich nimmt der an Fakten orientierte Untersuchungsrichter übersinnliche Signale auf: Die Tür zum Zimmer seiner Frau öffnet sich immer wieder von alleine, die Nachbarn beschweren sich über laute Musik in Zeiten, in denen er gar nicht in der Wohnung ist, Musik, die seine Frau mochte. Wie schon in »Im Namen des...« unterläuft Szumowska auch hier die ernüchternde Realität mit nachsichtigem Humanismus und einem überraschenden Lichtblick am Ende.
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